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Die Tage nach Köln

Der junge Marokkaner Khalil studiert in Zittau. Seit den Vorfällen am Silvesterabend ist das nicht einfacher geworden.

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© Rafael Sampedro

Von Jan Lange

Auf den ersten Blick wirkt Khalil ganz entspannt. Doch der junge Marokkaner ist aufgewühlt, macht sich viele Gedanken. Auch ein bisschen Angst sei da, meint der 21-Jährige. Erst recht nach den Vorfällen der Kölner Silvesternacht. Unter den Tätern, die in der Rheinmetropole Hunderte Frauen attackiert haben, sind auch Marokkaner. Landsleute also. Das sei aber die einzige Gemeinsamkeit, meint der junge Student. Für die Attacken hat er nur Abscheu übrig. Sie haben seiner Meinung nach nichts mit der marokkanischen Kultur zu tun, wie diverse Medien spekulieren. „So etwas gibt es nicht in Marokko“, sagt Khalil, der seinen Familiennamen lieber nicht nennen will – auch, um sich selbst zu schützen. Dass dies nötig ist, zeigen die Angriffe Rechtsradikaler auf ausländische Personen und Einrichtungen in den vergangenen Tagen.

Khalil ist zum Glück noch nicht angegriffen worden. Einmal habe ihm jemand aus dem Auto Schimpfworte zugerufen und „Ausländer raus“ geschrien. Das war vor Köln. In den Tagen danach hat er Derartiges noch nicht erlebt. Auch deshalb, weil im Moment Prüfungszeit ist und der junge Marokkaner zu Hause oder in der Hochschulbibliothek über den Büchern hängt. In der Stadt ist er deshalb seltener unterwegs als sonst.

Mit seinen Mitbewohnern – der 21-Jährige lebt in einer multikulturellen Wohngemeinschaft unweit des Hochschulgeländes – hat er viel über die jüngsten Ereignisse diskutiert. Seine Freunde und Kommilitonen kennen ihn und wissen, dass es große Unterschiede zwischen Ausländern gibt. Die Menschen auf der Straße sehen diese oft nicht. Da werde nicht immer zwischen Flüchtling und Student unterschieden. Genau davor hat Khalil Angst, dass diese Gleichsetzung größere Kreise zieht.

Keine staatliche Unterstützung

Dabei verbindet den jungen Marokkaner mehr mit seinen deutschen Mitstudenten als mit den Geflüchteten. Er bezahle beispielsweise sein Studium komplett aus der eigenen Tasche, staatliche Unterstützung bekommt der 21-Jährige nicht. Auf der einen Seite geben ihm seine Eltern Geld, auf der anderen verdient er sich mit Ferienjobs selber was dazu. Die Eltern rufen fast jeden Tag aus Marokko an. Auch sie haben von den Ereignissen in Köln gehört und machen sich Sorgen um ihren Sohn. Noch kann Khalil sie beruhigen. Er hofft, dass er das auch weiterhin tun kann.

Wenn er mit dem Zug gefahren ist, einkaufen oder andersweitig in der Stadt unterwegs war, haben ihn die Leute schon immer angeguckt. Manche ängstlich, so als könnte der junge Marokkaner in diesem Moment ein Attentat verüben, andere schauen verächtlich. Am Anfang, Khalil lebt seit über einem Jahr in Zittau, sei das für ihn sehr schwer gewesen, erzählt der Student. Was ist los mit mir? Was ist schlimm an mir? Das waren Fragen, die ihm damals durch den Kopf schossen. Mittlerweile stören ihn die Blicke nicht mehr so sehr, er hat sich daran gewöhnt.

Er selbst ist in der rund 600 000 Einwohner zählenden Stadt Meknes im Norden Marokkos in einem modernen Elternhaus aufgewachsen. Sein Vater, ein Tierarzt, hatte in Frankreich studiert, seine Mutter ihrerseits in London gearbeitet. Auch seine Geschwister sind in aller Welt verstreut, sein Bruder arbeitet als Kardiologe in Kanada, seine Schwester macht derzeit ihren Doktor in Italien. Ursprünglich wollte auch Khalil nach Frankreich gehen. Doch dann empfahl ihm ein Freund, der in Deutschland war, hierher zu kommen. Es sei auf jeden Fall besser, als in der Heimat zu studieren, findet der junge Marokkaner.

Gute Studienbedingungen in Zittau

Obwohl viele junge Menschen aus dem nordafrikanischen Land in Zittau ein Studium absolvieren, landet Khalil mehr zufällig im südöstlichsten Zipfel Sachsens. Von den 20 Studienkollegs, die es an deutschen Hochschulen gibt, habe er drei Zusagen erhalten – eine aus München, eine aus Halle und eben jene aus Zittau. Als er wegen des Prüfungstests in der Stadt war, sei er einfach geblieben. In den ersten Wochen kam er, wie die meisten ausländischen Studenten, in einem Wohnheim unter. Dort sei es ziemlich langweilig gewesen, meint Khalil. Er wollte so schnell wie möglich dort raus. Im Februar 2015 zog er dann in das multikulturelle WG-Haus. Da will er so schnell nicht mehr weg. Ebenso wie aus Zittau.

Auch nach dem Abschluss des Studienkolleg blieb der junge Marokkaner der hiesigen Hochschule treu. Beworben hatte er sich auch in anderen Städten. So beispielsweise in Stuttgart. Dort besuchte er an der Uni testweise eine Vorlesung. In dem Seminarraum seien, so erzählt er, sehr viele Studenten gewesen, die alle während des Vortrags des Professors geredet hatten und er dem Unterrichtsgeschehen nur schlecht folgen konnte. Ein abschreckendes Erlebnis. In Zittau sind die Studienbedingungen in seinen Augen viel besser, vor allem die kleinen Studiengruppen sieht er als großen Vorteil. Sie sind ein Hauptgrund für ihn gewesen, in Zittau zu bleiben und hier seit Oktober Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren. „Der Diplomabschluss spielte für mich ebenfalls eine große Rolle, da ich mit diesem, zumindest in Marokko, sichere Arbeitsaussichten habe“, erklärt Khalil. Denn in seiner Heimat kennt man an Hochschulen nur das Diplom.

Ob er nach dem Studium nach Marokko zurückkehrt oder vielleicht doch in Deutschland bleibe, hat Khalil noch nicht entschieden. Eines steht für ihn jedoch fest. Sollte sich die Stimmung in der Stadt negativ verändern, wird er Zittau ganz schnell verlassen.