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Ehrenvoll und ein bissl bekloppt

Von den mehr als 100 000 Denkmalen Sachsens gelten zwei Drittel als saniert. Dem großen Rest aber droht der Verfall, wenn sich nicht „Verrückte“ finden – wie Marek Schurig aus Leuben.

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© Thomas Kretschel

Von Thomas Schade

Der junge Mann versteht, sich in Szene zu setzen, auch wenn alles um ihn herum zu verfallen scheint. Ein weißes Tischtuch, Porzellan mit Weinlaub und eine Pfingstrose sind dabei, wenn Marek Schurig auf Schloss Leuben Besuch empfängt. Schlossherr sei er nicht, sagt der 39-Jährige, „aber ein bissel bekloppt“.

Schloss Leuben bei Oschatz: von einem Verein gekauft und vor dem Verfall gerettet. „Nur Verrückte machen so etwas“, sagt Initiator Marek Schurig.
Schloss Leuben bei Oschatz: von einem Verein gekauft und vor dem Verfall gerettet. „Nur Verrückte machen so etwas“, sagt Initiator Marek Schurig. © Thomas Kretschel
Umgebindehäuser: So wie das Reiterhaus in Neusalza-Spremberg stehen Hunderte dieser Häuser unter Denkmalschutz. Nur Private können sie erhalten.hung nur mit Nennung des Urhebers gestattet.
Umgebindehäuser: So wie das Reiterhaus in Neusalza-Spremberg stehen Hunderte dieser Häuser unter Denkmalschutz. Nur Private können sie erhalten.hung nur mit Nennung des Urhebers gestattet. © Wolfgang Wittchen
Die Meinertsche Spinnmühle Lugau bei Stollberg, eines der ältesten Industriegebäude Sachsens.
Die Meinertsche Spinnmühle Lugau bei Stollberg, eines der ältesten Industriegebäude Sachsens. © Thomas Schade
Dorfkirche Lausa: Wie im Zeitraffer zog Wasser in das alte Gemäuer.
Dorfkirche Lausa: Wie im Zeitraffer zog Wasser in das alte Gemäuer. © Thomas Kretschel
Buntgarnwerk Leipzig: Durch Millionen-Investitionen erhielten Industriebauten im Stadtteil Plagwitz eine neue Nutzung.
Buntgarnwerk Leipzig: Durch Millionen-Investitionen erhielten Industriebauten im Stadtteil Plagwitz eine neue Nutzung. © dpa

Wer bindet sich schon eine alte Residenz aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ans Bein. Der Florist will die Ruine retten. Weniger, weil sie unter Denkmalschutz steht. Er sagt: Hier ist der Ursprung unseres Ortes. Hier sei er groß geworden, hier möchte er alt werden. Der 39-Jährige sitzt im Speisesaal, umgeben von ausgerissenen Türgewänden und verblichener Farbe und sagt: „So was machen nur Verrückte.“

Schloss Leuben liegt an der alten Poststraße von Dresden nach Hubertusburg. Dort baute Johann Christoph Knöffel Mitte des 18. Jahrhunderts das Jagdschloss zur kurfürstlichen Residenz um. In jener Zeit entstand auch der schlichte Barrockbau auf einer kleinen Insel in Leuben, angeblich mit Knöffels Zutun. Genau weiß das keiner.

Nur eines weiß Marek Schurig: „Wenn wir 2004 nicht gehandelt hätten, wäre das Schloss verloren gewesen.“ Schon Mitte der 1970er-Jahre war es so baufällig, dass Schule, Kindergarten und LPG-Verwaltung raus mussten. „Danach war es unser Abenteuerspielplatz.“ Eine Treuhandfirma privatisierte das Schloss 1990, doch der Investor ließ den alten Herrensitz verfallen. Der Wind begann, Ziegel vom Dach zu reißen. Mit Zorn und Enttäuschung sahen die Leubener zu, wie ihr Schloss verfiel. In der Stunde der Not gründete Schurig im November 2004 mit sechs anderen „Verrückten“ den Bürgerverein. Er kaufte die Ruine.

Heute ziehen 68 Mitglieder im Verein mit. Schurig stellt Förderanträge, nervt Denkmalschützer, organisiert Arbeitseinsätze und überzeugt Baufirmen mitzumachen. Der 39-Jährige weiß nicht, wie viele Kubikmeter Bauschutt er und seine Helfer aus der Ruine getragen haben. „Es war staubig ohne Ende.“ Nach zehn Jahren ist Schloss Leuben noch nicht instand gesetzt. „Aber vor dem Verfall ist es gerettet“, sagt Schurig. Ein neues Dach schützt vor der Witterung, neue Decken sind eingezogen. Rund 420 000 Euro sind verbaut. „Wir sind wieder drin.“ Kammermusikkonzerte, kleines Theater, Lesungen, Vorträge zur Heimatgeschichte. Viele hält Schurig selbst. Er ist das wandelnde Adelslexikon des Ortes.

