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Eine Lehrstunde Demokratie

Eine Bautzener Bürgerbewegung lädt Politikwissenschaftler Werner Patzelt als Redner ein. Der Beifall fällt verhalten aus.

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© Uwe Soeder

Von Sebastian Kositz

Bautzen. Für den großartigen Erich Kästner gibt es an diesem Abend keinen Beifall. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Dieser Satz stammt von dem Dresdner Schriftsteller. Dahinter steckt ein leidenschaftliches Plädoyer für Zivilcourage. Als der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt diesen Satz zitiert, bleibt es allerdings still im Saal. Geklatscht wird an diesem Abend ohnehin nicht so viel. Dabei hatte sich der Referent aufrichtig bemüht in den fast zwei Stunden. Was einen wie Werner Patzelt wiederum nicht weiter kümmern mag, denn wegen des Beifalls sucht er in Bautzen ganz sicher nicht die große Bühne.

Brechend voller Saal

Der Saal im Hotel Residence im Bautzener Süden ist brechend voll. Die Luft ist warm und stickig. Jeder der eng aufgereihten Stühle ist besetzt. Wer keinen Platz mehr abbekommt, steht gegen die Wand gelehnt. Die Bautzener Initiative „Wir sind Deutschland“ hat zu einem Vortrag mit dem renommierten Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt eingeladen.

Seit Monaten stellt die Bewegung um die Bautzener Geschäftsleute Jörg Drews und Veit Gähler verschiedene Veranstaltungen auf die Beine, ließ mit „Denkste?!“ sogar eine eigene Zeitschrift an die Bautzener Haushalte verteilen. Jörg Drews ist der Chef der Firma Hentschke Bau. Veit Gähler betreibt einen Spielzeugladen am Lauengraben. Sie und ihre Mitstreiter sehen sich als unabhängige Bürgerbewegung. Kritiker werfen ihnen Rechtspopulismus vor.

Das Bündnis spricht sich gegen die Abschaffung des Bargelds aus, setzt Fragezeichen hinter der Parteiendemokratie. Es kritisiert die seiner Meinung nach gegen Russland gerichtete Politik Europas und zweifelt oft an dem, was in etablierten Zeitungen steht oder im Fernsehen läuft. Man müsse eben auch darüber streiten dürfen.

Der „Pegida-Versteher“

Genau dieses Gut sieht die Initiative allerdings in Gefahr. Mit dem Satz „Freie Meinungsäußerung im Spannungsfeld von Grundgesetz, Zensur und Verleumdung“ ist deshalb auch der Vortrag überschrieben, zu dem am Donnerstagabend Werner Patzelt das Podium betritt. Mit seinen Analysen und Beiträgen über das montägliche Demonstrationsgeschehen in Dresden hat sich der Fachmann den Zusatz Pegida-Versteher erworben. Ein Vorwurf, den der Politikwissenschaftler vehement zurückweist und der denjenigen, die Patzelt verstehen wollen, besser nicht in den Sinn kommt.

Der Ruf des Politikfachmanns in Kombination mit dem Anliegen der Bürgerbewegung zieht in Bautzen ganz offenkundig. Am Arm versehen mit kleinen weißen Bändchen mit der Aufschrift Hentschke blickt die Gästeschar auf die Bühne, wo nach einleitenden Worten von Jörg Drews schließlich Werner Patzelt ans Mikrofon tritt. In einer Diskokugel, die offenbar aus praktischen Erwägungen stets an der Decke des Saals hängenbleibt, spiegeln sich in einem verwaschenen Grauton die Köpfe seiner Zuhörer. Die jungen Leute sind eindeutig in der Minderheit.

Der Professor verspricht eine Mischung aus Vorlesung und Predigt. Letztere Ankündigung zieht an einigen Stellen des Saals leise, süffisante Lacher nach sich. Auch später wird Werner Patzelt noch einmal an sein Vorhaben einer Predigt erinnern. Die Süffisanz – so viel sei bereits verraten – ist da bei etlichen Besuchern längst verflogen.

Kritische Sätze kommen gut an

Doch zuvor holt sich der Fachmann tatsächlich erst einmal Applaus und viel Zustimmung ab. Etwa, als er über das Miteinander spricht und verkündet, dass Neuhinzukommende sich an bewährte Regeln zu halten haben. Oder als Werner Patzelt Bezug auf den massenhaften Zustrom von Flüchtlingen im Jahr 2015 nimmt: „Es können die Flüchtlinge nichts dafür, dass unsere Regierung zeitweise eine törichte Einwanderungspolitik begangen hat.“ Sätze, die im Auditorium hörbar gut ankommen.

