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Ein DDR-Gewächs in Bio-Qualität

Die Aroniabeere ist wieder im Kommen. Dabei wächst sie schon viel länger als gedacht auch in Sachsen.

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Von Jana Ulbrich

Der richtige Zeitpunkt ist Fingerspitzengefühl. Ein paar Tage Geduld noch, weiß Bernhard Stolle. Der Obstbauer aus Schirgiswalde steht in seinen Aronia-Plantagen und betrachtet sich die dunkel-violetten Beeren ganz genau. Sie sind eben noch nicht ganz dunkel-violett. Noch zeigt sich ein Schimmer von zu viel Lila, wenn er die Zweige im Licht dreht. Es braucht mehr Schwarz. Aber es fehlt auch nicht mehr viel. „Eine Woche noch“, entscheidet Bernhard Stolle, „dann ernten wir.“

In der Kelterei Walther in Arnsdorf werden rund 350 Tonnen Aroniabeeren pro Jahr verarbeitet. Vor dem Pressen werden die Beeren gequetscht. Mitarbeiter Christian Zschunke bereitet das hier gerade vor.
In der Kelterei Walther in Arnsdorf werden rund 350 Tonnen Aroniabeeren pro Jahr verarbeitet. Vor dem Pressen werden die Beeren gequetscht. Mitarbeiter Christian Zschunke bereitet das hier gerade vor. © Thorsten Eckert

25, vielleicht auch 30 Tonnen Aroniabeeren werden seine Bio-Plantagen in diesem Jahr hergeben. Schöne, große Beeren mit einem hohen Saftanteil sind in diesem Jahr gereift. Bernhard Stolle ist zufrieden. Dabei hatte er den Aronia-Anbau beinahe schon aufgeben wollen. Wollte die alten Aroniabäume, die schon seit 40 Jahren am Schirgiswalder Fuchsberg stehen, allesamt roden und häckseln lassen.

Seit 40 Jahren? Bernhard Stolle schmunzelt. Das wissen die meisten nicht. „Ich bin mir sicher, wir waren die Ersten in Deutschland“, sagt er. Damals, Mitte der 1970er-Jahre, haben die Chefs der Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft und der Sohlander Früchteverarbeitung die Idee, es mit dem Aronia-Anbau zu versuchen.

Sie hatten das bei einem Besuch in Tschechien gesehen. Weil der Zoll die Einfuhr der Reiser aus Tschechien nicht genehmigen will, schmuggeln die Frauen sie kurzerhand in ihren Handtaschen über die Grenze, erzählt Bernhard Stolle. Fortan gibt es in der DDR köstliches Aronia-Rahmdessert im Delikat, es gibt Fruchtsoße, Likör und Schaumwein – auch nur im Delikat. Nach der Wende ist Schluss. Die nächste Ernte verkaufen die Schirgiswalder für einen Spottpreis nach Italien an eine Firma, die Farbstoffe herstellt. Viel zu schade für diese Superfrucht.

Es ist vor allem der hohe Gerbsäureanteil, der die Aroniabeere so gesund macht. Sie ist reich an den Vitaminen A, C und K. Man sagt ihr nach, dass sie die Verdauung fördert, den Blutdruck senkt, Regelbeschwerden lindert, den Blutkreislauf anregt, das Wachstum von Krebszellen hemmt. „Es ist keine Wunderbeere und auch keine Arznei“, sagt Bernhard Stolle. „Aber es ist erwiesen, dass die Aroniabeere der Gesundheit guttut.“ Davon ist der 59-Jährige felsenfest überzeugt.

Wie gut, dass das viele Kunden mittlerweile auch so sehen und die Superfrucht deshalb heute wieder sehr gefragt ist. Und wie gut, dass Kirsten Walther, die Chefin der Kelterei Walther in Arnsdorf, diesen Trend beizeiten erkannt hat und schon früh auf den neuen Siegeszug der Aroniabeere aufgesprungen ist. Walthers Aroniasaft ist inzwischen ein Markenzeichen in der Region. Rund 350 Tonnen jährlich werden in der Kelterei zu Saft und Nektar verarbeitet. Der überwiegende Teil der Früchte kommt aus Polen, jede fünfte Tonne inzwischen aber auch aus der Region.

Ein Saft ist dabei ein ganz besonderer: der in den blauen Drei-Liter-Boxen. Darin steckt ausschließlich die Ernte von Bernhard Stolles Schirgiswalder Bio-Plantagen: „100 Prozent Region“, sagt Kirsten Walther. „Das schmeckt man.“

Dass der Aroniasaft aus Arnsdorf besonders wertvoll ist und besonders viele der gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe enthält, hat ihr jetzt sogar ein bundesweites Forschungsprojekt bestätigt, an dem die Kelterei teilgenommen und dessen Ergebnisse sie jetzt auf dem Tisch hat. Das liegt auch an der besonderen Verarbeitung, sagt Kirsten Walther. Das spezielle Verfahren hat ihr Bruder Jens, der Produktionschef des Familienbetriebes, entwickelt.

Im Grunde ist es der Kelterei Walther zu verdanken, dass heute immer noch Aronia-Beeren am Schirgiswalder Fuchsberg reifen. Dank der neuen Nachfrage stehen Bäume und Sträucher inzwischen auf rund zwölf Hektar. Nur die alten und kranken Bäume sind gerodet und gehäckselt. Bernhard Stolle hat einen großen Teil der alten Bäume verjüngt, und er hat neue Sträucher gepflanzt.

Die Ernte ist aufwendige Handarbeit. 30 Arbeitskräfte werden rund drei Wochen lang zu tun haben. Stolles Erntehelfer kommen aus Rumänien und Polen. Er muss Mindestlohn zahlen. Damit sich das überhaupt irgendwie rechnet, wird im Akkord gepflückt: 100 Kilogramm am Tag muss ein Pflücker mindestens schaffen. Das sind an die 15 Eimer voll. Eine mühevolle Arbeit. Unter den Einheimischen findet sich kaum jemand, der sie machen will.

Es ist auch wirklich ein sehr mühevolles Geschäft. Bernhard Stolle muss Tonnen produzieren, damit es sich rechnet. Wie lange es sich überhaupt noch rechnet? Bernhard Stolle zuckt mit den Schultern. Es rechnet sich, solange er den Preis bekommt, den er braucht, sagt er. Es ist generell schwierig geworden im Obstbau. Am Ende steht der Verbraucher, der bereit sein muss, den Preis für das Endprodukt zu bezahlen.