Für Petra Dzur liegen solche Erfolge noch in der Ferne. Sie steht in der kleinen Kirche von Lausa, einem Dorf am Rande der Dahlener Heide. Auf dem roten Backsteinboden wächst Moos. Auch Wände schimmern schmutzig weiß und grün. Stellenweise fehlt der Putz. Es ist feucht, man riecht den Schimmel. Keiner könne recht erklären, warum sich das über 500 Jahre alte Kirchlein in den letzten Jahren wie im Zeitraffer vollgesogen hat mit Wasser, sagt Petra Dzur. Klar ist nur: Die 160-Seelen-Gemeinde allein kann das älteste Bauwerk im Ort nicht erhalten. „Hier wird getauft, konfirmiert, geheiratet und getrauert. Die Kirche gehört zu unserem Leben, keiner möchte auf sie verzichten“, sagt sie.

Mit sachkundiger Hilfe gründeten auch die Lausaer vor zwei Jahren einen Förderverein, der das Kirchlein erhalten möchte. „Wir versuchen Leben in die Kirche zu bringen, Sponsoren zu finden und Geld Sanierung zu sammeln“, sagt Petra Dzur, die Schriftführerin. Immerhin ist die Deutsche Stiftung Denkmalschutz auf das Kirchlein aufmerksam geworden und Künstler kommen sogar aus München, um hier zu musizieren. Dann füllen bis zu 130 Menschen die Kirche. So kam Geld für erste Notreparaturen zusammen, die fast 50 000 Euro verschlangen. Aber in Lausa wird etwa eine Viertelmillion Euro gebraucht, um die Kirche zu retten.

Schloss Leuben und die Kirche in Lausa sind zwei von knapp 102 000 Denkmalen im Freistaat. Denkmalland Sachsen resümieren Politiker gern, wenn sie Eindruck wecken wollen mit Repräsentativbauten wie den staatlichen Schlössern oder Vorzeigedenkmalen wie Schloss Hartenfels in Torgau oder dem Industriemuseum in Chemnitz. Etwa zwei Drittel des Bestandes an Denkmälern seien in Ordnung, sagt Landeskonservatorin Rosemarie Pohlack und verweist auf die Vielfalt der Denkmallandschaft. Prachtbauten wie das Dresdner Residenzschloss gehörten ebenso dazu, wie historische Weichen im Schienennetz.

Aber Denkmalpflege und Denkmalschutz sind für Rosemarie Pohlack keine Ämtersache. „Denkmale können nur von den Menschen erhalten werden, denen sie als Kulturgut ans Herz gewachsen und wertvoll sind“, sagt sie. Man könne den vielen Privateigentümern, Vereinen und ehrenamtlichen Denkmalpflegern nicht genug danken. „Wie wäre es um die Umgebindehäuser bestellt, wenn sich nicht Menschen für ein Leben in so einem Haus entscheiden und es auf diese Weise erhalten.“ So habe die Stiftung Umgebindehaus vor elf Jahren mit einem Leerstand von 350 Häusern begonnen. Heute sei der Leerstand noch immer so hoch, obwohl seither jährlich zwischen 20 und 50 Häuser saniert würden. Auch das sei eine Daueraufgabe.

Ihr Amt und die Denkmalschutzbehörden sind fachkundige Begleiter. „Aber das ist angesichts knapper werdender Ressourcen zunehmend eingeschränkter möglich“, sagt Pohlack. So fehlten dem Landesamt für Denkmalpflege bereits die Leute, um zum Beispiel technische und Gartendenkmale qualifiziert zu erfassen. „Diese Arbeit liegt derzeit auf Eis.“ Sie hofft, dass Schwarz-Rot ihren Koalitionsvertrag erfüllt. Darin steht: „Die sächsische Industriekultur ist Bestandteil des zu erhaltenden kulturellen und musealen Erbes. Die Koalitionspartner sind sich darin einig, dass der Freistaat Sachsen eine dauerhafte Finanzierungsverantwortung für die sächsische Industriekultur hat.“

In Lugau, einem Städtchen südlich von Chemnitz, ist es dafür fast zu spät. Hier siecht die Meinert’sche Spinnmühle vor sich hin – 1812 bis 1814 erbaut und damit eines der ältesten erhaltenen Industriegebäude Sachsens. Vor lauter Wildwuchs ist der dreigeschossige Steinbau mit dem gewaltigen viergeschossigen Walmdach kaum zu sehen. Um die vier Steinsäulen zu sehen, die das Gebäude so einmalig machen, muss man einen Zaun überwinden.

