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Ein Lächeln für Anneli

Eine Statue steht jetzt am Grab der ermordeten Anneli Riße. Den Schmerz kann sie der Familie nicht nehmen.

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© Claudia Hübschmann

Von Ulf Mallek

Das Werk ist vollendet. Die aus italienischem Marmor gefertigte Figur steht lebensgroß am Familiengrab der Rißes im kleinen Klipphausener Ortsteil Sora. Die weiße Statue hebt sich leuchtend vom schwarzen polierten Granit der Grabstätte ab. Der Engel lächelt. Das Lächeln ist nur angedeutet. Warum lächelt der Engel, wo ihm doch so Schlimmes widerfahren ist? „Unsere Tochter war eine Frohnatur“, sagt ihr Vater Uwe Riße. Er ist Bauunternehmer und hat seinen Firmensitz nicht weit vom Friedhof entfernt. „Immer, wenn ich früh zur Arbeit fahre, übern Berg komme, grüßt mich der Engel. Es tut weh.“ Aber Riße ist doch froh darüber, dass er lächelt.

Die Idee für den Engel hatten Uwe Riße und seine Frau Ramona schon kurz nach der Entführung und Ermordung ihrer damals 17-jährigen Tochter Anneli-Marie im August 2015. Sie ist mit dem Engel – symbolisch – wiedergeboren worden. Möge dieser schöne weiße reine Engel uns alle beschützen.

Das ist die ursprüngliche Botschaft der Familie. Das Projekt gestaltete sich schwieriger als gedacht. Eigentlich sollte der Engel schon Ostern vergangenen Jahres fertig sein. Es dauerte ein Jahr länger. Am Ende wurde die Plastik aus einem großen Block Carrara-Marmor geschlagen. Gesamtkosten: etwa 30 000 Euro, davon rund 18 000 Euro Spenden.

Annelis Mutter hatte über 30 Jahre in der Porzellanmanufaktur Meissen gearbeitet, auch Anneli selbst war mal Praktikantin im Weißlager. Die Rißes fanden Kontakt zu Jörg Danielczyk, dem künstlerischen Leiter der Manufaktur, und zu seinem Meisterschüler Maximilian Hagstotz. Sie vertrauten beiden. Ein Gespräch fand im Kinderzimmer von Anneli statt.

Der 24-jährige Meisterschüler Maximilian suchte seine eigene Annäherung an das schwierige Thema. Die Rißes gaben ihm ein ganzes Album mit Fotos von Anneli. Maximilian heftete sie an eine große Tafel und machte sich ans Modellieren. „Ich habe keine Kinder, die ich verlieren könnte“, sagt er. „Das Thema fiel mir sehr schwer.“ Bei Anneli habe er aber erkannt, dass es der Familie vor allem um die Liebe zu ihrer Tochter ging, um Wärme, um Herzlichkeit, um Lebensfreude.

Maximilian hatte nach drei Monaten 250 Kilogramm Ton verarbeitet und eine Vorlage für den Steinmetz geschaffen. Christian Heerklotz aus dem Klipphausener Betrieb Dieter Vogt arbeitete sich in den schweren Marmorblock Bianco Michelangelo. Unter freiem Himmel, bei Wind und Wetter, mit viel Staub. Am Anfang ging es noch mit dem Presslufthammer voran, später wurden die Werkzeuge feiner und filigraner.

In aller Stille, ganz in Familie wurde der Engel am Montag vor Ostern aufgestellt. Die beiden Riße-Kinder Anett und Oliver waren dabei. Sie alle hatten Tränen in den Augen und waren dennoch froh.

Früher waren diese Plastiken auf Friedhöfen allgegenwärtig. Die Rißes möchten an diese alte Tradition anknüpfen. Sie sind Handwerker, bodenständig, fühlen sich der Tradition verpflichtet. Überlegungen, die an sie herangetragen wurden, die Plastik als moderne Kunst zu gestalten, wiesen sie zurück. „Wir fühlen uns mit dieser traditionellen Plastik wohl“, sagt Uwe Riße. Sie wird dazu beitragen, dass die Entführung und grausame Ermordung tief im Gedächtnis der ganzen Region bleibt.

Nach anderthalb Jahren ist der Schmerz immer noch da, so heftig wie am ersten Tag. Er geht nicht, und er wird auch künftig nicht gehen. „Wir nehmen wahr“, sagt Riße, „dass die Öffentlichkeit mit diesem Fall abschließen möchte. Das verstehen wir. Wir können es nicht.“ Die Familie hat die Erfahrung gemacht, dass sie den Alltag besser lebt, wenn sie die permanente Trauer zulässt. „Ich habe mein Kind jetzt mehr im Kopf, als wenn es vielleicht noch unter uns wäre“, sagt Riße. „Aber das ist nicht schlimm.“ Die Furcht vor dem eigenen Tod hat die Familie verloren. Die immerwährende Auseinandersetzung mit dem Thema hat sie furchtlos gemacht. Innerlich muss Riße noch einen Kampf ausfechten: Zwischen der Verantwortung als Geschäftsmann und seiner veränderten Sicht auf die Welt. Er beschäftigt 65 Mitarbeiter und schafft sieben Millionen Euro Jahresumsatz. Im knallharten Baugeschäft.

Doch eigentlich will Riße jetzt vor allem Gutes tun. Anneli hätte es auch getan, mit der Hilfe ihrer Eltern.

Jetzt machen es die Eltern allein und gründeten vor gut einem Jahr eine Stiftung. Sie nehmen sie an Kindes statt an. Die Anneli-Marie-Stiftung hat ihren Sitz in Meißen. Riße stattete sie mit einem Stiftungskapital von einer halben Million Euro aus, in Form von Immobilien. Die Erträge reichen aus, um die laufenden Kosten zu decken. Die Projekte müssen finanziert und Stiftungskoordinatorin Juliane Eisenmenger bezahlt werden. Die Stiftung ruft ein Tanzprojekt ins Leben, beteiligt sich am Literaturfest Meißen und organisiert Musikunterricht für Kinder.

Die Rißes sind froh, dass sie nicht allein sind. Bei Begegnungen und in sozialen Medien drücken Menschen jetzt immer noch ihr Mitgefühl aus. Dafür danken sie, auch den Spendern. Riße: „Mit dem Blick nach vorn und Seite an Seite mit Vertrauten werden wir lernen, diese Last zu tragen.“

Das Lächeln des Engels war zunächst nur eine Idee oder Laune des Künstlers. Aber es drückt aus, was die Rißes sind: Das Glas ist halb voll, nicht halb leer. Und: Wir werden Dich immer lieben, lebensfrohe Tochter Anneli-Marie.