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„Eine menschliche Tragödie“

Im Januar starb ein junger Eritreer durch Messerstiche. Am Montag beginnt der Prozess gegen einen Landsmann.

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© Christian Juppe

Von Karin Schlottmann

Hassan S. ist aus Eritrea nach Dresden gekommen. Er floh über den Sudan und Libyen, wurde vermutlich von Schleusern im Mittelmeer in ein Boot gesetzt und gelangte schließlich über Italien nach Deutschland. Dort kam er im Sommer 2014 an. Nach einer Übergangszeit im Erstaufnahmelager in Schneeberg brachten ihn die Behörden in Dresden mit anderen Afrikanern in einer Wohnung in der Johannes-Paul-Thilman-Straße unter. Seine Chancen standen gut, die Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus Eritrea ist hoch. Wie alle Asylbewerber war die riskante Flucht mit der Hoffnung verbunden, ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu führen, Geld zu verdienen und die Familie in der Heimat unterstützen zu können.

Auf der Durchgangsstation in München lernte Hassan S. seinen Landsmann Khaled B. kennen. Beide kamen nach Dresden, wo sie zu siebt in einer Vier-Zimmer-Wohnung lebten. Am 12. Januar dieses Jahres kam es zwischen den beiden zu einem Streit. Eine banale Auseinandersetzung um die Wäsche, wie sie in Wohngemeinschaften immer mal vorkommt. Alkohol hat nach den bisherigen Ermittlungen keine Rolle gespielt. Khaled B. überlebt den Streit nicht. Seine Leiche wird später in der Nähe der Wohnung gefunden.

Mit mehreren wuchtigen Messerstichen in den Oberkörper und in den Kopf soll sein Landsmann ihn getötet haben, sagt die Staatsanwaltschaft. Sie hat Hassan S. wegen Totschlags angeklagt. Am Montag beginnt vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dresden der Prozess gegen ihn. Es handele sich um eine Straftat, aber auch um eine menschliche Tragödie, heißt es in der Anklageschrift.

Es hat zehn Tage gedauert, bis die Ermittler den Täter fanden. In dieser Zeit entwickelte sich der Tod des 20-jährigen Eritreers zu einem Politikum. Es war die Zeit der Pegida-Demonstrationen mit 17 000 Teilnehmern. Die Atmosphäre in der Stadt war vergiftet, viele Ausländer trauten sich montags nicht mehr auf die Straße.

Und dann unterlief der Polizei auch noch eine gravierende Panne. Sie konnte nach dem Fund von Khaleds Leiche zunächst keine Stichwunden feststellen. Die Art der Verletzungen deuteten ihrer Ansicht nach auf einen Sturz aus dem Fenster hin. Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung lägen nicht vor, hieß es in einer ersten Pressemitteilung.

Menschenrechtsgruppen meldeten sich schnell zu Wort und warnten, hier solle ein rassistischer Mord verschleiert werden. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck erstattete umgehend Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt. Rund 3 000 Menschen, darunter auch einige von Khaleds Mitbewohnern, zogen im Gedenken an den jungen Eritreer durch die Straßen und forderten Rechte und Sicherheit für Flüchtlinge. Sie fühlten sich in Dresden nicht willkommen und wollten einfach nur noch weg, sagten die Eritreer. Auf dem Theaterplatz errichteten junge Leute, darunter eine Initiative „Remembering Khaled“, ein Camp.

DNA-Spuren überführen Täter

Erst der Rechtsmediziner entdeckte nach einer gründlichen Untersuchung die Stichwunden. Nach anderthalb Wochen entdeckte die Polizei DNA-Spuren auf dem Tatmesser. Sie identifizierte Hassan S. und verhaftete ihn. Der Angeklagte bestreitet die Messerstiche nicht. Er beruft sich auf Notwehr, schildert Strafverteidiger Andreas Boine die Darstellung seines Mandanten. Unmittelbare Augenzeugen für den Ablauf des Geschehens gibt es nicht.

Khaled B. wurde Ende Januar in Berlin nach muslimischen Regeln beerdigt. Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth nannte den Tod des Asylbewerbers eine Katastrophe. Er warf dem Beschuldigten kurz nach dessen Verhaftung vor, sich an die Spitze der Protestbewegung gestellt zu haben. „Dadurch hat er die ganze Situation missbraucht.“ Boine sagt, diese Kritik sei unzutreffend. „Was hätte unser Mandant tun sollen?“ Hassan S. habe bei Protesten nicht das Wort geführt.

Das Gericht hat für den ersten Prozesstag mehrere Zeugen geladen. Die Mutter des Opfers nimmt als Nebenklägerin an dem Strafverfahren teil, sie wird von einer Hamburger Anwältin vertreten.

In der Dresdner Johannes-Paul-Thilmann-Straße leben zurzeit 48 Asylsuchende in sieben Wohnungen. Die Sozialarbeiter sagen, die Lage ist entspannt. Keiner der Asylbewerber möchte in andere Wohnungen oder Stadtgebiete verlegt werden.