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Endstation Flughafen

Bundespolizist Lars Rose eskortiert abgelehnte Asylbewerber in die Heimat. Die SZ traf ihn vor dem Start nach Tirana.

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© Daniel Förster

Von Jörg Stock

Er trägt Zivil. Schwarzes Sakko, weißes Hemd, Jeans, als wollte er eben ausgehen. Doch der Polizeihauptkommissar Lars Rose ist im Dienst. Es kann ein Einsatz der Extreme werden, das zeigt der Inhalt seiner Taschen an: links eine Handvoll Bonbons, rechts die Handschellen. Latexhandschuhe hat er auch einstecken. Womöglich muss er ganz schnell jemandem ganz nahe kommen, vielleicht sogar in den Mund greifen. Es ist schon passiert, dass einer im letzten Moment ein Feuerzeug verschluckt hat. Feuerzeuge dürfen nicht ins Flugzeug. Auch dann nicht, wenn sie im Bauch eines Menschen stecken.

Das Terminal A im Airport Leipzig-Halle ist Sperrgebiet. Schon seit Jahren. Von hier aus flog die US-Army Soldaten in den Irak und nach Afghanistan. Auf dem Klo liest man noch Grüße von GIs aus Kalifornien, Oklahoma und Kansas City. Seit die Amis weg sind, nutzt die Bundespolizei das Terminal für „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“, für die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Draußen, auf dem Rollfeld, parkt schon der gecharterte Airbus einer deutschen Fluggesellschaft. Er soll heute gut 160 Menschen in die Hauptstadt Albaniens, nach Tirana, fliegen.

Lars Rose fliegt mit. Der 40-jährige Beamte, drahtig, schmales Gesicht, blaugraue Augen, Mundwinkel, die gern ein leises Lächeln umspielt, ist Dienstgruppenleiter bei der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel. Aber er ist auch einer von bundesweit über 600 „Personenbegleitern Luft“. Er eskortiert erfolglose Asylbewerber in die Heimat. Rose ist nicht sein richtiger Name. Der Polizist will Anfeindungen vorbeugen. Er weiß, dass der Job ihm „keine Blumensträuße“ einbringt. Zu seinem Auftrag aber steht er. Ist der Asylantrag abgelehnt, kein Rechtsmittel mehr übrig, die Frist zur freiwilligen Ausreise verstrichen, dann, so sagt er, ist Rückführung die letzte Konsequenz. „Was Recht ist, muss Recht bleiben.“

9 Uhr. Stimmengewirr füllt die unwirtlich graue Abfertigungshalle. Die Passagiere treffen ein. Landespolizisten in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern haben sie in aller Frühe aus den Quartieren geholt und in den Bus gesetzt. Meist ohne Warnung. Seit der Asylgesetzreform Ende 2015 ist das die Regel. Betroffene sollen keine Chance kriegen, vorher abzutauchen. Lars Rose ist sicher: Viele Abschiebekandidaten werden heute trotzdem nicht aufzufinden sein oder aus anderen Gründen von der Rückführung verschont bleiben. Deshalb stehen mehr als zweihundert Namen auf der Liste, obwohl nur 161 Sitzplätze gebucht sind. Eine Sammelabschiebung wie diese kostet den Staat um die 70 000 Euro. Da soll kein Platz leer bleiben.

Die Ankömmlinge treten einzeln in die Halle. Junge Leute sind es zumeist, Familien mit Kindern. Babys sind dabei. Einer von Roses Kollegen erklärt ihnen via Dolmetscher, was geschieht. Das Großgepäck wird abgegeben. Kleine Taschen und Beutel stecken die Beamten in blaue Plastesäcke, die sie mit Klebeband verschließen. Handgepäck ist den Abgeschobenen nicht erlaubt. Im Flieger soll alles überschaubar ablaufen. Das Kramen in Taschen könnte stören. Handys werden in Tütchen gesteckt und vorübergehend eingezogen. Man will verhindern, dass Fotos von der Abschiebung im Netz landen. Wenn einer telefonieren will, darf er ein Diensthandy nutzen.

