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„Er will immer Sex“

Ein Bautzener steht wegen schwerer Vergewaltigung vor Gericht – ein besonders perfider Fall, aber kein einzelner.

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© Jens Kaczmarek

Von Jana Ulbrich

Bautzen. Irgendetwas ist komisch: Eigentlich will Monika N. an diesem zweiten Weihnachtsfeiertag schon früh um neun zum großen Familienfrühstück bei ihren erwachsenen Kindern in Dresden sein. Dass sie nicht pünktlich ist, ist ungewöhnlich. Dass sie nicht ans Handy geht, ist ungewöhnlich. Dass ihr sehr schlecht sei und sie am helllichten Vormittag noch schlafe, wie die Kinder auf ihre vielen Anrufe hin dann endlich vom damaligen Freund der Mutter erfahren, ist auch ungewöhnlich.

Wie ein schlechter Krimi

Der damalige Freund ist Gerald F. aus Bautzen. An diesem Mittwoch trägt er Handschellen und wird von zwei Polizeibeamten in den großen Schwurgerichtssaal des Bautzener Landgerichts geführt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 56-Jährigen schwere Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung vor. Die Anklage hört sich an wie ein schlechter Krimi:

Gerald F. soll seine Freundin Monika am ersten Weihnachtsfeiertag 2016, gegen 15.30 Uhr, zum Kaffeetrinken zu sich nach Hause eingeladen haben. Unbemerkt soll er ihr bei der Gelegenheit das verschreibungspflichtige, starke Beruhigungsmittel Tavor in den Kaffee getan haben. Sein Ziel sei es gewesen, die Frau in einen wehr- und willenlosen Zustand zu versetzen, um sich so ungehindert an ihr vergehen zu können. Vom Nachmittag an bis zum nächsten Vormittag soll er siebenmal Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt haben. Ärzte werden später feststellen, dass er ihr das Beruhigungsmittel in einer derart starken Dosis verabreicht haben muss, dass sie auch hätte ins Koma fallen und ersticken können.

Kurz vor dem Mittag bringt er Monika N. mit seinem Auto zur Familie nach Dresden. Er liefert sie nur kurz an der Wohnungstür ab und ist gleich wieder verschwunden. Auf ihre Kinder macht sie einen verwirrten und verstörten Eindruck. Sie kann sich allein nicht auf den Beinen halten, kann sich an nichts erinnern, weiß nicht, wo sie ist, und redet nur schwerfällig und zusammenhanglos. „Komisch fanden wir auch, dass sie eine Jogginghose anhatte“, sagt ihr Sohn später als Zeuge vor Gericht. „Sie wäre doch am Weihnachtsfeiertag nicht in Jogginghosen zu uns gekommen. Und sie hatte die Hose auch noch verkehrt herum an.“

Familie holt den Notarzt

Weil Monika N. so langsam spricht und so starr vor sich hin blickt, vermutet der Schwiegersohn einen Schlaganfall. Die Familie wählt den Notruf. Auch dem Notarzt kommt Frau N. komisch vor. Er kann keinen Schlaganfall feststellen, keine äußeren Verletzungen, keine Abweichungen im EKG. Dafür ein auffällig unnormales Verhalten. „Es deutet alles auf eine Vergiftung hin, auf ein sehr starkes Beruhigungsmittel“, sagt der Assistenzarzt für Anästhesie. Er hat auch sehr schnell den Verdacht, dass sie dieses Mittel nicht selbst eingenommen hat. „Warum hätte sie das denn tun sollen?“, fragt er sich.

Später im Notarztwagen versucht er, seiner Patientin irgendetwas zu entlocken über das, was passiert sein könnte. Zwei Sätze sind es, die ihn dann sofort dazu bewegen, die Polizei zu rufen: „Vielleicht hat er mir ja etwas in den Kaffee getan“, sagt Monika N. und: „Er will immer Sex“.

Der Angeklagte schweigt

Es ist ein besonders schwerer und perfider Fall einer Vergewaltigung, den die Richter in Bautzen jetzt klären und beurteilen müssen. Aber es ist kein Einzelfall. Nahezu täglich werden bei der Polizeidirektion Görlitz mehr oder weniger schwere Fälle von Missbrauch, Vergewaltigung oder sexueller Nötigung angezeigt. Ein großer Teil davon ereignet sich im Bekannten- und Verwandtenkreis. Allein im vergangenen Jahr zählt die polizeiliche Kriminalstatistik 328 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – alle begangen in den Landkreisen Bautzen und Görlitz.

„Die Geschädigten sind in der überwiegenden Mehrzahl weiblich, zumeist erwachsene Frauen, aber auch Heranwachsende, Jugendliche oder gar Kinder“, sagt der Görlitzer Polizeisprecher Thomas Knaup. Ebenso würden sich Opfer und Täter meistens kennen. „Die angezeigten Fälle geschehen in der überwiegenden Mehrzahl im häuslichen Bereich.“

Gerald F. hat bisher zu den schweren Vorwürfen gegen ihn geschwiegen. Auch deshalb macht sich in diesem Fall für die Große Strafkammer des Landgerichts unter dem Vorsitz von Vizepräsidentin Carmen Becker ein Mammut-Prozess erforderlich. Die Beweisaufnahme muss sich zum größten Teil auf die Aussagen von zahlreichen Zeugen und medizinischen Sachverständigen stützen. Fünf Verhandlungstage sind bereits angesetzt. Dem 56-jährigen Bautzener, der seit Januar in Untersuchungshaft sitzt, droht bei einer Verurteilung eine lange Freiheitsstrafe von mindestens drei bis zu 15 Jahren.