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Ein Wildunfall pro Nacht

Der Herbst gilt gemeinhin als Hochsaison – kurioserweise aber nicht in jedem Jahr.

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© Symbolfoto: Winsmann/Steins/dpa

Von Stefan Lehmann

Riesa. Der Revierleiter muss nicht lange suchen, wann es das letzte Mal gekracht hat. „B 196 bei Zeithain, gegen 18.35 Uhr“, zitiert Hermann Braunger aus dem Bericht vom Dienstag. Ein Wildschwein war am Abzweig Lichtenseer Straße auf die Fahrbahn gelaufen und von einem Lkw erfasst worden. Das ist laut Braunger fast schon eine typische Stelle. „Zwischen Neudorf und Lichtensee ist der Schwerpunkt. Dort kommen die Tiere aus dem Wäldchen raus auf die Bundesstraße.“ Fast jede Woche muss die Polizei dort einen Wildunfall aufnehmen, sagt er.

Weniger Schwerverletzte

Es ist nicht ungewöhnlich, dass es besonders im Frühjahr und Herbst zu Zusammenstößen zwischen Pkw und Wildtieren kommt. Während solche Kollisionen für die Tiere meist tödlich enden, bleibt es bei den Unfallfahrern in der Regel bei Bagatellschäden. Auch in diesem Jahr zählte die Polizei im Riesaer Revier, das den Altkreis Riesa sowie Lommatzsch umfasst, bei 270 Wildunfällen bis Ende Oktober lediglich zwei Leichtverletzte. Auffällig ist dagegen, dass die Zahl der Kollisionen in diesem Herbst bisher nicht angestiegen ist (siehe Grafik). Stattdessen liegt sie seit Mai relativ konstant bei 23 bis 25 – während es in den Vorjahren im gleichen Zeitraum etwa einmal pro Nacht zu Unfällen kam. Die Gesamtzahl der Unfälle wird am Ende aber wohl nicht allzu weit unter der der Vorjahre liegen: 2016 gab es 332 Wildunfälle, bei denen eine Person schwer verletzt wurde, 2015 waren es sogar 341 Unfälle mit drei Schwer- und drei Leichtverletzten.

Der Zufall spielt eine große Rolle

Warum es in diesem Herbst bislang verhältnismäßig ruhig geblieben ist, lässt sich laut Polizeisprecher Marko Laske nicht sicher sagen. „Die Witterung, das Fahrverhalten der Fahrer und nicht zuletzt der Straßenausbau spielen sicher auch eine Rolle.“ Aber letztendlich seien Verkehrsunfälle immer Zufallsereignisse – und das gelte insbesondere für Wildunfälle. Das zeigt nicht zuletzt auch der Blick in die Statistik der vergangenen Jahre, wo die wenigen Spitzen zwar exakt im Frühling oder Herbst liegen. Teilweise bleiben diese Spitzen aber auch aus. „Das Unfallgeschehen mit Wildtieren lässt sich nicht vorhersehen“, sagt auch Thomas Vogelsang von der Unteren Jagdbehörde des Landkreises. „Da spielen die Landwirtschaft mit ihrer Anbaustruktur eine Rolle sowie die artgemäße Futteraufnahme. Steht die Kultur bis an den Rand der Straße, hat das Tier unter Umständen keine Möglichkeit, auf die heranfahrenden Fahrzeuge zu reagieren.“ Im Winter fühlten sich die Tiere laut Vogelsang auch noch aus einem anderen Grund zu den Straßen hingezogen. Wenn nämlich gesalzt oder gelaugt werde, suchen Wildtiere gerne die Straßenränder auf, um von dort das Salz aufzulecken.

Landkreis setzt auf Wildreflektoren

Die Maßnahmen, um den Wildwechsel und damit das Risiko von Unfällen zu verhindern, sind vielfältig. Das Landratsamt Meißen hat etwa an einigen Neubaustrecken im Kreis sogenannte Wildreflektoren angebaut, etwa an der B 101 im Bereich der Umfahrung um Krögis sowie zwischen Coswig und Meißen. Neben diesen Wildreflektoren werden seit längerer Zeit noch andere Maßnahmen getestet. Während das Zurückschneiden der Randbegrünung, wodurch Tier und Mensch einander eher bemerken sollten, nach einer Kurzzeitstudie der Unfallforschung der Versicherer keine nennenswerten Effekte brachte, sieht das bei sogenannte Duftbarrieren anders aus. Laut Deutschem Jagdverband konnte auf einer Teststrecke in Schleswig-Holstein „durch den Einsatz von Duftzäunen und blauen Reflektoren die Zahl der Wildunfälle örtlich um bis zu 80 Prozent reduziert werden“.

Pendler erwischt es besonders oft

Selbst wenn diese Maßnahmen flächendeckend einsetzbar wären: Eine echte Garantie sind sie trotzdem nicht. Am Ende hilft vor allem, wachsam zu bleiben. Die meisten Unfälle geschehen in den frühen Morgenstunden und in der Abenddämmerung. Oft erwischt es deshalb Pendler. Beim Auswerten der Statistik hat Revierleiter Hermann Braunger vor Jahren einmal festgestellt, dass es montags besonders oft kracht. „Weil dann die Pendler meist etwas früher losfahren.“ Das Risiko steigt damit. Abblenden und Hupen ist der altbekannte Ratschlag, um die Tiere aus der Entfernung zu vertreiben. Aber so viel Reaktionszeit bleibt laut Braunger oftmals nicht. „Das Reh steht ja meistens nicht auf der Fahrbahn, sondern wechselt.“ Wenn sich ein Zusammenstoß kaum vermeiden lässt, dann verweist der Revierleiter auf die zweite altbekannte Regel: „Moderat bremsen, nicht ausweichen. Dabei würde man nämlich in der Regel das Fahrzeug verreißen – und fährt schlimmstenfalls gegen einen Baum.“

Wer ausweicht, zahlt drauf

Wenn es tatsächlich krachen sollte, dann muss die Polizei gerufen werden. „Wir verständigen dann den Jäger und stellen in der Regel eine Bescheinigung aus.“ Die ist insbesondere für die Versicherung wichtig. Den Schaden beim Zusammenstoß mit Haarwild deckt die Teilkasko ab. Dazu gehören Hase und Fuchs genauso wie Rot- und Schwarzwild – nicht aber Haustiere sowie etwa Waschbär und Wolf. Anders sieht es bei Vögeln aus, egal ob Fasan oder tieffliegender Bussard. Allerdings lohnt sich ein Blick in den jeweiligen Versicherungsvertrag, weil hier jeder Versicherer anders handelt. Auch wer ausweicht, muss laut Deutschem Jagdverband oftmals nachweisen, dass er durch sein Ausweichmanöver einen geringeren Schaden verursacht hat, als das beim Zusammenstoß mit Reh oder Wildschwein der Fall gewesen wäre – und zahlt damit möglicherweise doppelt drauf: Erstens, weil er ein größeres Risiko für sich und seine Gesundheit eingeht; zweitens, weil die Versicherung die Schäden eventuell nicht abdeckt.