Während die Polizisten des Flughafenreviers Pässe scannen und den Vermerk „Abgeschoben“ hineinstempeln, werden die Passinhaber hinter zeltartigen Sichtblenden durchsucht. Die Beamten fahnden nach gefährlichen Gegenständen. Sie müssen damit rechnen, dass Menschen ihren Abflug mit aller Macht verhindern wollen, auch durch Selbstverletzung. Wer ins Krankenhaus muss, wird nicht abgeschoben. Rasierklingen stecken in den Haaren oder unter der Hornhaut der Hände. Einmal, erzählt Lars Rose, hatte jemand eine verpackte Klinge geschluckt und das Päckchen mit einem Faden am Zahn festgebunden, um es später wieder herausziehen zu können.

Machen ihn solche Verzweiflungstaten nachdenklich? Rose überlegt. Jedenfalls lassen sie ihn nicht kalt. Er und seine Leute, sagt er, sind nicht die harten Jungs, die eine Maßnahme durchpeitschen, die Leute in den Flieger packen und irgendwo rauswerfen. „Wir lassen uns auf die Menschen ein.“ Während der stundenlangen Flüge hört sich der Hauptkommissar ihre Geschichten an, ihre Erlebnisse in Deutschland. Interessant, diesen Blickwinkel kennenzulernen, findet er. Klar, die Leute erzählen ihm auch von den Problemen daheim und davon, wieso sie nicht dahin zurückwollen. Lars Rose meidet Diskussionen in dieser Frage. Er weiß nicht, was von all den Erzählungen Wahrheit ist und was Legende. Das muss er auch nicht wissen. Ob eine Abschiebung gerechtfertigt ist oder nicht, entscheiden andere, sagt er. „Ich bin nur die ausführende Instanz.“

Die Abfertigung läuft. Ein banaler Vorgang. Wer durchsucht ist, geht nach nebenan in den Warteraum. Keiner regt sich auf. Die Gesichter der Leute sind leer. Die Hoffnung ist längst aus ihnen gewichen. Seit Albanien als sicheres Herkunftsland gilt, wird kaum noch ein Albaner als Flüchtling anerkannt. Von über 10 000 albanischen Asylgesuchen, die im Februar bundesweit entschieden wurden, sind noch nicht einmal dreißig positiv ausgegangen.

Lars Rose mustert die Passagiere, mit denen er den Nachmittag in der Luft verbringen wird. Heute sind weder gewalttätige Straftäter an Bord, noch gibt es Anzeichen für Widerstand. Es wird ein ruhiger Flug werden, denkt Rose, so wie meistens, wenn es auf den Balkan geht. Liegt das Ziel in Afrika, kommt es eher zu „Widerstandshandlungen“. Dann versucht er es mit reden. Luftbegleiter werden darin geschult. „Kommunikation ist unsere beste Waffe.“

Aber es gibt auch noch den „Body Cuff“, den Bauchgurt mit Handschellen. Einmal hat Rose einen Nigerianer damit fesseln müssen, weil der trotz stundenlangen Zuredens nicht die Gangway hinaufsteigen wollte. Eingeschnürt trug man den jungen Mann ins Flugzeug, wo er den Widerstand mit Kopfstößen und Spuckattacken fortsetzte. Die Fessel musste er bis zur Landung in Lagos tragen. Keine wohlfeile Lösung für die Polizei. Wer gefesselt reist, den müssen drei Beamte zugleich betreuen, jeder mit einem Gurtmesser am Mann, um die Person notfalls sofort loszuschneiden.

Kurz nach halb zwölf. Der Abflug rückt näher. Aufgekratzt gucken Kinder zwischen stämmigen Polizisten und Sperrgittern hindurch auf den Vorplatz des Terminals. Gleich werden hier die Busse halten, die aufs Rollfeld fahren. Für die Kinder hat Lars Rose die Bonbons eingesteckt. Bonbons lutschen hilft beim Druckausgleich, wenn der Flieger abhebt. Es geht ihm nahe, wenn ein Kind bei seinen traurigen Eltern gleichfalls traurig auf der Holzbank sitzt. Kinder haben feine Antennen für Gefühle. Denn auch er hat Kinder.