Der sogenannte Pegida-Versteher Patzelt wird offenbar den Erwartungen der Zuhörer gerecht. Doch die Sätze stehen eben auch in einem Zusammenhang. Dass die Gesellschaft von Neuhinzukommenden lernen kann und Zugewanderte Mitglieder der Gesellschaft werden können, findet unterdessen aber keinen Beifall. „Also doch der Pastor“, sprudelt es leise aus einem adrett zurechtgemachten Herrn im feinen Zwirn in der vorletzten Reihe heraus.

Auch andere Meinungen aushalten

Tatsächlich doziert Werner Patzelt ähnlich wie in seinen Vorlesungen an der Uni. Wer einmal einer Einführungsvorlesung an seinem Lehrstuhl an der Technischen Universität Dresden beiwohnen konnte, hört am Donnerstagabend in Bautzen nichts anderes. Und gleichsam wie ein Prediger mahnt Patzelt dazu, Streit zuzulassen, andere Meinungen auszuhalten und vor allem überhaupt zu akzeptieren, dass es andere Meinungen gibt – und das doch bitte, ohne den anderen herabzusetzen. Auch dieses Plädoyer bleibt ohne Beifall.

Applaus lässt sich stets nur mit Signalwörtern erzielen. Phrasen wie „öffentliche Heuchelei“ sowie Begriffe wie Fake News oder Zivilcourage ziehen. Patzelt warnt auch davor, Menschen als Rassisten, Nationalisten oder Islamfeinde zu verleumden, nur weil sie auf Unterschiede zwischen Gesellschaften, Gutes im eigenen Land oder Probleme mit dem Islam hinweisen. Auch das sitzt. Die Feststellung, dass Rassismus mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, lockt keine sichtbare Zustimmung hervor.

Eher distanziertes Miteinander

Den gelegentlichen Beifallsszenen zum Trotz: Letztlich bleibt es eher ein distanziertes Miteinander zwischen Vortragendem und Zuhörenden. Die reihenweise präsentierten Bekenntnisse zu Demokratie und freiheitlicher Grundordnung werden äußerlich ohne große Regungen hingenommen. Am Ende des Vortrags gibt es einen höflichen, aber kurzen Applaus.

Die ersten Plätze haben sich da schon geleert. Nur wenige Minuten zuvor hatte der Fachmann noch mit einem verbalen Schlag gegen die Reichsbürger aufgewartet. „Da ist dieser Glaube, die Bundesrepublik Deutschland existiere gar nicht. Das alles ist völliger Unsinn.“ Dass das Thema Reichsbürger etliche im Saal beschäftigt, zeigt sich in der anschließenden Fragerunde. Werner Patzelt nimmt sich die Zeit, erklärt ausführlich, warum Deutschland kein Unternehmen ist und warum es bis heute keine Abstimmung übers Grundgesetz durch das Volk gegeben hat.

Moderiert wird die Fragerunde von Katrin Ziske. Als sich die Frau vorstellt, gibt es wohlwollenden Applaus. Katrin Ziske ist vom Magazin Compact, moderiert dort die monatliche Sendung, die der Verlag im Internet verbreitet. Compact gilt als wichtiges Sprachrohr von AfD und Pegida.

Podiumsdiskussion ist entfallen

Offenbar war der Bautzener Auftritt von Werner Patzelt zunächst anders geplant. Die Bürgerbewegung hatte ursprünglich eine Podiumsdiskussion mit ihm angekündigt. Als weitere Diskutanten waren nach SZ-Informationen unter anderem Vertreter aus dem Rathaus und vom Bautzener Willkommensverein angedacht. Alexander Ahrens ist am Donnerstag zwar als Gast vor Ort, hört aber nur den Vortrag von Werner Patzelt und verschwindet, als die Fragestunde beginnt.

Inmitten der Fragerunde schickt sich indes ein weiterer Besucher an zu gehen. „Ich gehe jetzt nach Hause, und ich rate Ihnen, Sie sollten auch bald Ihren Hut nehmen“, ruft der Mann in Richtung Podium. Professor Werner Patzelt bleibt sitzen, während der Reinrufer tatsächlich den Saal verlässt. Auch ein klares Zeugnis der eingangs erwähnten Zivilcourage.