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Dynamo-Legende hinterm Tresen

Ob Beckenbauer oder Müller – als Fußballer scheute Siegmar Wätzlich keinen Zweikampf. Heute heißt sein Motto: Jeden Tag leben und genießen.

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© Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich

Die Autogrammkarten sind nach wie vor sehr gefragt. Die Fans können wählen: Wätzlich gegen Beckenbauer oder Wätzlich gegen Müller. Siegmar Wätzlich schmunzelt. Was waren das noch für Zeiten, als Dynamo gegen die Bayern antrat. „Die Schnappschüsse von den Zweikämpfen sind ja quasi fußball-historisch wertvoll“, sagt der Mann aus Rammenau, der weit über die Grenzen seines Heimatorts hinaus eine lebende Legende ist.

Von 1967 bis 1975 war Siegmar Wätzlich Linksverteidiger bei Dynamo Dresden. Und er war einer der besten Fußballspieler damals in der DDR. 24-mal stand er im Aufgebot der Nationalmannschaft, war 1974 WM-Teilnehmer, holte bei den Olympischen Spielen 1972 in München mit der DDR-Nationalelf die Bronzemedaille. Wätzlich sieht die großen Erfolge aber eher ganz nüchtern: „Ich hatte einfach Glück“, sagt er. „Trotz der vielen Verletzungen, die ich immer wieder hatte, war ich zu den Höhepunkten fit.“ Manchmal war er es auch nur, weil die Ärzte ihn fit gespritzt hatten. Heute macht ihn das nachdenklich: „Wir waren doch jung, wir haben doch gar nicht gefragt, was die uns da alles gegeben haben“, sagt er. „Vielleicht war es ja auch das, was mich so kaputt gemacht hat.“

Im vergangenen November hat Siegmar Wätzlich seinen 70. Geburtstag gefeiert. Für ihn ist das Leben heute ein großes Geschenk. Schon mit 28 musste er sich verabschieden vom Profifußball. Der Körper wollte nicht mehr mitmachen. In den Jahren danach ist er schwer erkrankt. Leber und Nieren wollten nicht mehr arbeiten. „Ich war ein Wrack“, erzählt er. Eine Organspende hat sein Leben gerettet. Vor 20 Jahren hat er eine neue Leber und eine neue Niere bekommen. Die Spenderorgane arbeiten immer noch. Und Siegmar Wätzlich ist wieder der Alte. Beinahe jedenfalls.

Jeden Tag leben und genießen – das ist seit der schweren Krankheit sein Lebensmotto geworden. Auch mit 70 steht „Wätzer“, wie seine Freunde ihn nennen, noch oft hinterm Tresen der Familien-Gaststätte in Rammenau im Landkreis Bautzen. Der Vater hatte es einst festgelegt: Siegmar bekommt die Gaststätte, der ältere Bruder die Fleischerei nebenan. Heute führen die Töchter die beiden Familienbetriebe schon in der nächsten Generation. Wätzlichs Frau Ingrid steht immer noch mit in der Küche, und er selbst hilft in der Gaststube aus, wann immer er gebraucht wird. Er muss ja in Bewegung bleiben, sagt er. Das hier ist heute sein Leben, sagt Siegmar Wätzlich. Er braucht nichts anderes mehr. „Ich hab so viel gesehen. Ich muss nicht mehr die Welt bereisen.“

Er freut sich über jeden Tag, an dem es ihm gutgeht. Er muss jetzt mehr auf seine Gesundheit achten, trinkt zum Beispiel absolut keinen Alkohol. „Ich muss ja meine neuen Organe schonen“, erklärt er ganz selbstverständlich. Auch ist sein Immunsystem geschwächt. Mit jedem Windzug könnte er sich eine schwere Erkältung holen. Siegmar Wätzlich nimmt es, wie es ist: „Ich muss eben gut einschätzen, was ich mir zutrauen kann und was nicht.“

Am meisten freut er sich, wenn er mit seinen Gästen über die alten Zeiten schwätzen kann. Stundenlang könnte er da sitzen und erzählen. An den Wänden und überm Tresen hängen Fotos und Erinnerungen an seine große Laufbahn. Wenn die Gäste es wünschen, holt er auch noch die alten Fotoalben dazu. Das können dann lange Abende werden. Oft kommen auch die alten Sportfreunde vorbei. Vor allem, wenn mal wieder Schlachtfest ist bei Wätzlichs. Das hat nämlich Kultstatus in Rammenau.