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Einem Schloss muss man dienen

Jahrelang versuchte die Stadt Frankenberg, die Sachsenburg zu verkaufen – bis sich ein Geldsegen für das gotische Wohnschloss ankündigte. Aber die Zukunft ist auch nach zwei Jahren noch ein Geheimnis.

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© Ronald Bonß

Von Thomas Schade

Was haben die beiden riesigen Linden nicht alles erlebt? Seit Generationen fahren oder laufen Menschen zwischen ihnen durch, wenn sie zum Schloss Sachsenburg wollen. Ein Wall führt hinter den Linden zu dem schmalen Tor, das Einlass gewährt zu dem spätgotischen Wohnschloss. Es steht, ähnlich wie die Burg Kriebstein, auf einem Felssporn über dem Tal der Zschopau. Es gab Zeiten, da strahlten Scheinwerfer nachts die weiße Südfassade des Schlosses an und sorgten für einen prächtigen Anblick. Mittlerweile versinkt das Schloss in den Baumkronen – so der Eindruck von den Feldern auf der gegenüberliegenden Seite des Zschopautales.

Fenster wie an der Meißner Albrechtsburg.
Fenster wie an der Meißner Albrechtsburg. © Ronald Bonß
Die Meißner Albrechtsburg gilt als Vorbild für die Sachsenburg.
Die Meißner Albrechtsburg gilt als Vorbild für die Sachsenburg. © Ronald Bonß
Günter Hoffmann kennt die Sachsenburg bestens. Nun ist ihm der Zutritt untersagt.
Günter Hoffmann kennt die Sachsenburg bestens. Nun ist ihm der Zutritt untersagt. © Ronald Bonß

Die Scheinwerfer leuchten schon lange nicht mehr. Das braune Holztor ist seit Monaten verschlossen. „Betreten der Baustelle verboten“ steht auf einem Schild. Günter Hoffmann lehnt an einer der Linden. Er kennt jeden Winkel hier. Man wird den Eindruck nicht los, dass er seelisch darunter leidet, dass er das Schloss nicht mehr betreten darf. Laut beklagen würde er das nie. Dafür hängt er zu sehr an dem alten Kastell. Zudem ist er froh, dass nun einige Millionen Euro in Aussicht stehen, um die Sachsenburg zu sanieren. Geld, das ihm nie zur Verfügung stand.

Jahrzehntelang hatte der gelernte Tischler mit der Sachsenburg zu tun. Einen großen Teil seines Arbeitslebens und viele Rentnerjahre widmete der 75-Jährige „seinem Schloss“, wie er sagt. Anfangs als Brigadier eines Bautrupps. Das war in den 1980er-Jahren, als das Areal dem Wohnungsbaukombinat Dresden gehörte. Der VEB nutzte die Sachsenburg als Ferienlager und Schulungsheim. „Damals haben wir das Schloss und die anderen Gebäude instand gehalten, so gut es ging“, erzählt er. Die weiße Fassade des Südflügels stamme aus dieser Zeit. Immer hätten sie zu tun gehabt. Zur Sachsenburg gehören neben dem Hauptschloss ein „Bettenhaus“, die „Alte Tischlerei“, ein Brauhaus, ein Verwalterhaus, Scheunen und Wohngebäude. Auf das „Bettenhaus“ haben sie damals einen Glockenturm gemauert. Die Glocke hängt noch, an der Turmuhr drehen sich schon lange keine Zeiger mehr. Bis zu 240 Kinder beherbergte die Sachsenburg in den Sommerferien. „Hier war fröhliches Kinderleben in der Bude“, erzählt Hoffmann. Doch in Verlauf der Geschichte hat das Schloss keineswegs nur fröhliche Zeiten erlebt.

Archäologen haben Hinweise, dass auf dem Felssporn über der Zschopau bereits Anfang des 13. Jahrhunderts eine Burg stand. Unklar ist, ob Heinrich von Sassenburg diese Burg bewohnte, der 1197 urkundlich erwähnt ist, oder ob die Mildensteiner die Burg erbauten, die im 10. Jahrhundert an der Mulde lebten. 1232 bemächtigte sich der Markgraf von Meißen der Burg. In dieser Zeit diente sie zum Schutz des Bergbaus, der auf dem Treppenhauer am gegenüberliegenden Ufer der Zschopau begann und die legendäre Bergstadt Bleiberg hervorbrachte.

Für die Schlossgeschichte wurde Ende des 15. Jahrhunderts Caspar von Schönberg zum wichtigsten Mann. Er beauftragte um 1480 Hans Reynhart, auf den Resten der alten Burg ein Wohnschloss zu errichten. Reynhart war Schüler des damaligen Landbaumeisters Arnold von Westfalen, der mit der Albrechtsburg Meißen eine „Lehrbaustätte für ganze Generationen“ geschaffen hatte. So sieht es der Kultur- und Bauhistoriker Heinrich Magirius, langjähriger Landeskonservator in Sachsen.

