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Ende eines Zeltlagers

Jahrzehntelang konnten Rollstuhlfahrer in Oelsa einen betreuten Sommerurlaub verbringen. Nun zog das DRK die Reißleine.

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© Egbert Kamprath

Von Annett Heyse und Henry Berndt

Sie hat alles aufgeschrieben, seitenweise. Ihre Vorfreude, ihre Erlebnisse, ihre Bekanntschaften. Viermal nahm Friederike (37) aus Dresden, genannt Fritzi, am Rollstuhlfahrer-Lager in Oelsa teil. Es war ihr Sommerurlaub, auf die Beine gestellt vom Deutschen Roten Kreuz in Freital, gemeinsam mit Dutzenden freiwilligen Helfern. „Ich bin so aufgeregt“, schreibt Fritzi in einem ihrer Berichte. „Es ist Anreisetag.“ Wegen ihrer Spastiken sitzt sie im Rollstuhl. Sie kann nicht sprechen und ist gehörlos. Aber sie kann Freude empfinden.

Wenn im Partyzelt die Stimmung steigt: Friederike (im roten Shirt) amüsierte sich vor zwei Jahren beim 26.DRK-Rollilager in Oelsa bei einem Tanzprogramm.
Wenn im Partyzelt die Stimmung steigt: Friederike (im roten Shirt) amüsierte sich vor zwei Jahren beim 26.DRK-Rollilager in Oelsa bei einem Tanzprogramm. © privat

28 Jahre lang boten die Rolli-Lager im Waldstadion von Oelsa, einem Ortsteil von Rabenau südwestlich von Dresden, eine sachsenweit wohl einmalige Gelegenheit für behinderte Menschen, gemeinsam zwei Wochen lang Spaß zu haben und dabei die Region zu erkunden. Mal machten sie eine Dampferfahrt auf der Elbe, mal besuchten sie das Karl-May-Museum in Radebeul. Auch eine Fahrt mit dem Einsatzfahrzeug der Freiwilligen Feuerwehr und ein Ausflug zur Felsenbühne Rathen standen auf dem Programm.

Kein Hilfeschrei

„Für alle Teilnehmer war es ein Höhepunkt des Jahres und für den Erhalt ihrer Lebensfreude ein für Außenstehende wohl kaum nachzuvollziehender Faktor“, sagt Monika, Fritzis Mutter. Sie ist nachdenklich, ja traurig. Vor einigen Wochen erhielt ihre Tochter einen Brief vom DRK. „Nach 28 Jahren Rollstuhlfahrerlager hat die Tradition ein Ende“, musste sie darin lesen. Bereits in diesem Jahr werde es keine Neuauflage mehr geben. „Wir bedauern die Entscheidung sehr, da uns dieses Event in den Jahren ans Herz gewachsen ist“, schreibt Andreas Ritter, der Vorstandsvorsitzende des DRK in Freital, weiter.

Hauptgrund sei der Mangel an ehrenamtlichen Helfern. „Schon im vergangenen Jahr war das Lager absolut auf Kante genäht“, sagt Ritter nun auf Nachfrage. „Es geht nicht, dass sich einer um drei Rollstuhlfahrer kümmert. Wir haben eine Verantwortung den Leuten gegenüber.“ Mindestens 20 bis 25 Ehrenamtliche wären nötig gewesen. Nach den Erfahrungen von 2015 sei das aber nicht mehr realistisch gewesen, zumal einige Interessenten die Aufgaben bei der Betreuung von Schwerstbehinderten offensichtlich unterschätzt hätten. In den vergangenen Jahren habe man diese Entwicklung noch durch mehr Angestellte aus dem Pflegedienst kompensiert. Das sei nun jedoch wegen des Fachkräftemangels „überhaupt nicht mehr darstellbar“. Ausdrücklich nichts zu tun habe das mit der Flüchtlingskrise, betont er.

Als Hilfeschrei will Ritter die Absage nicht verstanden wissen. „Wir werden so etwas nicht mehr anbieten, das ist eine grundsätzliche Entscheidung.“ Es ist spürbar, wie ihn das Thema wurmt. Carmen Gelbricht, die das Lager zuletzt leitete, ist für die SZ gleich gar nicht zu sprechen.

Für Fritzi und ihre Eltern war die kurzfristige Absage ein schwerer Schlag. „Trotz aller Bemühungen haben wir keine andere finanziell leistbare und behindertengerechte Urlaubsmöglichkeit für unsere Tochter gefunden“, sagt Monika. „Ihren Urlaub wird sie deshalb größtenteils im Wohnheim verbringen müssen.“

Simone Hagemann vom Allgemeinen Behindertenverband Deutschland bestätigt, dass es in Sachsen nicht viele bezahlbare Urlaubsangebote für Behinderte gibt. Der sächsische Ableger hat seine Zentrale im erzgebirgischen Marienberg. Hagemann und ihr kleines Team organisieren Sommerferien-Reisen für behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Dieses Jahr geht es in eine Jugendherberge auf die Insel Rügen. Für zehn Tage zahlen die unter 18-Jährigen 540 Euro, Erwachsene 560 Euro. Das ist schon etwas mehr, als übliche Ferienlager kosten. Zusätzliche Pflegekosten werden von der Pflegekasse getragen, soweit bei den Teilnehmern eine Pflegestufe attestiert wurde. Die Betreuer des Behindertenverbandes reisen ehrenamtlich mit. „Uns stellt sich aber das gleiche Problem: Ältere Helfer scheiden nach und nach aus, jüngere kommen nicht nach“, sagt Hagemann. Schon so müsse sie die Fahrt- und Unterkunftskosten für die Helfer in den Reisepreis der Teilnehmer einkalkulieren. „Müsste ich jetzt noch Helfer bezahlen, würde das die Reisekosten weiter nach oben treiben.“ Das könne oder wolle sich dann kaum noch jemand leisten.

Ein Funken Hoffnung

Auch in der Rabenauer Stadtverwaltung ist man traurig, dass nach 28 Jahren Rolli-Lager nun Schluss sein soll. „Ich bedauere die Entscheidung sehr, obwohl ich die Begründung mit den Personalsorgen nachvollziehen kann“, sagt Bürgermeister Thomas Paul (CDU). Die Stadt hatte das Waldstadion immer kostenlos zur Verfügung gestellt und auch weitgehend die Betriebskosten übernommen. Um den behinderten Mädchen und Jungen einen unvergesslichen Aufenthalt zu verschaffen, hatten Rabenau und DRK immer wieder an den Bedingungen gefeilt. So verbesserte und modernisierte das DRK stetig die Ausstattung des Zeltlagers, die Kommune wiederum hielt das Stadion in Schuss.

Jederzeit wäre man bereit, die Tradition wieder aufleben zu lassen, sagt der Bürgermeister: „Sollte sich die personelle Situation verbessern, werden wir gerne das Rolli-Lager wieder zu unterstützen.“ Ohne das DRK wird das allerdings kaum gehen.

Wenigstens einen Funken Hoffnung darauf macht ein Satz vom Sprecher des DRK-Landesverbandes Sachsen, Kai Kranich. „Wir werden Gespräche mit dem Kreisverband Freital führen, ob es vielleicht für die kommenden Jahre eine andere Lösung geben kann“, sagt er, betont jedoch im selben Atemzug, nichts versprechen zu können. „Es scheitert ja nicht am Geld. Da hätten sogar noch Mittel aus dem Kinderhilfsfond bereitgestanden.“ Aber wo partout keine Betreuer zu finden seien, dort gebe es eben auch keinen betreuten Sommerurlaub.