Merken

Dunkle Begierde

Enge, Dreck und Finsternis machen den Höhlenmenschen Spaß. Ein Vorstoß in die Tiefen des Bielatals.

Teilen
Folgen
© Mike Jäger

Von Jörg Stock

Ralf will spielen. Er legt den Fichtenzapfen vor meine Schuhspitzen, damit ich ihn zum x-ten Mal in die Botanik schmeiße. Der kleine Hund, ein Jack Russel mit etwas Stafford, ahnt, dass er gleich ohne Spielgefährten dasteht. Wo wir hingehen, kann er nicht mit. Enrico, sein Herr, „schlatzt“ sich schon an. Der „Schlatz“ ist ein wasserdichter Overall aus ultrafestem Kunststoff. Ich schaue an mir herab: dünne Wanderjacke, Baumwollhose. Passt schon, sagt der Profi. „Früher bin ich auch so losgegangen.“

Kein Höhlenbuch, sondern Logbuch der Geocacher. Eintragen schadet nicht.
Kein Höhlenbuch, sondern Logbuch der Geocacher. Eintragen schadet nicht. © Mike Jäger
Ein Seil für alle Fälle: Mit der Klemme kämpft sich Anja im Kamin aufwärts.
Ein Seil für alle Fälle: Mit der Klemme kämpft sich Anja im Kamin aufwärts. © Mike Jäger
Keine Lust auf Besuch: Die Höhlenkreuzspinne verzieht sich ins Dunkel.
Keine Lust auf Besuch: Die Höhlenkreuzspinne verzieht sich ins Dunkel. © Mike Jäger
Pause: Anja Rudolph, Patrick Köhler, Jörg Stock, Enrico Schiffner (v.l.)
Pause: Anja Rudolph, Patrick Köhler, Jörg Stock, Enrico Schiffner (v.l.) © Mike Jäger

Enrico Schiffner, 39, liebt das Draußensein. Der gelernte Maler hat seinen Job quittiert, um in der Natur zu arbeiten. Unter dem Label „Sächsische Schweiz aktiv“ veranstaltet er Abenteuertage und Ferienlager, geht nachts wandern oder steigt mit der Kundschaft auf die Gipfel des Elbsandsteingebirges. Er klettert auch gern im Untergrund. Er ist ein „Höhlenmensch“. Jede Nische reizt ihn. Immer will er wissen, ob und wie es darin weitergeht. Im vorliegenden Fall weiß er es. Die Tiefe Höhle ist seit den 1960er-Jahren bekannt. Mit 22 Metern Abstieg zählt sie zu den tiefsten Höhlen des Bielatals und der Sächsischen Schweiz.

Durchschlupf in der Bauchlage

Neben Enrico machen sich zwei junge Leipziger, Anja und Patrick, fertig für die Expedition. Im Alltag kümmern sich beide um die Logistik bei Galas und Messen. Die Höhlenführung haben sie gebucht, um mal was Besonderes zu erleben. Noch nie haben sie eine Tour in den Untergrund mitgemacht, spüren aber eine Affinität zu Höhlen. Woher die kommt? Anja weiß es nicht genau. „Höhlen sind irgendwie spannend“, sagt sie, „irgendwie geheimnisvoll.“

Helme auf, Handschuhe an. „Da geht’s rein!“ Enrico zeigt auf eine fünf Meter hohe Felswand, die ein senkrechter Spalt teilt. Da hinein haben sich Steinbrocken gekeilt und eine Öffnung von der Größe eines Bierkastens frei gelassen. Wie die Regenwürmer winden wir uns, die Arme voran, mit den Schuhspitzen nachschiebend, hindurch. Im Fachjargon heißt das „schlufen“. Im Extremfall hilft nur spezielle Atemtechnik weiter. „War das jetzt die engste Stelle?“, will Anja wissen, als wir mit dreckigen Bäuchen jenseits des Nadelöhrs hocken. Enrico lacht. „Das war doch nicht eng!“

Vorwärts. Leicht nach unten führt der Weg. Seitlich ein vielbeiniger Schatten, der aus dem Helmlichtkegel flieht. Die Höhlenkreuzspinne mag keinen Besuch. Unser Atem dampft. Um die acht Grad kühl soll es hier unten sein. Nach links krauchen wir, wieder durch einen Engpass durch. Dann weicht der Fels zurück. Der sogenannte Eisraum ist erreicht. Die Wassernasen an den Steinen gefrieren im Winter, und es kann lange dauern, bis sie wieder auftauen.