Hans Reynhart schaute dem Baumeister Arnold über die Schulter und kupferte kräftig ab. Im Auftrag der Schönbergs schuf er in acht Jahren selbst ein spätgotisches Wohnschloss, das neben der Albrechtsburg zu den schönsten zählt, die heute in Sachsen noch zu sehen sind. Drei Flügel umschließen den derzeit versperrten dreieckigen Hof. Kunstvolle Vorhangbogenfester lassen auch von außen das Vorbild erkennen. Das Schloss entsprach allen Anforderungen, die einflussreiche Adelsfamilien seiner Zeit stellten. Sie wollten in ihren Residenzen wohnen, verwalten und repräsentieren. So bekamen die Schönbergs eine „Lange Stube“ zum Feiern, eine Hofstube für ihre Amtshandlungen und diverse Apartments, in denen die Familie wohnte. Von der Vorgängerburg blieben nur die Keller. Aber auch die Schönbergs blieben nur bis 1610 auf Schloss Sachsenburg. Danach diente es dem Aufbau der kurfürstlich-sächsischen Landesverwaltung. Im 30-jährigen Krieg (1618 – 1648) zerstörten Soldaten Teile der Vorburg und plünderten das Hauptschloss.

Mitte des 19. Jahrhunderts gab die sächsische Landesverwaltung das Schloss als Verwaltungssitz auf und nutzte es nach 1864 als Haftanstalt, erst für Mädchen, später als Gefängnis für schwer erziehbare Jugendliche und im Ersten Weltkrieg als Kriegsgefangenenlager. Die Zeiten änderten sich, als das Land Sachsen in der Weimarer Republik ein Volksschulheim im Schloss unterbrachte.

Im Mai 1933 kamen 100 Häftlinge auf der Sachsenburg an. Bewacht von SA- und SS-Leuten mussten sie die Spinnfabrik Tautenhahn am Ufer der Zschopau zu einem NS-Schutzhaftlager umbauen. Die Nazis richteten im Schloss erst eine NS-Gauführerinnenschule ein, später sollten Wissenschaftler des Robert-Koch-Instituts hier in einem geheimen bakteriologischen Institut einen Impfstoff gegen die Pest entwickeln. Das sei erst viel später bekannt geworden, sagt Günter Hoffmann. Auch in der DDR folgten 20 dunkle Jahre, denn ab 1947 wurden auf dem Gelände wieder schwer erziehbare Jugendliche im Jugendwerkhof „Ernst Schneller“ untergebracht, ehe 1968 das Dresdner Wohnungsbaukombinat die Sachsenburg übernahm. Einige Jahre lang hatte Günter Hoffmann selbst Verantwortung für die Sachsenburg. Er war von 1990 bis 1994 Bürgermeister im Ort. Die Treuhand habe die Sachsenburg zunächst an die Hofbräu AG Stuttgart verkauft. „Die Ferienanlage wurde eine Zeit lang als Motel genutzt“, erzählt er. „Aber die Substanz wurde nicht erhalten.“

Hoffmann hat die Burg immer als Standort- und Wirtschaftsfaktor für den Ort betrachtet. „Aber es tat sich nichts.“ Deshalb stellte die Gemeinde einen Restitutionsantrag für die Immobilie, die seit Jahrhunderten im Landesbesitz gewesen war. Das funktionierte nicht. „Für 300 000 D-Mark waren die Stuttgarter schließlich bereit, die Burg wieder zu verkaufen“, erzählt Hoffmann. Da habe er die Angelegenheit nach Dresden gegeben. Bei einem Drittel der Summe habe man sich geeinigt.

1993 hatte die Gemeinde einen Förderbescheid über 24 Millionen D-Mark in der Tasche, um das Schloss zu sanieren. Doch zu dem Zeitpunkt stand die Eingemeindung von Sachsenburg nach Frankenberg fest. Und die Stadt sagte Nein. „Alles war durch, aber in Frankenberg war man der Meinung, dass der finanzielle Eigenanteil von fünf Millionen für andere Aufgaben gebraucht werde“, erzählt er. Damals sah er das ein. Heute sagt er: „Die haben damals keinen Mut gehabt und den Zug verpasst.“

So wurde es still auf der Sachsenburg. Aus den Wohnungen zogen die Mieter aus. Hoffmann musste sich Vorwürfe anhören, warum er der Stadt so einen Stein ans Bein gebunden habe. Der Investitionsstau für die dringendsten Maßnahmen wuchs auf 25 Millionen Euro. Das geht aus einem Gutachten hervor, das die Brandenburgische Schlösser GmbH 2009 im Auftrag der Stadt angefertigt hat. Auch neuerliche Versuche, das Schloss zu verkaufen, scheitern.

