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Ein Lichtblick auf der Bastei

Wer schwer erkrankt ist, braucht nicht nur ärztliche Hilfe. Ein Pirnaer Verein berät und sorgt für angenehme Abwechslung.

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© Thomas Kretschel

Von Jörg Marschner

Den Weg nach vorn zur überwältigenden Aussicht vom Basteifelsen traut sich Hannelore Holz nicht zu, die Beine machen nicht mehr mit. Sie lässt die kleine Gruppe ziehen und geht gleich ins Restaurant. So sitzt die 81-Jährige nun vorerst allein an der langen, schön gedeckten Tafel direkt am Fenster und genießt den weiten Blick über die wuchtigen Felstafeln.

Die Rauensteine und die beiden Bärensteine erscheinen zum Greifen nah, hinter ihnen ist sie zu Hause, in Thürmsdorf. „Dass ich das noch mal so sehen kann“, denkt die Frau mit den langen nach hinten gekämmten grauen Haaren. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal hier oben war auf der Bastei. „Ich komme kaum noch raus, höchstens mal betreut vom ASB mit dem Rollstuhl ums Karree“, sagt sie.

Fünf Jahre, nachdem sie glaubte, den Brustkrebs überwunden zu haben, bekam sie einen Rückfall. „Das hat gestreut, sagten die Ärzte. Na ja, die Chemo hab ich hinter mir.“ Hannelore Holz schweigt, schaut wieder hinaus. „Die Behandlungen hab ich abgesagt.“ Ihr Ziel sei gewesen, zu erleben, wenn ihr jüngster Enkel 18 wird, „das ist er nun“. Jetzt warte sie aufs Ende. „Aber heute ist wirklich ein schöner Tag.“ Diese Ausflüge habe sie immer mitgemacht, wenn es ihr nicht gerade ganz schlecht ging.

Die anderen sind inzwischen langsam zum Aussichtspunkt gelaufen. Christa Vogel, eine kleine 75-Jährige, stützt sich auf einen Stock, scheut vor den wenigen Stufen zurück, winkt ab, „da bleib ich hier“. Dann lässt sie sich aber doch helfen und ist froh darüber, als sie mit den anderen vorn am Geländer steht, hoch über der Elbe vor einem Landschaftspanorama, das wie ein Wunder wirkt. „Nein, ist das schön“, sagt die Pirnaerin. Und nach einem Moment des Schweigens fügt sie hinzu: „Wie gut, dass es den Verein gibt.“

Der Verein heißt Lebenswerte Pirna und sein Gesicht ist Kerstin Franke, eineschlanke Frau mit dem Diplom als Sozialarbeiterin und viel Erfahrung in der Tumornachsorge und der Palliativmedizin. Seit acht Jahren hat sie sich der Aufgabe verschrieben, Krebspatienten in allen Phasen der Erkrankung zu begleiten, sie rechtlich und sozial zu beraten, ihnen Mut zu geben im Kampf mit der Krankheit – für die Erkrankten alles kostenfrei. Zwei, drei Anrufe von neuen Patienten pro Woche, das sei so die Regel. Manche haben nur eine Frage, melden sich danach nie wieder, bei einigen hält der Kontakt über Jahre.

Drei Ausflüge im Jahr gehören zum sozialen Programm, nur zu bewältigen in enger Zusammenarbeit mit Doreen Schubert vom Malteser Hospizdienst, der außerdem einen ehrenamtlichen Mitarbeiter bereitstellt; in ihrer Mobilität stark eingeschränkte Patienten müssten sonst zu Hause bleiben. Die Teilnehmerzahl an den Ausflügen schwankt zwischen zehn und 25. Hochgeschätzt werden diese allemal, sind aber zugleich vor allem immer eine Kostenfrage. „Wir sind ein kleiner Verein und finanzieren uns ausschließlich über Spenden“, sagt Kerstin Franke. Dieses Jahr sieht es mit den Ausflügen allerdings deutlich günstiger aus. „Genau an dem Tag, als wir darüber berieten, wie wir das 2016 finanziell auf die Reihe bekommen, traf der Bescheid von Lichtblick über eine Unterstützung mit 1 000 Euro ein“, erzählt Frau Schubert lachend und voller Freude.

Über der Kaffeetafel hängt der Lärmpegel munteren Gesprächs; man kennt sich, spricht über Therapien, über Freuden, oft auch über Ängste. Ein 60-Jähriger aus Heidenau, der lieber ohne Namen bleiben will und der sich, an Kehlkopfkrebs erkrankt, seit fünf Jahren vom Verein gut betreut fühlt, erzählt, dass sein Hausarzt mit ihm recht zufrieden war und dass er nun auch auf positive Ergebnisse bei der Kontrolluntersuchung an der Uniklinik hoffe. „Toi, toi, toi“, sagt er. Solche Auskünfte machen anderen Mut. Auch Christa Vogel, die vorhin an der Treppe zurückgeschreckt war. 2012 war sie an Brustkrebs erkrankt, wurde operiert. 36 Chemo- und 39 Strahlenbehandlungen hat sie hinter sich. „Ich hoffe, dass ich davongekommen bin“, sagt sie und hat zugleich Angst; weil sie neuerdings wieder alle drei Monate zur Untersuchung muss. „Der Kontakt hier ist viel wert, man darf sich nicht absondern, das Psychische spielt eine große Rolle“, sagt die 75-Jährige.

Strampeln wie der klügere Frosch

Werner Arnold, 66, an Speiseröhrenkrebs erkrankt, zurzeit in der Chemotherapie, meint: „Es ist gut, dass man bei diesen Ausflügen mit Leuten über Dinge reden kann, über die man in der Familie eher nicht spricht.“ Und noch etwas will er hervorheben: „Der Verein gibt einem enorme Unterstützung, es gibt ja so viele rechtliche Fragen der Hilfe und Unterstützung, wobei man alleine gar nicht durchsieht.“ Kerstin Franke spricht vom „Durchsetzen berechtigter Leistungsansprüche“, was einen wesentlichen Teil der Arbeit ausmache. Brigitte Schütze, 65, die seit über einem Jahrzehnt gegen den Brustkrebs kämpft, sagt das mit ihren Worten so: „Frau Franke hat mir alles gesagt, wo ich hingehen muss, und bei den Anträgen geholfen.“

Heidi Schweizer sieht keiner ihre 75 Jahre an. „Das machen die vielen Jahre bei SZ-Reisen“, sagt sie lachend. Die Darmkrebs-Operation hat sie erstaunlich gut überstanden. „Mit so einer Erkrankung fällt man erst mal in ein tiefes Loch. Der Verein hilft einem, da wieder rauszukommen“, sagt sie in einer kurzen Dankesrede, und alle applaudieren. Privat fügt sie dann noch die Geschichte von den zwei Fröschen an, die in die Sahne fallen und von denen sich der eine mit dem Untergehen abfindet, während der andere strampelt und sich so auf die entstehende Butter rettet. „Ich strample erst mal“, sagt Frau Schweizer, und solch ein Tag wie dieser gebe dafür neue Kraft. Als die Gruppe am frühen Abend in Pirna aus den Taxi-Bussen steigt, hat Kerstin Franke noch eine Bitte: Ob in dem Beitrag nicht auch ein Dank an alle Lichtblick-Spender stehen könne. Es sei manchmal nicht nur die Krankheit, sondern auch die Armut, die man von außen nicht sieht und die es schwer mache.