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Frau Oertel sucht den Frieden

Die Ex-Pegida-Frau setzt auf weiße Luftballons und verurteilt die Hetzjagd auf Migranten.

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© kairospress

Von Juliane Richter

Kathrin Oertel nutzt die Symbolik der Farben. Während die ehemalige Pegida-Frontfrau früher komplett in Schwarz aufgetreten ist, setzt sie nun auf Weiß. Für ihre gestrige, überraschende Kundgebung auf dem Dresdner Neumarkt hat sie einen weißen Rollkragenpullover samt weißer Weste darüber gewählt. Hellblaue Jeans, weiße Turnschuhe und eine weiße Tasche runden das Bild ab. So verändert wie ihr Kleidungsstil, sind auch ihre Aussagen auf der Veranstaltung „193 Friedenstauben“.

Oertel zeigt Verständnis für das Leid der Asylbewerber. Viele kämen nicht nach Deutschland, weil es hier so schön ist, „sondern weil sie keine Wirtschaft und weil sie dort nichts mehr zu essen haben.“ Sie denkt, dass die westlichen Länder dafür mitverantwortlich sind. Zudem verurteilt sie das Feindbild der Moslems, das nach dem 11. September 2001 – den Anschlägen in den USA – geschaffen worden sei. Auf einer kleinen Bühne, an der weiße Luftballons und Plakate mit dem Symbol der Friedenstaube hängen, appelliert sie an die etwa 100 Zuhörer. „Hass schürt Hass und er wird in Krieg enden, wenn wir weiter handeln wie bisher.“

Auf ihrer Facebook-Seite hatte sich ihr Wandel bereits am Mittwoch angekündigt. In einem Video, das Kathrin Oertel im Auto sitzend mit dem Handy aufgenommen hat, entschuldigt sie sich bei allen Migranten und Muslimen, „die hier in unserem Land friedlich leben, integriert sind und unsere Gesetze und Kultur achten. Das sind nämlich die meisten von ihnen.“ Jene Frau, die bis zum Bruch mit Pegida selbst die asylkritischen Thesen vertreten hat, macht scheinbar eine Kehrtwende. Was der Anlass für das Video und die darin angekündigte Kundgebung war, bleibt offen. Oertel will sich auf Nachfrage der Sächsischen Zeitung nicht äußern. Stattdessen verweist sie an René Jahn, der früher ebenfalls Vereinsvorstand bei Pegida war. „Das Video lag ihr am Herzen. Sie hat es spontan im Auto gemacht. Seitdem schreiben ihr viele Muslime positive Nachrichten“, sagt der 49-Jährige. Für ihn scheinen Oertels Aussagen keine Wende darzustellen. Denn Pegida habe sich ja gegen die radikalen Islamisten und gegen alle radikalen Kräfte gewandt – nicht gegen Muslime allgemein.

Auch Jahn gehört an diesem Nachmittag auf dem Neumarkt zu den Rednern. Obwohl der Platz voller Menschen ist, die Sonne, Eis und Kaffee genießen, wächst die Schar der Zuhörer nicht. Manche bleiben kurz stehen, schütteln den Kopf und gehen. Andere sind gezielt gekommen und quittieren jede Aussage mit einem Nicken. René Jahn weist auf die Schar der Flüchtlinge hin, die in diesem Jahr nach Deutschland kommen, deren Zahl sich wohl weiter erhöhen wird und die Ängste in der Bevölkerung hervorrufen. „Die Angst davor ist berechtigt, weil die Aufklärung der Politiker fehlt“, sagt er. Während Jahn kurz und bündig seine Stichpunkte an die Zuhörer bringt, erfordern andere Redner mehr Geduld. Alex Quint zum Beispiel. Der 49-Jährige ist nach eigenen Aussagen Finanzdienstleister, lebt seit 25 Jahren in Dresden, versteht sich als Wahlsachse und gibt den Einheizer. Mit schneidendem Tonfall spricht er über die Spaltung der Gesellschaft, in jung und alt oder rechts und links. In seinem „kurzen Demokratiecheck“ stellt er den Zuhörern Fragen. Die sollen mit „Ja, Alex“ oder „Nein, Alex“ antworten. „Wollt ihr direkte Demokratie?“ schreit er von der Bühne. „Ja, Alex“, schreit ein kleiner Trupp zurück. So geht das Spiel hin und her. Das zufriedene Gesicht von Quint zeigt, dass die Antworten wohl so gekommen sind, wie er sie erhofft hat. Es folgt die wiederholte Schelte an Politik und Medien, die in der Forderung gipfelt, für mehr direkte Demokratie von unten zu sorgen.

Am Ende gewinnen Symbole wieder die Oberhand. Nach fast zwei Stunden nehmen Redner und Zuhörer die weißen Luftballons und lassen sie in den Himmel aufsteigen. Kathrin Oertel, die sich unter die Zuhörer gemischt hat, lacht. Es bleibt die Frage, wie es nun für sie und ihre Gruppe weitergeht. Die Antwort gibt René Jahn. Am 20. Mai will sich die Gruppe mit interessierten Bürgern im „Steiger am Landhaus“ an der Wilsdruffer Straße treffen und diskutieren, welche Themen weiter interessieren.