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Erste Urteile nach Angriff auf Connewitz

Mehr als 100 Beschuldigte sind bereits angeklagt, viele davon aus der Neonazi- und der Hooligan-Szene.

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© picture alliance / dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Am Abend des 11. Januar 2016 marschieren mehr als 200 vermummte Neonazis in Leipzigs linksalternative Hochburg Connewitz ein. Während Legida in der Innenstadt polarisiert und die frühere Pediga-Frontfrau Tatjana Festerling zu Straftaten aufruft, passiert genau das in der Leipziger Wolfgang-Heinze-Straße: 23 Läden werden angegriffen, Scheiben eingeschlagen und mindestens 16 Autos demoliert. Das Justizministerium spricht später von 112 000 Euro Schaden.

Nachdem sich die Aufklärung des militanten, durchorganisierten Angriffs lange Zeit hingezogen hat, kommt jetzt Bewegung in die Strafverfahren: Die Leipziger Staatsanwaltschaft hat mittlerweile 106 von 216 Beschuldigten bei mehreren Amtsgerichten wegen besonders schweren Landfriedensbruchs angeklagt, erklärte Behördensprecherin Jana Friedrich auf SZ-Nachfrage. 14 der mutmaßlichen Mittäter müssen sich demnach vor Schöffengerichten verantworten, wo ihnen in der Regel höhere Strafen drohen. 72 Beschuldigte sind wegen Vergehen bei Strafrichtern angeklagt. 20 Angreifer werden nach Jugendstrafrecht behandelt.

Auch die übrigen Verfahren könnten in den nächsten Wochen abgeschlossen werden, sagte Friedrich. Dabei werden fast immer gleich zwei Tatverdächtige gemeinsam angeklagt, um die Amtsgerichte von den zahlreichen Prozessen zu entlasten. Die rechtsradikalen Angreifer waren in jener Connewitzer Nacht von der Polizei in einer Seitenstraße eingekesselt worden, ihre Personalien wurden allesamt aufgenommen. Die Verfahren gegen elf Beteiligte gaben die Leipziger Ermittler später an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden ab, da auch Verbindungen zu anderen Neonazi-Vereinigungen näher untersucht wurden. Einer von ihnen, der 27-jährige Florian N., wurde im August als Mitglied der „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD) am Dresdner Landgericht verurteilt. Die Connewitz-Attacke ging dabei mit einem Jahr und vier Monaten Haft in seine Gesamtstrafe ein. Er hat allerdings Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt.

Am Dresdner Amtsgericht wurde zudem ein 20-Jähriger verurteilt. Er soll nicht nur in Connewitz dabei gewesen sein, sondern auch bei den Krawallen an der Heidenauer Asylbewerber-Unterkunft Polizisten angegriffen haben. Er legte ebenfalls Revision gegen das Urteil ein. Bei beiden Verurteilten sei eine Beteiligung an dem gewalttätigen Einmarsch in Connewitz festgestellt worden, berichtete das Justizministerium. Gegen vier weitere Leipziger Friedensstörer wird derzeit am Dresdner Landgericht verhandelt – ebenfalls als Mitglieder der FKD. Ein weiterer Fall liegt derzeit beim Generalbundesanwalt. Im Raum steht dabei auch der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Bei dem Überfall hatten sich mehr als 200 Neonazis, Hooligans und Anhänger ähnlicher Gruppierungen zu ihrem Angriff gezielt verabredet. Während viele Anhänger der linken und linksextremen Szene in der Innenstadt gegen einen Legida-Aufmarsch protestierten, fielen die Rechtsextremisten in Connewitz ein. Sie zogen durch die Straße, warfen Steine und Böller, zündeten Feuer. Getroffen wurden nicht nur szenetypische Lokale, sondern auch ein Buchladen, ein Raumausstatter, ein Musikalienhändler, ein Waschsalon und andere Geschäfte. Besonders schwer beschädigt wurde ein Döner-Imbiss.

Laut einer Aufstellung des Innenministeriums gehörten etliche Tatverdächtige den gewaltbereiten Fanszenen von Lok Leipzig und Dynamo Dresden an, einige von ihnen waren als „Gewalttäter Sport“ polizeibekannt. Selbst das Landesamt für Verfassungsschutz kannte bei 77 Beschuldigten Bezüge zur rechtsextremen Szene.

Justizsprecherin Friedrich betonte, dass es sich nicht nur wegen der hohen Zahl der Beschuldigten um ein aufwändiges Verfahren handelt. „So mussten unter anderem eine Vielzahl von Spuren und Datenträgern untersucht und ausgewertet werden, um für eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts zu sorgen.“ Dabei müsse jedem Einzelnen dessen individuelle strafrechtlich relevante Beteiligung nachgewiesen werden, betonte Friedrich. Gewalttätig reagierten auch Autonome: Sie attackierten einen Bus mit festgenommenen Rechtsradikalen und zündeten Autos an. Auch gegen sie laufen etliche Verfahren.