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Die „rote Margitta“ darf Nazis Nazis nennen

Die Leipziger Linken-Stadträtin Margitta Hollick stand wegen Beleidigung vor Gericht. Gestern ging die Justizposse zu Ende.

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Von Sven Heitkamp, SZ-Korrespondent in Leipzig

Darf eine Stadträtin einen NPD-Ratsherren „Nazi“ nennen? Oder kostet die Bezeichnung stolze 1.600 Euro Geldstrafe wegen Beleidigung? Eine kuriose Anklage fand gestern am Leipziger Amtsgericht ein tragikomisches Ende. Die Staatsanwaltschaft plädierte überraschend selbst auf Freispruch, und auch Richterin Elke Kniehase sprach Linke-Stadträtin Margitta Hollick endlich frei.

Der Vorfall spielte sich bereits vor zwei Jahren, am 20. Juni 2012, im Leipziger Rathaus ab. Im Ratssaal kochte die Stimmung hoch. Ein zweiter NPD-Stadtrat hetzte Menschenfeindliches gegen Asylbewerber, bis ihm das Wort entzogen wurde. Vor der Tür sprach sein damaliger Parteifreund Rudi Gerhardt mit einem Zuhörer, als Margitta Hollick aufgebracht an ihnen vorbeikam und zu dem Bürger sagte: „Wissen Sie, dass Sie mit einem Nazi reden?“ NPD-Mann Rudi Gerhardt, 62, fühlte sich beleidigt und erstattete Anzeige, Hollick bekam vier Tage vor Weihnachten den Strafbefehl. Sie akzeptierte ihn aber nicht, sondern zog dagegen vor Gericht.

Im überfüllten Gerichtssaal hätte die Sache gestern schnell zu Ende gehen können. Hollicks Anwalt Stefan Soult erklärte, der Begriff „Nazi“ sei für Nationalsozialisten gängiger Sprachgebrauch: von Kurt Tucholsky über den Duden bis zur „Heute-Show“ im ZDF. Und auch im Leipziger Stadtrat. Zudem liegt die Frage, ob die NPD verfassungsfeindlich ist, beim Bundesverfassungsgericht. Staatsanwalt und Richterin widersprachen ihm nicht – um doch fast zwei Stunden darüber zu streiten.

Ex-NPD-Mann Rudi Gerhardt als Zeuge der Anklage trieb die Debatte auf die Spitze: „Ich fühle mich stigmatisiert“, sagte er, es gehe um seine Ehre. Er sei am 20. Juli – zum Jahrestag des Hitler-Attentats – demonstrativ aus der NPD ausgetreten.

Margitta Hollick weiß das. Ihr Vater war kommunistischer Widerstandskämpfer in der Gruppe um Georg Schumann, kam in Nazi-Haft beinah ums Leben. Die 65-Jährige, die den Beinamen „die rote Margitta“ trägt, engagiert sich bis heute gegen Neonazis. Sie sagt, mit ihrer inkriminierten Bemerkung sei sie nur ihrer Informationspflicht nachgekommen. „Damit leiste ich Zivilcourage und schütze den Staat.“ Richterin Kniehase stellte am Ende klar, die Menschenwürde gelte auch für NPD-Mitglieder, auch sie seien „beleidigungsfähig“. In der Situation der „emotionalen Aufgewalltheit“ am Rande der aufgebrachten Ratssitzung sei der Begriff Nazi aber eine politische Stellungnahme und stehe über dem Schutz der persönlichen Ehre.