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Die Rebellion der Frauen

Die Katholikin Gisela Schwetzler hat den Tisch nach evangelischem Brauch gedeckt. Auch sonst werden in Leipzig gerade einige Grenzen überschritten.

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Karin Großmann

Es könnte auch schiefgehen. Dann müsste sie all die Spargelsüppchen allein auslöffeln. Ein Jahr Vorbereitung wär für die Katz. Gisela Schwetzler hat einen ungewöhnlichen Abend für den Leipziger Katholikentag geplant und nimmt ausgerechnet den Katholikenfeind Luther zum Vorbild. Wie bei seiner berühmten Tischgesellschaft soll gemeinsam gegessen und politisiert werden. In Luthers Stube wurde manches Thema besprochen, das er in seinen Predigten nicht verhandelte. Der Kreis war überschaubar, anders als bei diesem Abend im Bildermuseum.

Antoinette Steinhäuser, Caritasverband Dresden
Antoinette Steinhäuser, Caritasverband Dresden © kairospress

Gisela Schwetzler rechnet mit 200 Gästen – doch es ist nicht vorauszusehen, ob überhaupt wer kommt zum „Frauenmahl“ an den runden Tischen. Die Veranstalter wetteifern um Besucher. Da geht es um Klimakatastrophe und den Krieg in der Ukraine, um Yoga für Christen und Selbstfindung beim Schwertkampf, um den Reichtum der Kirche und Brot für die Welt, um Mörderpreise und Hungerlöhne. „Keine Militärmusik in Leipziger Kirchen!“, fordert eine Gruppe auf dem Fußgängerweg. „Der Mensch wächst am Widerstand“, verkündet ein Plakat. Das ist auf jeden Fall richtig. Das Plakat wirbt für ein Fitnessstudio. Gisela Schwetzler wirkt im eng anliegenden, knielangen Streifenkleid, mit schwarzen Strümpfen und hohen Schuhen durchaus, als sei sie dort Stammgast.

Ein Meer von grünen Halstüchern wallt auf dem Weg zum Gottesdienst an dem Plakat vorbei. Zwischen Apotheke und Schuhladen fordert ein Spiel dazu auf, kurz über „die Faszination des Menschseins“ nachzudenken. Fragen sollen mit Ja oder Nein beantwortet werden: Habe ich den Mut, Fehler einzugestehen? Fiebere ich mit anderen Menschen mit? Ist viel Auswahl für mich belastend? Die Ja-Stapel wachsen, so ist es recht. Denn die Sehnsucht nach mehr ist fatal, wenn die Sucht den Lebensmitteln gilt und nicht dem Lebenssinn. So heißt es in der Predigt beim Fronleichnamsgottesdienst. Er findet nicht am Rand auf der grünen Wiese statt, sondern mittendrin auf dem Augustusplatz, mitten unter den zumeist gottlosen Leipzigern.

Andere Gegenden haben Feiertag. Hier braust der Alltagsverkehr um den Freiluftaltar. Sorgfältig achten Ordner auf die Fluchtwege für die Bischöfe. Gisela Schwetzler steht mit ihrem Ehemann in der Menge und singt kräftig mit: „Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.“ Sie findet gemeinsames Singen stärkend. Der Glaube, sagt sie, hat für sie vor allem mit Spiritualität zu tun. „Gottvertrauen, das ist mein Wort. Gott ist mein wichtigster Gesprächspartner. Ich bitte ihn nicht um die Lösung meiner Probleme. Ich bitte darum, dass er mir die Kraft gibt, Probleme zu lösen.“

Auf der Altarinsel wird von zwei Broten und fünf Fischen erzählt, die Tausende sättigten. Es ist ein biblisches Gleichnis, man kann sich nicht drauf verlassen. Gisela Schwetzler hat für das „Frauenmahl“ schon vor Wochen die Menüfolge besprochen. In ihrem eleganten Kleid schwingt sie sich aufs „Diamant“-Rad und fährt nach dem Gottesdienst zum Bildermuseum. Wind pfeift durch das kurze, dunkle Haar. Im Foyer ein schneller Blick über die Tische. Fein weiß gedeckt. Kerzen fehlen und Pinnwände für den Thesenanschlag.

Die 54-Jährige greift zum Handy. Sie telefoniert, spricht mit der Kellnerin, umarmt eine Mitstreiterin, setzt sich hin, notiert was, springt auf, und am liebsten alles zugleich. Wenn sie sagt: „Ich bin keine Kämpfernatur“, ist das schwer zu glauben. Vielleicht so: Sie kämpft nicht verbissen, sondern mit Neugier und Heiterkeit. Wäre Netzwerken ein Beruf, wäre sie darin Meisterin. „Es macht mir viel Spaß, mit anderen ins Gespräch zu kommen, Ideen und Meinungen auszutauschen.“ Als Freiberuflerin berät sie Firmen beim Start. Als sie vor über zwanzig Jahren aus der Oberpfalz nach Leipzig zog, arbeitete sie zunächst bei einer Bank. Ihr Mann wurde als Professor an die Handelshochschule berufen. Denkbar, dass in einer der Runden beim 100. Katholikentag auch darüber geredet wird, warum seit Kurt Biedenkopf auffallend viele wichtige Positionen in Sachsen von katholischen Gläubigen besetzt sind.

