Merken

Ein selbst gemachtes Erdbeben

„Wir hatten keine Ahnung, ob sie noch leben“: 19 Bergleute werden nach sieben Stunden Bangen aus einer niederschlesischen Kupfermine gerettet.

Teilen
Folgen

Von Katrin Schröder

Die Erleichterung steht Grzegorz Wolek, dem Leiter der Grubenwehr, am Mittwochmorgen ins Gesicht geschrieben. „Das war eine sehr schwierige Aktion. Wir hatten keine Ahnung, ob sie noch leben“, sagt er. Sie – das sind die 19 Bergleute der polnischen Kupfermine „Rudna“ im niederschlesischen Polkowice, zu denen es seit dem späten Dienstagabend keinerlei Kontakt mehr gab. Nach einem Erdbeben war Gestein in die Tunnel gestürzt, waren Telefon- und Versorgungsleitungen unterbrochen.

Als am Dienstag um 22.09 Uhr in Polkowice, rund 90 Kilometer nordöstlich von Görlitz, die Erde bebte, arbeiteten 42 Bergleute in 960 Metern Tiefe. 23 konnten sich allein an die Oberfläche retten. Den anderen versperrten herabgefallene Felsbrocken die Ausgänge. „Alles war voller Staub und Rauch, wir konnten nichts sehen“, sagt später einer der geretteten Bergleute im Radio.

Sieben Stunden lang versuchte das 25-köpfige Bergungsteam zunächst von der Grube „Rudna“ aus, zu den Eingeschlossenen vorzudringen. Weil dort kein Durchkommen war, bahnten sie sich mit drei Spezialmaschinen von der benachbarten Grube aus einen Weg. Gegen fünf Uhr früh gelang ihnen ein Durchbruch – auf den letzten Metern mussten sie mit bloßen Händen graben. Knapp zwei Stunden dauerte es dann, die Kupferkumpel zu evakuieren. Ein Bergmann musste wegen einer Kopfverletzung behandelt werden, den anderen 18 fehlt nichts.

„Wir mussten uns auf dem Bauch liegend durchzwängen“, berichtet Marek Baryluk vom Rettungsteam. Staub und herabfallende Felssplitter gefährdeten die Helfer. In dem Stollen lag das abgebrochene Gestein auf 500 Metern drei bis vier Meter hoch. Die Frauen der Vermissten bangten auf dem Werksgelände, warteten verzweifelt auf Nachrichten. Ebenso wie die Retter dachten sie sicher an zwei ähnliche Unfälle vor drei Jahren. Damals konnten fünf Bergleute nur tot geborgen werden.

Dass die Erde bebt, ist im Kupferrevier nicht ungewöhnlich. „Jedes Jahr kommt es hier zu mehreren Hundert Erdstößen“, sagt Dariusz Wyborski, Sprecher des polnischen Bergbaukonzerns KGHM. Die meisten davon spüre man kaum, nur wenige seien so stark wie das am Dienstag. Etwa die Hälfte der Beben werde durch Sprengungen ausgelöst, deshalb darf in den zweieinhalb Stunden danach niemand die Stollen betreten. Es gibt aber auch spontane Beben wie das jetzige: „Die Erde will die Stollen schließen, kann es aber nicht, da wir sie absichern“, erklärt Wyborski. Die dadurch entstehende Spannung entlade sich in nicht vorhersehbaren Erdstößen. „Die Bergleute wissen, dass so etwas immer wieder passieren kann.“ Eine Kommission aus Vertretern des Kupferkonzerns und der Bergbauaufsicht wird nun das Unglück untersuchen. Bis erste Ergebnisse vorliegen, werden wohl einige Wochen vergehen.

Die Geophysiker der TU Bergakademie Freiberg berechneten gestern die Stärke des Bebens mit 3,8 und korrigierten damit vorherige Angaben von 4,7 nach unten. Sie müssen es wissen, ihre Station in Berggießhübel im Erzgebirge ist schließlich der Mine am nächsten gelegen. Dort begannen um 22.09 Uhr die Zeiger der Messgeräte, wilde Kurven aufs Papier zu ziehen. Einige Minuten lang. Im Umkreis von etwa 100 Kilometern muss das Beben zu spüren gewesen sein, also auch in Görlitz und Zittau.

„Das war eigentlich gar kein Erdbeben“, sagt Reinhard Mittag, Leiter des Erdbeben-Observatoriums. „Bei dem Ereignis handelt es sich um einen Bergschlag.“ Fakt ist: Diese Bergbauregion ist geologisch aktiv. Und dies würde sich auch beim geplanten Kupferabbau in der Lausitz bemerkbar machen. Die Vorkommen dort gehören grundsätzlich zur selben geologischen Struktur. Bergbau in der Lausitz wäre damit nicht gleich grundsätzlich gefährlich für die Region, wohl aber gelte es, diese Dinge zu beachten, bei sensiblen Anlagen wie Kraftwerken und Chemiefabriken beispielsweise. Die maximal mögliche Bebenstärke, die ein Bergbau verursachen könnte, lässt sich vorab berechnen. In der Lausitz würde sie die Stufe vier nicht überschreiten. Schäden an Gebäuden wären zwar nicht ausgeschlossen, träten aber sicher nur in unmittelbarer Nähe der Mine auf. „Voraussagen kann man solche Gebirgsschläge aber nicht“, sagt Wissenschaftler Reinhard Mittag. (mit sts/dpa)