Um die Last auf mehrere Schultern zu verteilen, gibt es seit 2000 den Verein Kuratorium Schloss-Sachsenburg e.V. Günter Hoffmann gehört zu den Gründervätern. „Angeregt von der Stadt suchten wir sachkundige Helfer, die anpacken können“, sagt der 75-Jährige. Denkmalschützer, Restauratoren, Bauleute, Anwälte – Leute, denen die Sachsenburg am Herzen liegt. Im Frankenberger Rathaus war die Erkenntnis gewachsen, das Notwendigste am Schloss zu finanzieren. „Wir haben den Weg der kleinen Schritte gewählt“, sagte der Archäologe und Bauhistoriker Wolfgang Schwabenicki 2007. Zusammen mit der Stadt wollte man das Schloss zu einem kulturellen Zentrum gestalten. Umfangreiche Bauuntersuchungen begannen, unverhoffte Entdeckungen wurden gemacht. In der Schlosskapelle fand man an der Empore die Inschrift, die belegt, dass Ritter Caspar von Schönberg das Schloss bauen ließ und Reynhart es 1488 vollendet hat. Als kleine Sensation gelten die Wandmalereien, die noch vom Vorgängerbau stammen. Mit viel Aufwand wurden Zellengewölbe erschlossen. Auch die spätgotischen Wendeltreppen waren wieder begehbar. „Wir haben saniert, wie es die Zuwendungen der Stadt und Spenden zuließen“, sagt Hoffmann.

Der Verein schaffte einiges in neun Jahren. Die lange Stube wurde Veranstaltungs- und Ausstellungssaal, in der sanierten Hofstube waren Ausstellungen zur Schlossgeschichte und zum Bergbau am Treppenhauer zu sehen, in der zweiten Etage hingen Bilder des Hainichener Malers Leo Lessing. „Wir waren eigentlich auf einem guten Weg“, sagt Günter Hoffmann. Man habe jährlich ein gefördertes Budget von etwa 150 000 Euro zur Verfügung gehabt. Aber einigen war das offenbar zu viel.

2009 endete der Weg der kleinen Schritte jäh. Im Frankenberger Rathaus hatte die CDU die SPD abgelöst, der ehemalige Kommandant der Wettiner-Kaserne in Frankenberg Thomas Firmenich führt seit 2002 im Rathaus das Regiment. Er wollte große Schritte, zeigte sich angetan von dem Plan, aus der Sachsenburg einen Wellnesstempel zu machen. Mit Roelof Praagman hatte er sogar einen potenten Investor an der Angel. Der Holländer hatte im erzgebirgischen Neuhausen gezeigt, dass er ein altes Schönberg'sches Schloss edel sanieren kann. 34 Millionen wollte er nun für eine 175-Betten-Edelherberge ausgeben. Doch das Projekt scheiterte.

Kuratorium und Stadt waren mittlerweile zerstritten. Beide Seiten hätten daran Anteil, sagt Hoffmann heute. „Aber uns sind seither die Hände gebunden.“ Die Sachsenburg wurde zum Krisenfall – bis Dezember 2015, als Sachsens Innenminister Ulbig mit einem millionenschweren Förderbescheid in Frankenberg auftauchte. Zu verdanken hat die Stadt den Geldsegen einer CDU-Connection, bestehend aus der Bürgermeistergattin Iris Firmenich, CDU-Generalsekretär Kretschmar, Sachsens Finanzminister Unland und Veronika Bellmann, die Frankenberg im Bundestag vertritt. Die engagierte CDU-Frau hatte im Sommer zum Krisengespräch eingeladen, nachdem ein Förderantrag der Stadt beim Bund gescheitert war. Mit vereinter Kraft suchten die Christdemokraten neue Geldquellen und fanden Rücklaufgelder aus der Städtebauförderung in Höhe von 4,5 Millionen Euro. Weitere Millionen vom Land erhöhten die Summe auf 7,1 Millionen.

Seither sucht die Stadt nach einer „soliden und tragfähigen Lösung“, wie es Bürgermeister Thomas Firmenich formuliert. Er bitte um Geduld, obwohl es schon jede Menge Konzepte und Untersuchungen für das Areal gibt. Die in Aussicht gestellten Millionen seien nur für das historische Wohnschloss, es werde „nutzungsneutral“ ausgebaut, sodass es der Öffentlichkeit wieder zugänglich sein werde, schreibt er und teilt mit: „Eine konkrete Nutzungsabsicht für einzelne Etagen oder Räume hat die Stadt derzeit nicht.“ Weitere Fragen will er nicht beantworten. CDU-Frau Bellmann schätzt, dass die Bausicherung und der Denkmalschutz bis 2019 abgeschlossen sein könnten. Auch für Gastronomie, Hotellerie und vielleicht ein Welcome-Center für die Fachhochschule Mittweida gibt es Pläne auf dem Areal der Vorburg, über die seit Jahren ebenfalls gesprochen wird. Sie könnten danach verwirklicht werden. Wie und mit welchem Geld? Da zieht auch Günter Hoffmann die Schultern hoch.

Das Kuratorium Schloss Sachsenburg existiert derzeit nur noch auf dem Papier. „Wir haben unsere Ausstellungen abgebaut und alle Schlüssel abgegeben“, sagt Günter Hoffmann. Vielleicht erinnert sich die Stadt eines Tages wieder an den Verein, wenn es gilt, das Schloss zu nutzen. „Man kann die Sachsenburg nicht nur verwalten“, sagt der 75-Jährige, „man muss so einem Schloss dienen“.