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Einige dachten, der Fall ist mein Hobby

Nach fast 30 Jahren gilt ein aufsehenerregender Mord nun als aufgeklärt. Aber der Kriminalist darf kaum darüber reden.

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© haertelpress

Von Thomas Schade

Enrico Petzold sitzt in der Klemme. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter in Sachsen zeichnet den 47-Jährigen heute mit dem Paul-Köttig-Preis aus, der wichtigsten Ehrung für Kriminalisten im Freistaat. Da muss der Kommissar aus der Zwickauer Mordkommission über den Fall berichten, für dessen Klärung er geehrt wird. Aber er fragte sich: „Was soll ich denen sagen?“

Seit 15 Jahren ermittelt Petzold nun in dem Mordfall, Anfang März erhielt er den entscheidenden Hinweis, am 16. April wurde erstmals ein dringend tatverdächtiger Mann festgenommen, seit einigen Wochen liegt die Anklage beim Zwickauer Landgericht. Das muss in den nächsten Tagen entscheiden, ob Beweise und Indizien reichen und dem 61-jährigen Mann namens Helmut S. aus Gera der Prozess gemacht werden kann. Petzold wird dann der wichtigste Zeuge sein. Deshalb ist er in diesen Tage so wortkarg. Dabei hat er viel zu erzählen über den rätselhaften Tod der Heike Wunderlich aus Altensalz an der Talsperre Pöhl.

Die 18-jährige Strickerin war am 9. April 1987 von ihrem Betrieb, dem VEB Plauener Gardine, mit dem Moped auf dem Heimweg, als sie ihrem Mörder begegnet sein musste. Sie kam daheim nie an. Am nächsten Tag meldeten die Eltern ihre Tochter als vermisst. Stunden später fand ein Grenzsoldat die Leiche der jungen Frau in einem Wald neben der Straße, auf der sie vermutlich unterwegs war. Gerichtsmediziner stellten fest: Sie wurde missbraucht und erdrosselt.

Die Spurensuche der Kripo am Fundort der Leiche wurde zum Desaster. Stundenlanger Regen hatte den Boden aufgeweicht. Dennoch gab es verwertbare Spuren. Enrico Petzold spricht nur über eine, mit der die Kriminaltechnik in der DDR allerdings noch nicht viel anfangen konnte. So wurde das Verfahren nach umfangreichen, aber erfolglosen Ermittlungen 1991 eingestellt.

Zu dieser Zeit hatte Enrico Petzold, ein Mann vom Sachsenring, gerade seine Ausbildung an der Offiziershochschule der Bereitschaftspolizei in Dresden absolviert und sich für eine berufliche Laufbahn in der neuen sächsischen Polizei entschieden. An der Polizeifachhochschule in Rothenburg absolvierte er den ersten Kommissarslehrgang, war danach einige Jahre in der Bereitschaftspolizei, ehe er 1997 zur Zwickauer Kripo wechselt.

Hier habe er 2001 die zwölf Aktenordner des Verfahrens Heike Wunderlich auf den Tisch bekommen, einem der wenigen ungeklärten Morde in Südwestsachsen. Die Ermittlungen waren wieder aufgenommen worden, weil die Kriminaltechnik des Landeskriminalamtes inzwischen in der Lage war, die an der Kleidung der Toten gesicherten biologischen Spuren molekulargenetisch zu untersuchen. „Das verhalf der Kripo in vielen sogenannten Altfällen zu neuen Ermittlungsansätzen“, so Petzold.

Vierter Paul-Köttig-Preisträger

Auch an Heike Wunderlichs Kleidung fanden Kriminaltechniker sogenannte genetische Fingerabdrücke. Im Verlaufe seiner Ermittlungen fragte Petzold fortan alle Männer, die er im Fall Wunderlich überprüfte, ob sie freiwillig eine Speichelprobe abgeben würden. Kaum einer habe sich verweigert. „Etwa 3 000 Personen wurden überprüft, keiner kam als Täter infrage.“

Insgesamt viermal hat Petzold die Kleider in den vergangenen 15 Jahren nach Dresden ins LKA geschickt. „Weil dort die Untersuchungsmethoden immer feiner wurden“, wie er sagt. Tatsächlich reicht den Biologen heute eine einzige Zelle für die Bestimmung einer DNA, vor zehn Jahren brauchten sie ein Vielfaches an Zellen.

So fanden Biologen auch beim vierten Anlauf eine bisher unentdeckte Spur – angeblich am Anorak von Heike Wunderlich. Insofern sei die Klärung des Falls nicht nur sein Verdienst, sagt Petzold. „Die Kollegen im KTI hätten die Auszeichnung ebenso verdient.“

Der Paul-Köttig-Preis, benannt nach dem Dresdner Polizeipräsidenten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wird seit 2012 für herausragende Leistungen in der Kripo vergeben. Bisherige Preisträger sind der Brandermittler Frank Lenk, er untersuchte den NSU-Unterschlupf in der Zwickauer Frühlingsstraße, Frank Neubert, IT-Forensiker im LKA, er rekonstruierte das Video von der Schlachtung im Gimmlitztal und der Gerichtsmediziner Uwe Schmidt, der die zerstückelte Leiche aus dem Gimmlitztal untersucht hatte.

Es sei ein gutes Gefühl gewesen, als er nach 29 Jahren den Eltern der Toten mitteilen konnte, dass der Mörder ihrer Tochter gefasst sei, sagt Petzold. Er sagt, dass Kollegen ihn belächelten, weil er nicht aufgeben wollte. „Einige dachten, der Fall ist mein Hobby.“ Nun belächelt ihn keiner mehr.

Durch Petzolds Ermittlungen ist die Zahl der Aktenordner auf 160 gewachsen. Ob die Beweise reichen, will er nicht einschätzen. Die Polizei gibt nicht preis, ob der Mann aus Gera den Mord inzwischen gestanden hat, ob er nach einem Schlaganfall überhaupt verhandlungsfähig ist. Aber Petzold ist sicher: „Wir haben ihn.“