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Europas Mitte statt Sachsens Rand

Die vogtländische Stadt Adorf ist ein Beispiel dafür, wie Regionen länderübergreifend zusammenwachsen.

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Claudia Drescher und Katrin Mädler

Adorf. Mit prüfendem Blick und geübten Fingern öffnet und schließt Jiri Zahradnik einen pinkfarbenen Cello-Koffer. Er ist in der Etuiproduktion von Gewa Music für die Qualitätskontrolle zuständig und einer von 14 tschechischen Mitarbeitern des Adorfer Instrumentenhändlers und -herstellers. Lange hätten nur in der Fertigung Menschen aus dem Nachbarland gearbeitet, berichtet Winfried Holl, Geschäftsführer für Produktmanagement und Einkauf. Doch seit 2010 beschäftigt das Unternehmen Tschechen in allen Bereichen - angefangen bei der Logistik, über Instrumentenbauer bis hin zu Karel Sandner.

Die Feuerwehrmänner Marcel Damme, Christian Damme, Florian Fischer und Mark Träger (l-r) treffen sich um Tschechisch zu lernen.
Die Feuerwehrmänner Marcel Damme, Christian Damme, Florian Fischer und Mark Träger (l-r) treffen sich um Tschechisch zu lernen. © dpa
Rico Schmidt ist der Bürgermeister von Adorf: Die Mitarbeiter der Verwaltung haben extra einen Tschechisch-Kurs belegt.
Rico Schmidt ist der Bürgermeister von Adorf: Die Mitarbeiter der Verwaltung haben extra einen Tschechisch-Kurs belegt. © dpa

Als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft in Kraslice verantwortet er den Vertrieb von Instrumenten, Instrumentenkoffern und unzähligen Zubehörteilen auf dem tschechischen Markt. „Wir verzeichnen fast jedes Jahr zweistellige Wachstumsraten“, meint Sandner. Doch die Vogtländer profitieren nicht nur vom Absatzmarkt, sondern auch vom Know-how im grenzüberschreitenden Musikwinkel. Denn dass heute wieder 40 Prozent der 270 Mitarbeiter in der Fertigung arbeiten, verdanken sie auch einem tschechischen Zulieferer.

Das Unternehmen stellt für Gewa Carbonschalen her. Aus den Rohlingen werden dann in Adorf äußerst stabile und gleichzeitig sehr leichte Instrumentenkoffer, mit denen das Unternehmen auf dem Weltmarkt ganz vorn mitspielt. „Das Know-how haben wir in Deutschland so nicht gefunden“, sagt Holl. Den Tipp habe er von einem tschechischen Mitarbeiter bekommen.

„Die grenzüberschreitende Kooperation hat sich in den letzten Jahren verstetigt“, bestätigt Christoph Neuberg, Geschäftsführer für Industrie und Außenwirtschaft der IHK Chemnitz. Der sächsische Außenhandel mit Tschechien erlebe sogar einen regelrechten Boom. So sei im vergangenen Jahr das Importvolumen mit 4,36 Milliarden Euro um acht Prozent gegenüber 2015 gestiegen, der Export mit 1,74 Milliarden Euro um fünf Prozent. Eine Selbstverständlichkeit sei das grenzüberschreitende Miteinander aber noch immer nicht. Nach Neubergs Ansicht sollten noch mehr Unternehmen den Marktplatz Tschechien vor der eigenen Haustür erkennen. Gleichzeitig behinderten jedoch Infrastrukturdefizite den grenzüberschreitenden Handel.

Neben der Wirtschaft streckt auch die Stadt selbst ihre Fühler immer mehr in Richtung Tschechien aus. Nachdem im vergangenen Jahr bereits die Stadtverwaltung einen Tschechisch-Kurs gemacht hat, pauken jetzt die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr tschechische Vokabeln für Begriffe etwa wie Atemschutzmaske oder Einsatzleiter. „In zwölf Unterrichtseinheiten werden feuerwehrspezifische Redewendungen und Allgemeinwissen vermittelt“, erläutert Stadtwehrleiter Steffen Neudel. Zusammen mit der Feuerwehr von Bad Elster heißt es für 26 Kameraden immer mittwochs „Dobrý vecer!“ (Guten Abend).

Grund für den Lehrgang ist ein gemeinsames EU-Projekt von Adorf, Bad Elster und dem tschechischen Krásná. Für rund eine Million Euro werden unter anderem ein neuer Tanklöschzug angeschafft und die drei Wehren besser vernetzt. „Wir wollten diese Chance nutzen, dann klappt es mit der Verständigung bei gemeinsamen Einsätzen und Treffen besser. Das Interesse unter den Kameraden ist groß“, sagt Neudel. Auch für Adorfs Bürgermeister Rico Schmidt ist das Projekt der logische nächste Schritt. „Die Region wächst immer weiter zusammen, da gehört die Hilfeleistung im Notfall einfach dazu.“

Ebenso wie die wichtigsten Sätze auf Tschechisch, findet Schmidt. Viele Tschechen im Grenzgebiet würden gut Deutsch sprechen, doch umgekehrt lerne man in den Schulen noch immer Russisch anstelle der Nachbarsprache. „Logisch ist das nicht und es wäre sinnvoll, wenn sich das zumindest in der Grenzregion ändert.“

Vielleicht schon im neuen Schuljahr könnte in der Adorfer Oberschule nun endlich Tschechisch auf dem Lehrplan stehen. Gerade für die Jugend könne es nur gut sein, das Vogtland nicht als letzten Zipfel von Sachsen zu begreifen, sondern als die Mitte Europas, meint Schmidt. Fachkräfte würden längst auf beiden Seiten der Grenze gesucht.

Die Kindergartenkinder der 5000-Einwohner-Stadt schnuppern schon regelmäßig in die Nachbarsprache hinein. Neben Besuchen der Partnerkita in Treben vermittelt jede Woche eine Sprachanimateurin auf spielerische Weise Tschechisch. „Sie ist einfach im Tagesablauf dabei, etwa beim Frühstück oder Zähneputzen“, sagt Carolin Richter, Leiterin der Kita Zwergenland. Es gehe nicht darum, Vokabeln zu pauken, sondern die Neugier der Kinder zu wecken und Hemmschwellen abzubauen - in erster Linie bei den Eltern. (dpa)