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Eine Mutter kämpft um ihre Kinder

Seit zwei Jahren dürfen Lia und Kaan aus der Türkei nicht nach Großschönau zurück. Es gibt sogar Morddrohungen.

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© Rafael Sampedro

Von Holger Gutte

Großschönau. Wenn Katrin Axt morgens aufwacht, schaut sie im Schlafzimmer traurig zum Kinderbettchen. Ihr kleiner Kaan müsste eigentlich drinliegen. Aber das Bett ist leer. Schon zwei Jahre lang. Auch im Kinderzimmer nebenan schläft keiner. Mit Lias Puppen hat dort ebenso lange niemand gespielt. Seit etwa zwei Jahren werden die heute drei- und achtjährigen Kinder von Katrin Axt gegen ihren Willen in der Türkei festgehalten . „Es tut weh. Jeden Tag immer wieder aufs Neue“, sagt Katrin Axt. Zwei Jahre kämpft die 29-jährige Großschönauerin schon vergebens um ihre Kinder. Nicht mal telefonieren kann sie mit ihnen. „Es wird geblockt.“ Auch mit Briefen, Mails und SMS erreicht sie Lia und Kaan nicht. Sie weiß nicht, wie es ihnen geht, was sie machen. Sie erfährt gar nichts. Jedes Jahr kauft sie ihnen neue Sachen. Damit sie alles haben, wenn sie daheim sind.

Dabei hat die Mutter das alleinige Sorgerecht für ihre beiden Kinder. Denn der 35-jährige Vater, Tolga B., sitzt in Deutschland im Gefängnis. Diesmal ist er im Mai 2015 am Landgericht in Görlitz wegen besonders schwerer sexueller Nötigung gegenüber einem Mann zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Katrin Axt kann dennoch ihre Kinder nicht aus der Türkei nach Deutschland holen. Sie hat höllische Angst vor der türkischen Familie. „Wenn ich rüber fliege, habe ich Angst umgebracht zu werden“, sagt sie. Zu welcher Gewalt ihr Mann fähig ist, hat sie oft genug auch am eigenen Leib erfahren. Auch wenn er jetzt im Gefängnis sitzt, fürchtet sie sich dennoch vor seiner türkischen Familie und seinen Freunden.

Blind vor Liebe ist Katrin Axt 2004 gewesen, als sie mit 18 Jahren Tolga B. kennenlernt. Sie weiß nichts von seinen kriminellen Machenschaften und bricht für ihn ihre Ausbildung ab. „Ich habe ihm alles geglaubt. Er hat alles schöngeredet. Ich war wie in einer anderen Welt“, erzählt sie. Als Katrin Axt 2007 schwanger wird, ändert sich das. Im fünften Monat soll sie das Kind in Holland abtreiben. Das kommt für sie nicht infrage. Sie bringt Lia-Joan zur Welt, trennt sich von ihrem türkischen Freund und zieht zu ihren Eltern.

Zu dieser Zeit liegt gegen Tolga B. ein Haftbefehl wegen schwerer Körperverletzung vor. Er gesteht ihr, dass er deswegen abhauen muss. Aber er wird geschnappt und sitzt bis 2009 in der Justizvollzugsanstalt Dresden. Danach steht er wieder vor Katrin Axts Tür. Und sie nimmt ihm erneut die heile Welt ab, die er ihr vorgaukelt. Tolga B. lebt aber quasi sein eigenes Leben. Er reist viel umher und wird immer gewalttätiger Katrin Axt gegenüber. B. will unbedingt noch ein Kind. Aber als der heute 35-Jährige und seine Lebensgefährtin 2012 mit Kaan einen Jungen bekommen, wird das Martyrium für Katrin Axt schlimmer. Sie will sich von ihm trennen, bringt aber nicht die Kraft dafür auf. „Er hat immer gesagt, wenn ich gehe, nimmt er mir die Kinder weg. Letzten Endes hat er das auch geschafft“, sagt sie.

Aus Angst um ihre Kinder ist sie mit ihm auch in die Türkei geflogen, als ihr großes Geheimnis keines mehr war. Die kleine Lia hatte ihrer deutschen Oma bei einem Besuch in Großschönau verraten, was Katrin Axt jahrelang zu vertuschen versuchte. „Als Katrin uns besuchte, wog sie 48 Kilogramm, bei einer Größe von 1,75 Meter“, erzählt Oma Axt. Ihren bohrenden Fragen wich die Tochter damals unter Tränen aus. Aus der kleinen Lia platzte es aber heraus: „Oma, der Papa hat Mama so sehr geschlagen, dass sie nicht mehr laufen konnte. Das Bein ist von unten bis oben blau gewesen. Und er schlägt sie immer wieder“, erzählt Katrins Mutter.