Der stehe seit ein paar Wochen, sagt Renate Hertel. Sie wohnt seit mehr als zwanzig Jahren neben dem Denkmal. „Früher hat man noch die Fassade und die Dachgauben gesehen“, sagt die Rentnerin. Dann pflanzen Hertels vier serbische Fichten, um das Sterben des Denkmals nicht immer vor Augen zu haben. „Kein schöner Anblick“, sagt Renate Hertel, „aber wenn es weg wäre, würde was fehlen.“

Das frühe Zeugnis sächsischer Industriegeschichte hat wechselvolle Zeiten hinter sich. Zuerst wurde Baumwolle hier gesponnen, später Messingteile für den Bergbau gefertigt. Seit den 1920er-Jahren diente das Gebäude als Wohnhaus zunächst für Arbeiter, später für russische Kriegsgefangene und inhaftierte Kommunisten. Nach 1945 lebten darin Umsiedler und zuletzt bis 1974 algerische Gastarbeiter. Nach 1990 kaufte ein Italiener das Haus, aber zu dem habe er keinen Kontakt mehr, so Lugaus Bürgermeister Thomas Weikert.

Bernd Sikora kennt die Geschichte der Lugauer Spinnmühle bestens. Sie ist Thema von Vorlesungen, die der Leipziger Architekt und Buchautor an der TU Freiberg zur Industrie-Architektur in Sachsen hält. Auch Sikora möchte das Denkmal wenigstens teilweise retten. Wie eine Klosterruine sollten Teile des Gebäudes, insbesondere die Säulen erhalten werden.

Doch seine Karten stehen schlecht. Das Landratsamt will das Gebäude abreisen. „Alle, die hier waren, haben nur geredet“, sagt Nachbarin Renate Hertel. Keiner hat bisher einen Förderantrag gestellt, um das Denkmal zu erhalten. „Wir wissen nicht, wie wir das Gebäude nutzen könnten“, sagt Bürgermeister Weikert. Architekt Sikora argwöhnt Ideologie hinter der Untätigkeit der Stadt. Der Bürgermeister von den Linken wolle ein Relikt kapitalistischer Frühgeschichte beseitigen, vermutet er. Ende Mai könnte sich das Schicksal des Gebäudes entscheiden, dann findet vor Ort erneut ein Krisentreffen statt.

Die Meinert'sche Spinnmühle gehört zu den etwa 35 000 unsanierten Denkmalen, die Landeskonservatorin Pohlack besondere Sorgen bereiten. „Große Brocken“ seien darunter, von denen viele in ihrer Existenz akut bedroht seien. Obwohl der Freistaat seine Ausgaben für den Denkmalschutz 2016 auf 13 Millionen Euro erhöht hat. „Uns läuft die Zeit davon“, sagt Rosemarie Pohlack. Was in den kommenden zehn Jahren nicht gesichert werde, geht verloren.

Eine einfache konservative Schätzung zeigt, was kaum zu schaffen ist. Geht man von Kosten für jedes noch unsanierte Denkmal auf nur 400 000 Euro aus, so beträgt der Finanzbedarf im sächsischen Denkmalschutz rund 14 Milliarden Euro.

Wie beträchtliche Summen für die Rettung der Industriearchitektur aufgebracht werden können, das zeigt Leipzig seit 15 Jahren im Stadtteil Plagwitz. Das Konzept heißt „Erhalten durch neue Nutzung“ und wurde von Bernd Sikora mitentwickelt. In Plagwitz werde kein altes Industriegebäude mehr geschliffen, sagt der Architekt. Stattdessen entstehen mit Millionen-Investitionen hochwertige Wohn- und Bürobauten wie im alten Buntgarnwerk in der Nonnenstraße mit Atrium und Bootsanleger.

Für Marek Schurig in Leuben bei Oschatz werden derartige Millionenbeträge wohl immer Illusion bleiben. „Wir können uns Eile nicht leisten“ sagt der Denkmalschützer im Ehrenamt und fügt hinzu: „Wir sollten barrierefrei bauen, damit wir das Ergebnis mit dem Rollator noch anschauen können.“ Aber da würde wohl der Denkmalschutz nicht mitmachen, witzelt er mit einem Schuss schwarzen Humors.