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Empörung über Stasi-Enthüllung

Ein früherer Stasi-Offizier will Bautzener Oberbürgermeister werden. Doch das stößt auf große Bedenken. Die Stadträte fordern sogar den Verzicht auf die OB-Kandidatur.

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© Uwe Soeder

Von Stefan Schramm

Das Bautzener Rathaus ist sein Ziel, genauer gesagt sogar dessen Chefsessel. Hans-Joachim Hentschel will Oberbürgermeister von Bautzen werden. Dabei ist der Unternehmensberater ein Mann mit Vergangenheit. Und die ist durchaus delikat: Hentschel soll von 1980 bis zur Wende ein hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi gewesen sein. Das hatte die SZ am Wochenende enthüllt. Wie aus einer Kader-Akte und seinen eigenen Angaben hervorgeht, war er fürs MfS als Verkehrsbeobachter tätig.

Hentschel hält diese Tätigkeit mit einer Bewerbung für das Bautzener Oberbürgermeisteramt für vereinbar. Unter anderem die Vertreter mehrerer Stadtratsfraktionen sehen das anders. Sie fordern den 57-jährigen Unternehmensberater dazu auf, seine Kandidatur zurückzuziehen. „Die Bewerbung ist inakzeptabel. Am besten ist, wenn er gar nicht erst antritt“, sagt Roland Fleischer, Fraktionschef der SPD im Stadtrat. Als hauptberuflicher Stasimitarbeiter sei Hentschel ein Träger des Unrechtsstaates DDR gewesen. „Offensichtlich hat er auch keinerlei Schamgefühl. Einen OB mit so wenig Unrechtsbewusstsein kann ich mir nicht vorstellen“, so Fleischer weiter.

Gegenüber der SZ hatte Hentschel unter anderem erklärt, ein „Ausnahmefall“ gewesen zu sein und nie jemanden „verpfiffen“ zu haben. „Egal, wie offen er damit umgeht oder auch nicht: Er ist für das Amt des Oberbürgermeisters einfach ungeeignet. Ganz gleich, ob die Stasi-Tätigkeit 25, 30 oder 40 Jahre zurückliegt“, bekräftigt Steffen Tech, Fraktionsvorsitzender des Bürgerbündnisses Bautzen (BBBz).

„Fraglich ist, ob er sich damit einen Gefallen tut. Ich würde an seiner Stelle nicht antreten“, sagt Linkenfraktionschefin Angela Palm über Hentschel. Sie hält den richtigen Umgang mit der Problematik aber für schwierig. So mahnt sie unter anderem an, genau zu unterscheiden, ob jemand strafrechtlich in Erscheinung getreten sei oder nicht. Hentschel habe das Recht anzutreten, so Palm. Dass die Kandidatur auch moralisch richtig wäre, bezweifelt sie aber.

Wähler müssen entscheiden

Alexander Ahrens, gemeinsamer Kandidat von BBBz, SPD und Linken für das OB-Amt, sagt: „Mit den Wölfen zu heulen, macht einen nicht zur moralischen Instanz, in keinem System. Eine hauptamtliche Stasi-Laufbahn war aber wohl mindestens ein Heulen mit den Wölfen.“ Schon deshalb würde Ahrens begrüßen, wenn Hans-Joachim Hentschel seine Kandidatur zurückziehen würde. Mache er dies nicht, wolle Ahrens die Entscheidung über seine Befähigung zum Amt den Wählern überlassen. „Dieses Votum wird deutlich ausfallen“, glaubt Alexander Ahrens.

„Ich kann die Bauchschmerzen verstehen, die mancher Bautzener dabei hat, will den Fall aber nicht weiter kommentieren“, erklärt Matthias Knaak, Chef der CDU-Fraktion im Stadtrat und selbst deren OB-Kandidat. Die Frage, ob eine Kandidatur und das OB-Amt mit einer Vergangenheit als MfS-Offizier vereinbar ist, müsse auf Basis geltender Gesetze eine Antwort finden. „Die moralische Frage, ob man mit dieser Vorgeschichte als OB-Kandidat antritt, steht im Raum, muss aber letztlich vom Kandidaten selbst beantwortet werden“, sagt Knaak.

Sein Mitbewerber Mike Hauschild, der im Stadtrat Chef der FDP-Fraktion ist, aber ohne sein Parteibuch als OB kandidiert, bezieht klar Stellung: „Hentschels Kandidatur vor diesem Hintergrund ist erschreckend und pietätlos.“, sagt Hauschild. Wäre Hentschel schon lange politisch aktiv und seine Vergangenheit längst bekannt, könne man eine Bewerbung als OB verstehen, so aber nicht. „Nun müssen die Wähler entscheiden, ob Hentschel 100 Unterschriften bekommt“, so Hauschild. Die sind nötig, um überhaupt zur Wahl antreten zu dürfen.

„Das ist an Instinktlosigkeit nicht zu überbieten, wenn ein ehemaliger hauptamtlicher Stasimitarbeiter ausgerechnet in der Stadt OB werden will, die durch ihr Stasigefängnis in der DDR einen zweifelhaften Ruf hatte“, beklagt sich Grünen-Stadtrat Claus Gruhl. Alexander Latotzky, Vorsitzender des Bautzen-Komitess, das sich die Aufarbeitung der Verbrechen kommunistischer Gewaltherrschaft in Bautzens Gefängnissen zum Ziel gesetzt hat, gibt ihm recht. Dass Hentschel infolge einer Verletzung Stasimitarbeiter wurde, hält Latotzky für ein Scheinargument. „Mit kaputtem Ellenbogen hätte man viele andere Arbeiten machen können und hätte nicht zur Stasi gemusst“, erklärt der Vereinschef. „Andere treten wegen ihrer Stasi-Verstrickung zurück, er will sogar noch für ein Amt antreten“, wundert sich Alexander Latotzky.

Der als Bautzener Lauentürmer bekannte Andreas Thronicker will auch zur OB-Wahl antreten. Er hatte sich einst für 25 Jahre als Berufssoldat der Nationalen Volksarmee verpflichtet, aber bereits 1987 um seine Entlassung gebeten, die ein halbes Jahr vorm Mauerfall im Range eines Hauptmanns erfolgte. „Ein Offizier der Staatssicherheit der DDR sollte keine Repräsentationsfunktionen bekleiden“, fordert Thronicker. Auch ihn habe das Ministerium für Staatssicherheit als Mitarbeiter gewinnen wollen. Doch er habe dies abgelehnt.