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Frachtpiraten auf Beutezug

Ladungsklau durch „Planenschlitzer“ bringt Spediteure auf die Palme. Die Polizei hat polnische Banden im Verdacht.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Jörg Stock

Sebnitz/Wilsdruff. Ein voller Laster ist am sichersten, wenn er rollt, sagt der Spediteur Andreas Hanitzsch. Aber irgendwann muss er halten. Der Fahrer muss Pause machen. Er ist kaputt vom stundenlangen Geradeausfahren, vom sturen Blick auf den Asphalt. Wenige Minuten nur und er schläft wie ein Stein. Und dann, sagt Hanitzsch, haben Diebe leichtes Spiel. „Dann können die auf der Ladefläche rumrammeln, wie sie wollen.“

Brennpunkt „Dresdner Tor: Auf dem gut besuchten Truckerparkplatz an der A4 griffen Planenschlitzer im Vorjahr 21-mal teils äußerst frech zu.
Brennpunkt „Dresdner Tor: Auf dem gut besuchten Truckerparkplatz an der A4 griffen Planenschlitzer im Vorjahr 21-mal teils äußerst frech zu. © Karl-Ludwig Oberthür
Gegenwehr aus dem Führerhaus: Einige Hanitzsch-Laster haben spezielle Notruftaster. Damit kann der Fahrer die Polizei alarmieren, wenn geklaut wird.
Gegenwehr aus dem Führerhaus: Einige Hanitzsch-Laster haben spezielle Notruftaster. Damit kann der Fahrer die Polizei alarmieren, wenn geklaut wird. © Karl-Ludwig Oberthür

Ladungsklau kommt mehr und mehr in Mode. Das sagen Versicherer und Selbstschutzorganisationen der Logistikbranche. Das Netzwerk TAPA, das Frachtdiebstähle in Europa, dem Nahen Osten und Afrika erfasst, meldete allein für Dezember 2016 einen Stehlschaden von 7,2 Millionen Euro. Unter den vier häufigsten Schauplätzen befindet sich auch Deutschland.

„Deutschland ist als kriminelles Viertel absolut auf dem Vormarsch“, sagt Andreas Hanitzsch. Es ist nicht schwer, auf dem Kesselsdorfer Betriebshof der Traditionsfirma einen Wagen zu finden, der noch Spuren eines Diebesangriffs trägt: sichelförmige Schnitte in der Plane. So machen die Kriminellen ihre „Sichtprüfung“, sagt Hanitzsch. Sie wollen wissen, was geladen ist. Gefällt ihnen, was sie sehen, wird eine Maschinerie in Gang gesetzt. Komplizen und Transportfahrzeuge kreuzen auf. „Dann wird engagiert zugepackt.“ Gut organisiert sei das Ganze, meint der Betriebsleiter. „Das geht bis hin zur Spionage.“

Etwa alle drei Monate ist der Kesselsdorfer Fuhrbetrieb Opfer eines Ladungsdiebstahls. Die Firma beliefert viele Groß- und Einzelhändler. Die Waren stehen oft bunt gemischt auf den Paletten. Es kommt vor, dass ein Diebstahl bis zum Zielort gar nicht auffällt und erst der Empfänger bemerkt, dass etwas fehlt. Sehr unangenehm für Hanitzschs Betrieb. „In unserer Obhut ist ein Schaden entstanden, und wir wissen nicht einmal, was da wo gestohlen wurde.“

Hingucken, weggucken, Ladung geklaut

Welches Ausmaß der Ladungsklau in Deutschland hat, ist schwer zu sagen. Das liegt daran, dass solche Delikte in den meisten Kriminalstatistiken nicht extra erfasst werden, auch nicht in der sächsischen. Ladungsdiebstahl oder Planenschlitzen seien keine eigenständigen Straftaten, sagt Thomas Geithner, Sprecher der Polizeidirektion Dresden, sondern spezielle Begehungsweisen. Auch wenn ein Mehrjahresvergleich nicht möglich sei, habe man eine spürbare Häufung festgestellt, erklärt er, sowohl was die Fälle, als auch was die Schadenshöhe angehe.