Verschnaufen. Ohne unseren Radau ist diese Welt vollkommen still. Die Steinblöcke wirken lose, wie eben erst hingeworfen. Das ist typisch für die Höhlen in der Sächsischen Schweiz. Oft sind sie durch Bewegung im Gebirge entstanden. Der Fels zerriss und Trümmerblöcke stürzten übereinander. Und manchmal ist eine passierbare Ritze übrig geblieben.

Das Bielatal aufwärts der Ottomühle wird als das bedeutendste Höhlengebiet im sächsischen Elbsandstein gehandelt. Insgesamt sind im Gebirge an die 400 Höhlen erkundet. Manche sprechen von 600. Enrico Schiffner ist sich sicher, dass es noch ganz viel zu entdecken gibt. Binnen dreier Jahre hat er seinen Kindheitsfelsen, den Kleinhennersdorfer Stein, systematisch nach Höhlen abgegrast. Und er will weiter suchen. „Die Felsen sind so riesig“, sagt er. „Da muss einfach noch Potenzial sein.“

Enrico lichtelt rauf zur Höhlendecke. Dort glimmt und glitzert es, als hätte einer Goldstaub hingepustet. Leuchtmoos, eins der ersten Moose, das in Deutschland unter Naturschutz gestellt wurde, weil es an einem derart extremen Standort überlebt. Anja staunt. „Krass! Das ist so schön!“ Und macht Lust zum Abkratzen. Natürlich ist das verboten. Es würde auch nichts nützen, sagt Enrico. Am Tageslicht wäre die Glitzerpracht sofort verschwunden.

Die ganze Zeit über hat der Höhlenführer ein Seil mit sich getragen. Nun bindet er es an einem Steinblock fest, lässt das Ende in die schwarze Tiefe fallen. Ein Kamin. Glatt und bodenlos wirkt er. Ist er aber nicht. Es gibt Tritte, sagt Enrico. Anja, eine Hand ins Seil gewickelt, soll als Erste runter steigen. Aber steigen wohin? „Hier ist nur ein Loch“, sagt sie. Enrico redet ihr gut zu: Die Beine lang machen, dann fühlt man die Stelle, wo der Fuß Halt findet. Anja findet nichts. Dann aber doch. Nur hängt jetzt die Hand im Seil fest. Das machen die Handschuhe. Die sind rau wie Sandpapier. Patrick und ich können den Seilakt nicht direkt sehen. Wir lauschen nur gespannt in die Finsternis. Dann die erlösende Meldung von irgendwo unten: „Seil frei!“

Die Passage des flaschenförmigen Kamins ist eine durchaus anspruchsvolle Kletterei. Dennoch geht Enrico Schiffner auch mit Schülern hier hinein. Das Feedback ist fast immer positiv, sagt er. Es gibt aber auch diejenigen, die ein „Dreckproblem“ haben, vor allem unter Oberschülern. „Die erzählen mir dann, was sie grade für tolle Sachen anhaben.“ Die Zimperlichen dürfen draußen bleiben und mit Ralf spielen. Weil so eine Höhlentour gern zwei Stunden dauert, passiert es, dass sich der arme Hund beim Apportieren völlig verausgabt.

Der Hohe Raum. Das ist, sozusagen, der Gipfel. Das Buch sieht auch aus wie ein Gipfelbuch. Nur heißt es hier unten Höhlenbuch. Wir holen es aus seiner Blechkassette. Anja spitzt mit dem Taschenmesser den Bleistift an. Dann tragen wir uns ein. Keinen großen Schmus, nur den Tag und die Namen. Hat es Spaß gemacht? „Auf jeden Fall“, sagt Anja. Und der Spaß hat erst angefangen. Enrico, süffisant unter seinem Geleucht grinsend, kündigt die nächste Etappe seiner Bielataler Höhlentour an: „Das wäre dann die Menschenfalle!“

www.sächsische-schweiz-aktiv.de