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„Dzien dobry“ und „Dobrý den“

Viele Sachsen beherrschen kaum die Sprachen der Nachbarn - selbst im Grenzgebiet. Zumindest bei den Jüngsten beginnt sich das zu ändern.

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© ZB

Claudia Drescher

Görlitz/Luby. Gebannt hängen die 18 Mädchen und Jungen einer Kita in Luby an den Lippen von Pavlína Kellerová. Sie erzählt von einem Pfannkuchen, der um keinen Preis verspeist werden möchte. Während die Geschichte in den Köpfen der kleinen Tschechen zum Leben erwacht, saugen sie ganz nebenbei deutsche Vokabeln wie Hase, Bär oder Fuchs auf.

Die 41-Jährige vermittelt spielerisch die Sprache des Nachbarlandes, das nur knapp fünf Kilometer von der Kleinstadt im böhmischen Vogtland entfernt liegt. Kellerová ist freiberufliche Sprachanimateurin, die Kindern auf beiden Seiten der deutsch-tschechischen Grenze in der Region um Bad Elster die jeweilige Sprache der Nachbarn näher bringt.

„Mir geht es vor allem darum, dass die Kinder keine Vorbehalte gegenüber dem Nachbarland haben und ihre Neugier geweckt wird“, sagt die Tschechin, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt. Ihre Tochter sei zweisprachig aufgewachsen und im wöchentlichen Wechsel in Bad Elster und Luby in die Kita gegangen. „Dadurch konnte sie zu 100 Prozent in die Sprache eintauchen.“ So kommt ein „Dobrý den“ (Guten Tag) leicht über die Lippen; im Polnischen hieße es „Dzien dobry“.

Das Konzept verfolgt Kellerová auch mit ihrer Sprachanimation. Drei Kindergärten auf tschechischer und sieben auf deutscher Seite sowie zwei Grundschulen besucht sie jede Woche. Die Quereinsteigerin hat sich dafür beim Deutsch-Tschechischen Jugendaustausch Tandem, einem EU-Projekt, weiterbilden lassen.

Rund 200 Sprachanimateure seien seit 1997 in den Koordinierungszentren in Regensburg und Pilsen ausgebildet worden, berichtet die Mitarbeiterin Jana Kucerová. Aktuell arbeiten rund 80 zertifizierte Sprachanimateure in beiden Ländern, im direkten Grenzgebiet sind es mehr als 20.

Entlang der Grenze gibt es nach Angaben der Landesstelle für frühe nachbarsprachige Bildung rund 50 sächsische Kindergärten, die sich in unterschiedlicher Form mit Tschechisch oder Polnisch beschäftigen. Das Angebot reicht von länderübergreifenden Kita-Partnerschaften über regelmäßige Sprachangebote bis hin zur Betreuung durch Muttersprachler im Kita-Alltag.

In Sachsens Schulen lernen aktuell rund 5200 Kinder und Jugendliche die Sprachen der Nachbarn. Die Zahl hat sich nach Angaben des Kultusministeriums in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Am stärksten wuchs demnach die Schar der Polnisch-Lerner in Sachsens Grundschulen: von 401 auf aktuell 1032.

Regina Gellrich, Leiterin der Landesstelle für frühe nachbarsprachige Bildung, plädiert dafür, überall in den Grenzregionen ein durchgängiges Erlernen der polnischen oder tschechischen Sprache zu ermöglichen. Hier gebe es im Freistaat noch viel zu tun. Auch etliche Kitas seien noch recht zurückhaltend.

„Dabei gehört die Nachbarsprache zur authentischen Lebenswelt der Kinder“, wirbt die Zittauerin. Sie selbst fahre keine halbe Stunde bis Liberec - eine prosperierende, moderne Stadt. Bis Dresden seien es hingegen mehr als 90 Minuten. Die in der Grenzregion lebenden Menschen sollten sich nicht als Rand Sachsens begreifen, sondern vielmehr die Chancen der 360-Grad-Perspektive erkennen und nutzen. „Wir sind mittendrin in Europa, diese Erkenntnis braucht aber Zeit.“

Immerhin seien viele Eltern in den vergangenen Jahren offener geworden, hat Gellrich beobachtet. Die Menschen müssten erfahren, dass es sich lohnt, Tschechisch oder Polnisch zu lernen. Nicht zuletzt gehörten beide Länder zu den zehn wichtigsten Wirtschaftspartnern Deutschlands. Damit seien entsprechende Sprachkenntnisse auch auf dem Arbeitsmarkt zunehmend relevant.

Als weiteren Aspekt sieht Ute Engler die aktuellen politischen Tendenzen. „Es geht darum, den Blick zu weiten. Das ist ein großes Kapital für Kinder, die erst einmal offen und unvoreingenommen sind“, sagt die Leiterin einer Kita in Hirschfelde bei Zittau. Fünf der 80 Plätze seien für Kinder aus den Nachbarländern reserviert. Obendrein laufen Sprachassistenten im Kita-Alltag mit. Polnische oder tschechische Erzieher hingegen gebe es nicht - das scheitere bislang an bürokratischen Hürden.

Carolin Richter von der Kita Zwergenvilla nennt ein weiteres Manko. Die Kita-Leiterin holt einmal in der Woche Pavlína Kellerová nach Adorf. Damit diese aber den Tagesablauf begleiten könne, müsse sie jedes Jahr Fördermittel bei der Europäischen Union beantragen. „Das bedeutet viel Arbeit und immer wieder Unsicherheit.“ (dpa)