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„Es ist schwer für mich zu sehen, wenn er lacht“

In Zwickau läuft der Prozess zum Mord an Heike Wunderlich. Ihr Todestag jährte sich jetzt zum 30. Mal. Für die Familie ist das Geschehene immer präsent.

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© dpa

Von Martin Kloth und Claudia Drescher

Frank Wunderlich ist fast immer da. Er sitzt im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Zwickau. Sein Rücken zeigt zu den Besuchern, ihm gegenüber nimmt der Richter Platz. Von 21 Prozesstagen hat der 43-Jährige nur drei verpasst. Verhandelt wird der Fall seiner Schwester Heike. Ihre Ermordung hat sich am Sonntag zum 30. Mal gejährt. „Das ist immer noch mit vielen Emotionen verbunden. Die sind auf jeden Fall gleichbleibend“, sagt Frank Wunderlich.

© Harry Haertel

Wenn er von seinem Platz als Nebenkläger auf die Zeugen schaut, hat er auch freie Sicht auf den Mann, den er für den Mörder seiner Schwester hält. Helmut S. – ein 61 Jahre alter Frührentner aus dem thüringischen Gera – soll laut Staatsanwaltschaft die damals 18-jährige Heike Wunderlich am 9. April 1987 in einem Wald nahe Plauen im Vogtland vergewaltigt und getötet haben. „Der Todestag ist bei uns immer präsent“, sagt Frank Wunderlich.

Wegen Sexualdelikten vorbestraft

Seine Schwester war mit ihrem Büstenhalter und dem Slip erdrosselt worden. Der Angeklagte sitzt seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft, weil seine DNA dank verfeinerter Untersuchungs- und Analysemethoden am BH der Toten gefunden wurde. Die genetische Spur fand sich allerdings an nur einer einzigen Stelle. Das Thema ist komplex. Am 24. April soll eine Rekonstruktion Aufschluss darüber bringen, wie die DNA dorthin gelangt sein kann.

Die Spur ist der bislang einzige Beweis, der gegen den Angeklagten spricht. Dass sie von ihm stammt, steht außer Frage. Und sonst? Helmut S. ist wegen Sexualdelikten vorbestraft. Seine Biografie ist gespickt von Gefängnisaufenthalten – und seine Halbschwester hat ihn im Zeugenstand der versuchten sexuellen Nötigung im Teenageralter bezichtigt.

Frank Wunderlich hat sich das ebenso angehört wie die Ergebnisse der Obduktion seiner Schwester. Qualvoll war sie gestorben, hatten die Rechtsmediziner gefolgert, mit zahlreichen Verletzungen im Genitalbereich. Gefunden wurde die Stickerin einen Tag nach der Tat unweit ihres Mopeds. Sie lag auf dem Bauch und war nackt.

Schon seit fast vier Monaten sucht die Kammer nach der Wahrheit. Doch auch nach 21 Verhandlungstagen gibt es noch immer zahlreiche Fragen und Rätsel. Wo ist der Film, der neben den Fotos am Tatort aufgenommen wurde? Warum ist keine Blutprobe mehr von Heike Wunderlich vorhanden? Weshalb ist eine bei der Obduktion in der Leiche gefundene Münze verschwunden? Wie sind sich Täter und Opfer begegnet? Die Verteidigung hält die Münze wegen einer psychologischen Täterbeurteilung für wichtig. Die Nebenklage hält dagegen. „Es ist nicht der Entlastungsbeweis verschwunden“, sagt Anwalt Guido Zengerle.

Und dann bleibt die Frage: Ist der Angeklagte tatsächlich der Täter? Neben der Tatsache, dass drei Jahrzehnte seit der Tat vergangen sind, hat der Fall noch eine weitere Tücke. Helmut S., ein gebürtiger Zwickauer, ist nach einem Schlaganfall im Jahr 2012 halbseitig gelähmt. Zu den Vorwürfen hat er sich bisher nicht geäußert. Sprechen fällt ihm schwer. Pro Tag ist Helmut S. laut einem Gutachten nur für maximal zwei Stunden – mit einer Pause dazwischen – verhandlungsfähig. Dennoch ist er seit Anfang März nicht mehr im Haftkrankenhaus Leipzig untergebracht, sondern in der Justizvollzugsanstalt Zwickau.

„Wir spucken auf Dich“

Seine Pflichtverteidiger sagen, dass es aufgrund der Einschränkungen nicht nur Verständigungs-, sondern auch Verständnisprobleme mit ihrem Mandanten gebe. Unklar ist, ob Helmut S. schuldfähig ist. Sollte die Staatsanwaltschaft dies von einem forensischen psychiatrischen Gutachter beurteilen lassen wollen, werde er einen Antrag wohlwollend prüfen, sicherte der Vorsitzende Richter Klaus Hartmann zu.

Die Beobachtungen von Frank Wunderlich sind andere. Man sehe, dass der Angeklagte mit den Anwälten kommuniziere. „Es ist schwer für mich zu sehen, wenn er lacht.“ Unmittelbar im Anschluss an seine Vernehmung hatte Wunderlich Helmut S. Schauspielerei vorgeworfen und ihn verbal attackiert. „Die Gesundheit ist uns egal. Wir spucken auf Dich.“

Fortgesetzt wird der Prozess am 19. April. Bis Mitte August hat das Gericht mehr als 40 Verhandlungstage terminiert. Die Verfahrensdauer macht der Familie von Heike Wunderlich zu schaffen. Frank Wunderlich wünscht sich ein schnelles Ende. „Je länger es dauert, desto schwieriger ist es für uns – vor allem für die Mutter“, sagt er. (dpa)