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Flieg, Siegfried, flieg!

Extrem seltene Auerhähne werden in letzter Zeit häufiger in der Lausitz gesehen. Füttern kann für sie tödlich enden.

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© privat

Von Susanne Sodan

Auf dem Flugplatz bei Rothenburg in der Oberlausitz ist Nummer 001 jetzt immer wieder zu sehen. Offenbar sucht er eine Frau. Die Vogelkundler sagen: Der rote Strich über den Augen der Auerhähne steht für eine anstehende Balz – also das Werben um ein Huhn. Da es hier zwar viele Hühner, aber keine Auerhühner gibt, ist das bunte Schauspiel mit Nummer 001 wohl nur noch wenige Tage zu bewundern. Viele haben das schon getan.

Immer wieder kommen Anwohner in Rudolf Garacks Drogerie, obwohl sie nichts kaufen wollen. Sie wollen ihm etwas erzählen. Von einem Auerhahn, den sie in der Rothenburger Gegend gesehen haben. Garack ist nicht nur Fotograf und Drogist, sondern auch Jäger und Falkner. „Ich habe den Auerhahn selber schon ein paar Mal gesehen“, erzählt er. „Auf dem Flugplatz und in Bremenhain lässt er sich manchmal blicken.“ Und tatsächlich: Im Norden des Landkreises scheint ein zweiter Auerhahn zu leben. Ein zweiter?

Angefangen hat das Spektakel für alle Vogelfreunde Anfang Januar: In Hähnichen taucht immer wieder ein Auerhahn auf, am Bahnhof und bei der benachbarten Kindertagesstätte. Aus mehreren Gründen ist das aufsehenerregend. Wildlebende Verbände gibt es in der Oberlausitz eigentlich nicht mehr. Noch seltsamer an der Sache: Der Hähnichener Auerhahn trägt eine Antenne auf dem Rücken. Das Rätsel um Tier und Antenne ist schnell gelöst: Der Vogel stammt aus einem polnischen Wiederauswilderungs-Projekt.

Nun fliegt also ein zweiter Auerhahn durch die Gegend. Rudolf Garack und Ernst Gottschlich, Kreisbeauftragter des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) haben ihn beide schon fotografiert. „Ich habe ihn Siegfried genannt“, erzählt Garack. Auch Siegfried trägt wie sein Hähnichener Vorgänger einen Ring um den Fuß, aber keine Antenne. Einst hatte er aber eine. Denn auch der Siegfried stammt aus dem Auswilderungsprojekt in Polen. Nummer 001 steht auf dem Fußring.

Seit 2013 auf freiem Fuß

Der erste Auerhahn, der aus der polnischen Aufzuchtstation freigelassen wurde, ist er aber nicht. Gerhard Symalla, Revierförster beim Bundesforst, steht mit den polnischen Kollegen in Kontakt. „Wir wissen jetzt, dass der Rothenburger Auerhahn 2013 freigelassen worden ist“, erzählt er.

Nach seiner Auswilderung hat sich Siegfried zunächst am polnischen Neiße-ufer aufgehalten. Auch da gibt es Fotos von ihm. Allerdings sieht er darauf nicht so schön aus, wie jetzt. „Seine Schwanzfedern waren ausgerissen“, erzählt Ernst Gottschlich. Ein Kampf mit Fuchs, Habicht oder Katze? Möglich. „Die Federn sind aber so schnell und gut nachgewachsen. Das ist ein Zeichen, dass der Rothenburger Auerhahn in der Freiheit zurechtkommt.“ Dennoch steht er jetzt unter Beobachtung des Nabu. Das Problem: Siegfried sollte sich nicht zu oft bei Menschen blicken lassen. Zu groß ist die Gefahr, dass das Tier von einem Auto erfasst oder von einer Katze erlegt wird.

Seine Neugier ist schon dem Hähnichener Auerhahn zum Verhängnis geworden: Weil der es sich lieber auf dem Gelände der Kindertagesstätte statt im Wald gemütlich machte, musste er vor einer Woche in einer spektakulären Rettungsaktion eingefangen werden. Jetzt ist er zurück in der polnischen Aufzuchtstation.

Für Siegfried soll dieses Schicksal möglichst vermieden werden. Deshalb gilt: Bitte nicht füttern! „Der Auerhahn soll sich nicht an die Zivilisation binden“, sagt Markus Bathen. Futter für den Vogel ist zwar gut gemeint, kann aber das Gegenteil bewirken. „Zu viel Mais zum Beispiel kann am Ende sogar tödlich sein für einen Auerhahn.“ Ohnehin hat Siegfried aktuell in der freien Wildbahn genug zu futtern. Kiefern- und Tannennadeln stehen bei ihm gerade auf dem Speiseplan. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass gleich zwei Auerhähne in die Oberlausitz gekommen sind.

Beste Bedingungen

Die Neißeaue, die Spreer Heide, das große Gebiet des Truppenübungsplatzes – überall dort sind die Lebensbedingungen für den Auerhahn gut. „Deshalb hat es zu DDR-Zeiten auch schon ein Auswilderungsprojekt hier gegeben“, erzählt Rudolf Garack. In Spree sei schon vor Jahrzehnten Auerwild gezüchtet und ausgesetzt worden. Das Projekt war, wie viele andere in ganz Deutschland auch, nicht erfolgreich. „Der Leiter war damals Siegfried Bruchholz“, erinnert sich Garack. „So ist auch der Name für den neuen Auerhahn zustande gekommen.

Wer Siegfried in bewohnter Umgebung oder auch im Wald entdeckt, soll sich an den Nabu wenden. Angst, dass auch Siegfried dann eingefangen wird, braucht aber niemand zu haben. Bis jetzt hält sich der Auerhahn sehr viel weniger als sein Vorgänger in bewohnten Gebieten auf. „Ohnehin bekommt jedes Tier seine zweite Chance“, erzählt Markus Bathen. Auch der Hähnichener Auerhahn wird voraussichtlich in den nächsten Tagen freigelassen. Den Fall, dass ein Tier eingefangen worden ist, gab es schon mehrfach. Bis jetzt hat jedes seine zweite Chance in freier Wildbahn genutzt. Glück für das polnische Projekt. Denn jeder einzelne Auerhahn ist nicht nur extrem selten, sondern auch teuer: Der Staatsforst, nationale Förderprogramme und die Europäische Kommission fördern das Projekt mit gut 5,3 Millionen Euro.

Siegfried verabschiedet sich vielleicht ohnehin bald von der Oberlausitz. „Der rote Strich über den Augen ist schon sehr stark gefärbt. Das heißt, dass langsam die Hormone verrückt spielen“, sagt Ernst Gottschlich. Heißt: Bald wird Siegfried sich auf den Weg zur Balz machen, vielleicht auf einem Balzplatz im polnischen Gebiet. Ob er dann zurückkommt, vielleicht gar mit Henne und Küken? Abwarten.