Als Tolga B. mit Katrin Axt und den Kindern die Verwandtschaft in der Türkei besucht, will er plötzlich nicht mehr nach Deutschland. Er zwingt Katrin Axt in der Türkei zur Heirat. „Ich habe weder verstanden, was gesprochen wurde, noch was ich unterschrieben habe“, sagt sie. Auch die zwei Trauzeugen kennt sie nicht. Ein halbes Jahr muss sie in der Türkei leben. Dann lässt er sie mit den Kindern im Juli 2013 nach Deutschland fliegen. Katrin Axt trennt sich endgültig von ihm und zieht wieder von Berlin, wo sie kurzzeitig wohnte, nach Großschönau. Die türkische Trauung ist in Deutschland nicht anerkannt. Fast täglich wird sie fortan telefonisch von Tolga B. bedroht. Eine Anwältin vom Weißen Ring wird später einmal Zeugin eines solchen Telefonterrors. Dann aber erzählt er ihr einmal, dass er mit einem Kumpel nach Thailand auswandern will. Weil beide damals das Sorgerecht für die Kinder hatten, willigt sie zu einem gemeinsamen Ausflug mit den Kindern in Berlin ein. Hier macht sie im Oktober 2013 einen großen Fehler. In der Hoffnung, dass Tolga B. für immer nach Thailand verschwindet, fliegt sie mit ihm für zwei Tage noch mal zur Verwandtschaft in die Türkei. „Ich soll nicht so egoistisch mit den Kindern sein. Seine Mutter und Schwester wollen sie auch mal sehen“, schildert sie.

Danach macht sie die schlimmste Zeit ihres Lebens durch. In der Türkei ist am ersten Tag noch alles in Ordnung. Am zweiten Tag kommt B. plötzlich ins Wohnzimmer, legt ein großes Küchenmesser auf den Tisch und sagt: „Als Rache, weil du dich von mir getrennt hast, fliegst du sofort nach Deutschland zurück und die Kinder bleiben hier.“ Unter dem Vorwand ihr die Stadt zeigen zu wollen, sind die Kinder Lia und Kaan schon zu dieser Zeit bei ihrer türkischen Oma und Tante. Von einem Kumpel im Reisebüro hat er ihr Rückflugticket ändern lassen. „Ich habe die zwei Stunden bis zum Flughafen Istanbul nur geschrien“, schildert Katrin Axt. Aber auch ein Kumpel von Tolga B., der sie begleitete, ließ sich davon nicht erweichen. Die beiden drohen sie umzubringen, wenn sie bei der Passkontrolle etwas sagt. „Ich wollte aber auf keinen Fall ohne meine Kinder abfliegen. Deshalb bin ich wieder durch die Passkontrolle und mit einem Taxi zurückgefahren. Kaum aus dem Auto ausgestiegen, wird sie brutal zusammengeschlagen. Der entsetzte Taxifahrer haut sofort ab. Am nächsten Tag muss sie fliegen.

Zu Hause in Großschönau, bricht auch für die Großeltern eine Welt zusammen. Alle Bemühungen von Katrin Axt bei der Deutschen Botschaft in Istanbul und beim Auswärtigen Amt in Berlin sind seither vergebens. Zwischenzeitlich bekommt sie einen Brief aus der Türkei. Ihr „Ehemann“ will das alleinige Sorgerecht und sich scheiden lassen. Das türkische Gericht spricht aber Katrin Axt das Sorgerecht zu. An ihre Kinder kommt sie trotzdem nicht. Denn Tolga B. will sich plötzlich nicht mehr scheiden lassen. Etwa zehn Verhandlungen zieht sich das schon hin. Seit Oktober 2013 sorgen die Oma und die kinderlose Tante in der Türkei immer wieder mit fadenscheinigen Gründen dafür, dass es eine schier unendliche Serie von Gerichtsterminen gibt, die kein Ende finden. Völlig aus der Luft gegriffen ist Katrin Axt und ihren Eltern sogar mal sexueller Missbrauch der Kinder vorgeworfen worden, berichtet die Großschönauerin. Für die Kinder besteht per einstweiliger Verfügung ein Ausreiseverbot, damit die Mutter sie nicht holen kann. Kurzzeitig hat sie Katrin Axt am 10. November 2014 mit ihren Eltern bei einer solchen Gerichtsverhandlung sehen können.

Sie hofft, dass Lia ihr glaubt, dass sie um sie kämpft und Kaan weiß, wer seine Mutter ist. Am 18. November gibt es die nächste Verhandlung. Katrin Axt fliegt nicht hin. Die Botschaft und Anwälte raten ihr davon ab. Das Schlimmste was passieren könnte, wäre, dass die Scheidung nicht genehmigt wird, und auch sie ein Ausreiseverbot erhält. Ich habe überlegt, ob ich zu den Kindern in die Türkei gehen soll. Aber ich habe so eine Angst vor der Familie“, gesteht sie.

Gibt es für die Deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt keine Möglichkeit, die Kinder zu ihrer deutschen Mutter zurückzuholen – zumal diese das alleinige Sorgerecht hat? Diese Frage bleibt die deutsche Botschaft und auch das Auswärtige Amt in Berlin einer Anfrage der SZ bisher schuldig.