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Leppersdorf trauert, Dissen feiert

Erst erschreckte Theo Müller die Belegschaft von Homann Feinkost mit dem Umzug nach Sachsen. 500 Millionen Euro wollte er in Leppersdorf investieren. Nun die Kehrtwende.

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© Jürgen-M. Schulter

Von Tobias Wolf, Thomas Drendel, Michael Rothe und Annette Binninger

Nach monatelangem Hin und Her ist seit Freitag klar: Homann Feinkost wird nicht von Niedersachsen nach Sachsen umziehen. Der Aufsichtsrat der Unternehmensgruppe Theo Müller, zu der Homann gehört, habe das bisherige Standortkonzept überprüft und sich für den Verbleib in Niedersachsen entschieden. Das teilte Müller-Sprecher Alexander Truhlar mit. Für Leppersdorf bei Radeberg ist diese Kehrtwende eine schlechte Nachricht. Immerhin wollte Müller hier rund 500 Millionen Euro für die Ansiedlung des Feinkostwerks investieren und neue Arbeitsplätze schaffen.

Die Homann-Salate kommen weiter aus Dissen. Rund 200 Millionen Euro wird die Müller-Gruppe in die Werke Dissen, Lintorf, Bottrop und Rogätz investieren.
Die Homann-Salate kommen weiter aus Dissen. Rund 200 Millionen Euro wird die Müller-Gruppe in die Werke Dissen, Lintorf, Bottrop und Rogätz investieren. © Hermann Pentermann/dpa

Vor rund einem Jahr hatte sich Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig bereits öffentlich über die Entscheidung von Konzernchef Müller gefreut, ein neues Werk in Leppersdorf „anzubauen“. Das spreche „für die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Sachsen“. Für Sachsen hätte dies ein sattes Plus von 800 Jobs bedeutet – inklusive einer politisch brisanten Situation. Denn der Neubau hätte das Aus im Stammwerk Dissen sowie in drei weiteren Fabriken bedeutet. Und dafür hätte Müller auch noch die ihm zustehenden staatlichen Fördermittel erhalten. Waren zunächst 25 Millionen Euro im Gespräch, hieß es zum Jahreswechsel, dass rund elf Millionen Euro zur Verfügung stünden.

Die Empörung in Westdeutschland war mindestens so groß wie die Erleichterung über den am Freitag verkündeten Stand–orterhalt. „Für uns und unsere Kollegen ist das eine super Sache“, sagt Betriebsrat Andreas Straede. „Allen ist ein Stein vom Herzen gefallen.“ Ob die Freude dort in den nächsten Jahren anhalten wird, bezweifeln Beobachter allerdings. Wegen der angekündigten Schließung sollen bereits viele langjährige Fach- und Führungskräfte gekündigt haben. In einer Betriebsversammlung informierte die Geschäftsleitung am Freitag die Angestellten in Dissen. Über 141 Jahre produziert Homann in der Kleinstadt am Teutoburger Wald, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg rund um das Werk entwickelt hat. Etwa 1 200 Menschen arbeiten im Kreis Osnabrück für die Firma, die im vergangenen Jahr rund 640 Millionen Euro Umsatz machte.

Zum Jahreswechsel hatte es erste Hinweise auf einen Kurswechsel gegeben. Die Verlagerung der Homann-Produktion werde überprüft, weil sich „gewisse Rahmenbedingungen“ geändert hätten, hieß es damals. Welche das sind, wollte das Unternehmen nicht kommentieren. Statt in Leppersdorf will Müller nun rund 200 Millionen Euro in die Homann-Werke Dissen, Lintorf, Bottrop und Rogätz investieren.

„Unternehmerisch verkalkuliert“

In Sachsen bemüht man sich jetzt um Schadensbegrenzung. Müller wolle in den nächsten Jahren 150 neue Jobs schaffen und 250 Millionen Euro in Leppersdorf investieren. Das sei doch ein gutes Ergebnis, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Nicht die Landesregierung habe versagt, sondern das Management von Homann habe sich „unternehmerisch verkalkuliert“, sagt Ministeriumssprecher Jens Jungmann. Nach SZ-Informationen, die sich mit Aussagen aus Dissen decken, soll das Homann-Management von falschem Datenmaterial ausgegangen sein, falsche Umzugskosten berechnet haben - kurzum schwere Fehler gemacht haben.

Ganz unvorbereitet trifft Leppersdorf Müllers Entscheidung aber nicht. Schon vor drei Wochen hatte der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) entsprechende Andeutungen gemacht. Dennoch ist eine gewisse Enttäuschung zu spüren. „Die Ansiedlung des Homann-Werkes wäre ein Gewinn für die Gemeinde Wachau gewesen“, sagt der stellvertretende Bürgermeister Stefan Cyriax (CDU). Auf lange Sicht hätte das neue Werk wohl auch mehr Steuereinnahmen bedeutet. Die gute Entwicklung bei Müller-Milch in Leppersdorf werde aber weitergehen, das Werk weiter wachsen. Eine positive Seite kann er der Kehrtwende auch abgewinnen. „Der Straßenverkehr wird nicht so stark ansteigen. Wir sind jetzt schon an der Belastungsgrenze“, sagt er.

Die geplante Ansiedlung habe eine Entwicklung in der Region angeschoben. „Wegen der geplanten 800 Arbeitsplätze gab es Gespräche von Bürgermeistern mit der Landesregierung zur zügigen Schaffung von Wohngebieten. An diesem Ziel werden wir trotz der Absage weiterarbeiten.“

Für Dissen haben sich die Interventionen von Kommunal- und Landespolitik und der Protest Tausender Bürger inklusive Menschenkette gelohnt. „Auch wenn sie am Ende nicht entscheidend für den Sinneswandel des Konzerns waren“, sagt Bürgermeister Hartmut Nümann (SPD). „Ganz einfach: Die Vernunft hat gesiegt.“ Für Nümann ist die Entscheidung pro Dissen und gegen Leppersdorf folgerichtig. „Hier sind die Menschen, die Fachleute, und auch die Infrastruktur steht“, sagt er und: „Theo Müller hat sich zu sehr auf seine Experten verlassen, aber die haben scheinbar nicht zu Ende gedacht.“

Für Sachsen ist die Homann-Absage in diesem Jahr schon die zweite schwere Enttäuschung in der Ansiedlungspolitik. Auch Pläne für das Elektro-Auto-Werk eines chinesischen Investors in der Lausitz platzten. Mehr als 1 000 Jobs sollte es in die Region bringen, die gerade um Tausende Arbeitsplätze in der Braunkohle und bei Siemens zittert. Ex-Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) hatte noch im Herbst nach Gesprächen in Peking verlauten lassen, dass die Investition so gut wie sicher sei. Es gebe noch einen kleinen Grundstücksstreit, der sich dann doch als größer entpuppte. Am Jahresanfang sprangen die Chinesen ab.