Laut Landeskriminalamt waren 2016 in Sachsen 155-mal Planenschlitzer am Werk. Im Beritt der Dresdner Polizeidirektion war der Rasthof „Dresdner Tor“ an der Autobahn 4 nahe Wilsdruff mit 21 Fällen bei Weitem am stärksten betroffen. Geklaut wurden zum Beispiel Werkzeugmaschinen, Bekleidung, Hunderte Autoreifen und 180 Fernsehgeräte. Allein die Fernseher hatten einen Wert von etwa 60 000 Euro.

Wie ist es möglich, dass über dreißig Paletten mit Fernsehern auf einem brechend vollen Parkplatz aus einem Anhänger gehievt und unbehelligt weggefahren werden? Andreas Hanitzsch erklärt sich das mit einem weit verbreiteten Desinteresse in der Bevölkerung. Man guckt zu, wenn an Lastern herumhantiert wird, sagt er, und denkt, das wird schon so in Ordnung sein, statt die Polizei zu rufen. Er spricht von „extremer Ignoranz“. Außerdem würden die Fahrer manchmal mit Gas betäubt, um den Laster in Ruhe plündern zu können. Auch einen seiner Fahrer, da ist der Spediteur sicher, hat es schon auf diese Art erwischt. Er hat den Wecker überhört, und als er endlich erwachte, tat ihm der Kopf weh wie nach zwei durchzechten Nächten.

Schlafgas ist kein Hirngespinst

Die Arbeitsthese, wonach Lasterlenker mit Schlafgas außer Gefecht gesetzt werden, verfolgt auch die Polizeidirektion in Dresden. Zwar habe man dafür noch keine Beweise, sagt Sprecher Geithner. Es sei aber „definitiv kein Hirngespinst“. Bestünde der Verdacht auf Gaseinsatz, werde man einen Bluttest bei dem betroffenen Fahrer vornehmen, um den Verdacht zu prüfen.

Die Häufung von Lasterpiraterie hat die Polizeidirektion Dresden dazu veranlasst, ihre Ermittlungen im Kripo-Kommissariat „Bandenkriminalität“ zu bündeln. Momentan seien dort sieben Fälle mit über 100 000 Euro Schaden in Bearbeitung, sagt Polizeisprecher Geithner. Man gehe davon aus, dass insbesondere polnische Bandenstrukturen hinter den Diebstählen steckten. Teile geklauter Ladung, etwa Fernsehapparate und Fahrräder, würden in Polen zum Kauf angeboten. „Im Rahmen von Rechtshilfeersuchen ist die polnische Polizei bereits in unsere Ermittlungen einbezogen.“

Die Meldekette hin zu den Polen funktioniert gut, sagt der Polizeisprecher. Das Problem: Im Regelfall wird ein Ladungsklau gar nicht „live“ bemerkt, sondern erst Stunden später, wobei der beklaute Fahrer weder die Täter noch deren Fahrzeuge beschreiben kann. „Eine Sofortfahndung hat sich dann im Regelfall erledigt.“

Stefan Hanitzsch bezweifelt, dass die Lasterpiraten erwischt werden, und denkt, dass es anderen in seiner Branche auch so geht, dass viele Diebstähle gar nicht erst gemeldet werden, dass man Lkw und Fahrer lieber schnell wieder auf die Piste schickt, statt auf die Polizei zu warten. Bleibt nur die Prävention. Für Hanitzsch heißt das vor allem absolute Verschwiegenheit bezüglich Ladung und Route, auch auf Facebook und Twitter, und möglichst wenige Stopps. Denn bei seinem Credo bleibt er: Ein sicherer Laster ist vor allem einer, der rollt.