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Dr. Jazz: Ältestes Jazzstudium in Deutschland feiert Geburtstag

Master of Jazz, Rock und Pop: Die Dresdner Musikhochschule leistet Pionierarbeit, als sie vor 50 Jahren ein Studium für „Tanzmusiker“ auflegt. Inzwischen wird bundesweit an mehr als 20 Hochschulen gerockt und gejazzt.

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Von Jörg Schurig

Dresden. Der Musikgeschmack von DDR-Staatsoberhaupt Walter Ulbricht kannte keine Zwischentöne. Jazz war „Affenmusik“ und auch das „Yeah, Yeah, Yeah“ der Beatles schien dem gelernten Tischler suspekt. Deshalb grenzt es fast an ein Wunder, dass während seiner Amtszeit eine geradezu subversive Bewegung in Dresden ihren Anfang nahm.

Im Herbst 1962 entstand an der Musikhochschule eine „Tanzmusikklasse“. Die spätere Abteilung Jazz/Rock/Pop war die erste ihrer Art in Deutschland und bildete Generationen von Jazzern und Rockmusikern aus. Wer in der DDR zur Session auf die Bühne trat, hatte in der Regel ein Diplom in der Tasche.

„In einem Umfeld, wo die Prinzipien des sozialistischen Realismus den Ton angaben, war die Einrichtung dieser Abteilung revolutionär und wegweisend“, schreibt der Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer im neuen Jahrbuch der Dresdner Musikhochschule. Sommer, der zu einem international gefragten Drummer reifte, kam 1995 als Lehrer zurück und war froh, seine „musikalische Weltumtriebigkeit“ in den Lehrplan einbringen zu können. Noch heute sieht er die Ausbildung im ständigen Fluss. „Die Musiker auf Konzertbühnen und in Jazzkellern geben hier das Tempo vor. Da müssen die institutionalisierten Einrichtungen sehen, dass sie den Anschluss nicht verpassen.“

Silly-Bassist Reznicek: Kein „Fachkräftemangel“

Jäcki Reznicek, Bassist der Rockband Silly, studierte in den 70er Jahren in Dresden. Manche Kommilitonen aus der Klassik hätten die Jazz- und Rockmusiker damals schräg angeschaut, aber insgesamt sei alles harmonisch gewesen, sagt der heute 59-Jährige. Seit er 1991 Dozent wurde, müssen künftige Jazzer und Rocker sowohl Kontrabass als auch Bassgitarre spielen. Das soll die Chancen auf dem Markt verbessern. Viele wüssten anfangs noch nicht, wo die Reise hingeht, sagt Reznicek. Begabung hält er für das eigentliche Schlüsselwort. Drohenden „Fachkräftemangel“ sieht er bei seinem Instrument jedenfalls nicht. Gute Bassisten hätten jede Menge zu tun.

Während Reznicek die Lehranstalt 1977 als Diplommusiker verließ, sind die Absolventen von heute Bachelor oder Master of Music. Neben dem jeweiligen Hauptfach steht Ensemblespiel im Zentrum. Die Studenten proben regelmäßig in unterschiedlichsten Formationen, darunter im hochschuleigenen Jazz Orchestra und im Rockensemble. Das Studium umfasst ein Instrumentarium von der E-Gitarre über Posaune und Saxofon bis zur Hammond-Orgel. Auch Jazz- und Rocksänger erhalten akademische Weihen. Als Besonderheit wird Komposition für Jazz, Rock, Pop als eigenständige Ausbildung geboten. An diesem Samstag feiert die Abteilung mit einem Konzert ihren 50. Geburtstag.

Dozent Brönner: Casting Shows ersetzen solide Ausbildung nicht

Startrompeter Till Brönner hat seine Ausbildung zwar in Köln genossen, unterrichtet aber als Professor den Nachwuchs in Dresden. Eine solide Grundausbildung hält er auch in Zeiten von Casting Shows für unabdingbar. „Aus meiner Erfahrung der letzten 25 Jahre kann ich sagen, dass ein mediales Sprungbrett keine fundierte Ausbildung ersetzt und andersrum. Wo beide Faktoren zusammenkommen, steigt die Wahrscheinlichkeit auf nachhaltigen Erfolg.“ Während seiner Studienzeit habe er auf dem Instrument zwar viel gelernt. Eine Vorbereitung auf die Herausforderungen für einen freischaffenden Musiker nach dem Studium sei aber ausgeblieben.

Dresden hatte 2010 als erste deutsche Musikhochschule einen Career Service etabliert, der auf einen harten Berufsalltag einstimmen soll. Die Angebote reichen vom Fotoshooting und Songwriter-Workshop bis zur Steuerberatung. Die meisten Absolventen verdienen später als Freie ihr Geld - mit einem Mix aus Konzerten und Musikunterricht. Sommer freut sich über jeden, der das Studium bis zum letzten Ton ausnutzt: „Es ist bis heute ein kleiner Kreis von Studenten, die den Verlockungen des schnellen Erfolgs auf dem Markt widerstehen und die Zeit ihres Studiums als Zeit des Forschens und Erprobens neuer Spielformen ansehen“, sagt der Schlagzeuger. (dpa)