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Ein Leben im Spielzeugladen

Während andere in seinem Alter längst in Rente sind, sieht Wolfram Schneider auch mit über 80 in seinem Spielzeuggeschäft täglich nach dem Rechten. Zur Weihnachtszeit steht er sogar selbst noch in dem Laden.

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© dpa

Claudia Drescher

Hohenstein-Ernstthal. Allein der Geruch beim Betreten des Spielwarengeschäfts „Bohne“ in Hohenstein-Ernstthal (Landkreis Zwickau) löst nostalgische Erinnerungen aus. Keine Spur von modernem Kaufhaus-Ambiente. Stattdessen fühlt man sich in dem Laden, wo Puppen, Eisenbahn und Puzzles in schlichten Regalen auf Käufer warten, in der Zeit zurückversetzt. Nur Marken wie Lego oder Playmobil zeigen, dass das keine Zeitreise ist. Ein etwas in die Jahre gekommenes Schild über der Ladentheke weist die Kunden daraufhin, dass das „selbstständige Öffnen der Verpackung zum Kauf verpflichtet“. Unter diesem Schild sitzt Wolfram Schneider und achtet auf die Einhaltung dieser Regel.

Mit 84 Jahren ist er der älteste Spielzeughändler der Region. Auch landesweit dürfte Schneider wenig Konkurrenz in seinem Alter haben. Seit 1951 steht er hinter dem Ladentisch. Mehr als 40 Jahre ist er der Inhaber des Unternehmens, das sein Großvater mit der ersten Frau 1902 als Putz- und Modewarengeschäft eröffnete. Putzmacher sei eine alte Bezeichnung für einen Hutmacher, erläutert Schneider.

Noch im Jahr der Unternehmensgründung erweiterte demnach Gotthilf Bohne das Geschäft um Puppen. „Seine Tochter Johanna, meine Mutter, hat sich dann vor allem mit dem Nähen von Puppenkleidern einen Namen gemacht“, berichtet der Unternehmer. Zur Weihnachtszeit hätte er sich als Steppke nicht einmal mehr auf das Sofa setzen können, weil dort schon dutzende Puppen auf ein neues Kleid warteten.

Nach und nach seien weitere Spielwaren, Modelleisenbahnen und Bastlerbedarf hinzugekommen. Die Firmengeschichte, die der Hobby-Historiker in einer Chronik zum 100-jährigen Bestehen aufgearbeitet hat, zeigt ein Auf und Ab. Während man sich nach dem Krieg 1945 vor allem mit Reparaturen von Puppen über Wasser gehalten habe, sei er zu DDR-Zeiten mit dem Auto durch die Republik gereist, um überhaupt irgendetwas ins Regal stellen zu können.

„Die Zeit war spannend und voller Herausforderungen, aber über uns schwebte auch immer ein Damoklesschwert“, erzählt Schneider. Seine 1050 Seiten lange Stasi-Akte spreche Bände. Zwar vermisst er das hochwertige Holzspielzeug „made in GDR“ und verteufelt den heutigen „Plastemist“ aus Fernost. „Aber die DDR zurückhaben - um Gottes Willen“, platzt es aus ihm heraus.

Er habe in all der Zeit viele Unternehmen in der Branche sterben sehen. Doch inzwischen gäbe es einen Trend zurück zu mehr Qualität im Kinderzimmer. Die Kundenfrequenz sei zwar längst nicht mehr so hoch, von früher zehn Mitarbeitern sind drei Frauen geblieben. Grund zum Jammern habe er jedoch nicht.

Schneider sieht täglich nach dem Rechten. Auch die Buchhaltung gibt er nicht aus der Hand. Er schlägt ein etwa ein Meter breites Amerikanisches Journal auf, sozusagen eine analoge Excel-Tabelle, und zeigt, wie er alle Einnahmen und Ausgaben handschriftlich festhält. „Ich will doch etwas zu tun haben, außerdem ist der Laden mein Zuhause“, antwortet er ein wenig empört auf die Frage, warum er nicht längst in Rente sei.

Zur Weihnachtszeit steht Schneider noch selbst hinter der Ladentheke und verkauft. Seine Frau Christa, die in wenigen Tagen ihren 80. Geburtstag feiert, unterstützt ihn. Schließlich machen sie ein Drittel des Umsatzes zu Weihnachten - da werde jede Hand gebraucht.

Der Verband der Deutschen Spielwarenindustrie (DVSI), der 230 Unternehmen vertritt, rechnet in diesem Jahr mit einem „Rekord-Weihnachtsgeschäft“. Nach Geld und Gutscheinen gehören demnach Spielsachen zu den Top Drei. Auch der Handelsverband Spielwaren (BSV) ist optimistisch. „Wenn alles gut läuft, knacken wir in diesem Jahr erstmals die Drei-Milliarden-Marke“, meint Geschäftsführer Willy Fischer. Seit Jahren verschenkten die Deutschen zum Fest immer mehr Spielzeug: So wurden 2009 Puppen, Spielen und Co. noch für rund 2,4 Milliarden Euro verkauft.

35 Prozent der Kunden kaufen laut Verband Spielwaren noch immer im Fachhandel ein, 34 Prozent im Internet und 13 Prozent im Verbrauchermarkt. Ganz oben auf der Wunschliste stehen Bausätze (18 Prozent), Fahrzeuge (11 Prozent), Spiele und Puzzles (12 Prozent) sowie Puppen (9 Prozent).

Letztere sind auch bei Schneider nach wie vor gefragt. Sie könnten aber nicht mit den „bildschönen Künstlerköpfen“ von früher mithalten. „Die Puppen von heute starren alle so, nicht mal Wimpern haben die“, ärgert er sich. Treiben es die Kinder von heute zu bunt, schreitet der liebenswerte Patriarch höflich aber bestimmt ein. „Eine Mutter sagte mir mal, der Kunde ist doch König. Da habe ich geantwortet: Das stimmt, aber ich bin der Kaiser“, erzählt er vergnügt.

Tochter Barbara spielt hin und wieder mit dem Gedanken das Geschäft weiterzuführen. „Schließlich ist Bohne eine Institution, das kann man doch nicht einfach aufgeben“, meint die 39-Jährige. Doch noch sei die Nachfolgeregelung offen und daran ändere sich auch nichts, solange ihr Vater sich fit genug fühle.

Bis dahin bleibt bei „Bohne“ alles beim Alten - Schneider kommt weder eine Spielecke ins Geschäft noch eine Webseite ins Haus. Und jeden Mittag schließt der Senior zwischen 12 und 14 Uhr ab. Mittagspause - wie schon seit mehr als 100 Jahren. (dpa)