Diese Politik kann der Leipziger Propstei-Gemeinde mit ihrer neuen Kirche nur recht sein, und Gisela Schwetzler sagt: „Hier in Leipzig erlebe ich den Glauben viel intensiver als in Bayern. Vielleicht, weil er mehr verteidigt werden muss.“ An diesem Abend werden in der Kirche mehrere Pfarrer am Altar stehen: ein katholischer, ein evangelischer, ein russisch-orthodoxer, Altkatholik, Baptist und Methodist. „Auch wir Christen haben Hunger“, sagt der Hausherr, „Hunger nach Einheit.“

Maria Faber, „Frauenmahls“-Mitstreiterin aus Magdeburg, legt inzwischen rote Bänder auf die Tische. „Frauen. Macht. Zukunft“, steht darauf. Auch das klingt für manche Katholiken nach Rebellion, und die ist an diesem Abend gewollt. Maria Faber engagiert sich für die Katholische Frauengemeinschaft und sagt mit einigem Stolz, dass dieser Verbund mehr Mitglieder hat als jede Partei im Land: eine halbe Million. „Es ist die einzige Möglichkeit, um in der katholischen Kirche die politischen Anliegen von Frauen zu Gehör zu bringen.“

Sie spricht von einer gläsernen Wand, an der Frauen abprallen, wenn sie mehr Einfluss in Leitungsfunktionen wollen. Maria Faber erzählt aber auch, wie der wachsende Konservatismus in der Gesellschaft die Kirchgemeinden beeinflusst. „Es finden sich schon wieder viele Frauen mit ihrer Rolle bei Kind und Küche ab.“

Gisela Schwetzler sieht sich um: Für den Abend ist alles bereit. Auch ihre Kinder sind unterwegs. Die Tochter studiert in Dresden, der Sohn kommt aus Frankfurt am Main. Sie nimmt ihr Rad und fährt zur Arena, weil sie den Bundespräsidenten noch nie live erlebt hat. Die Vorband gefällt ihr schon mal sehr: Jüdische, christliche und muslimische Künstler musizieren zusammen. Joachim Gauck diskutiert mit Wissenschaftlern und wünscht „ein Training in seriöser Debatte“; wohl nicht speziell für sich, sondern generell. Seriös klingt es allerdings nicht, wenn er vom Patriotismus zugezogener Alewiten schwärmt und meint, dass er sich ein solches Ja zur Bundesrepublik „bei einigen dieser Dödel hier“ durchaus wünschen würde. Launig berichtet er, dass er eigenes Misstrauen gegenüber Fremdem bezwang: „Heute gehört Pizza zu meiner Lebensqualität, und ich komme aus Mecklenburg!“

Den Rückweg nimmt Gisela Schwetzler über den Platz, wo zwischen den Zelten von Kirchenmedien zwei weiße Container stehen. Der eine ist für Toiletten. Der andere für Beichten. Dieser Raum wird von einer durchlöcherten Plexiglaswand getrennt und von zwei Leuten zugleich benutzt. Gisela Schwetzler wirbt ihr Gegenüber für das „Frauenmahl“. Schade, schon was vor. Es sind genug andere unterwegs.

Vor der Caritas-Bühne am Markt wippen grüne Tücher im Takt. Hinter der Bühne kümmert sich die Dresdnerin Antoinette Steinhäuser um die Künstler. „Es ist auch mal schön, zu erleben, dass wir viele sind“, sagt sie. „Und wir können zeigen, dass Katholiken ganz normale Menschen sind.“ Jeden Mittag spricht sie das Gebet auf der Bühne. Am Abend wird sie einen Riesenchor dort platzieren. Gospel aus Crimmitschau. So weltoffen. Das überzeugt sogar einen Kabarettisten wie Martin Buchholz, der sein Programm „Ich suche das Weite“ zeigt und das wörtlich meint.

Gut besucht sind die Stände vom Bistum Dresden-Meißen, wo für eine Spende Lausitzer Kleckselkuchen zu haben ist. Die Sitzbänke vor der Bühne werden von blauen Pappfiguren geschmückt: der Heilige Bischof Benno, der Selige Alois Andritzki und der Ex-Bürgermeister Herbert Wagner.

So weit kommt Gisela Schwetzler dann doch nicht, denn lange vor Beginn des „Frauenmahls“ wächst eine Schlange vorm Bildermuseum. Die Plätze werden ausgelost, damit nicht beste Freundinnen beisammensitzen und das bereden, was sie immer bereden. An jeden Tisch hat Gisela Schwetzler eine Moderatorin platziert, die das Gespräch gleich in Gang bringt. Im angeregten Stimmengewirr mischen sich Alt und Jung, Ost und West, Glauben und Nichtglauben. Ist Religion heute einfacher als zur Zeit von Teufel und Fegefeuer? Konnten Katholikinnen Karriere machen in der DDR oder nur, wenn sie einer Blockpartei angehörten? Wie setzen Frauen Geschlechtergerechtigkeit in der eigenen Gemeinde durch? Und wie war das damals?

„Ich habe mich sofort wohlgefühlt unter den ostdeutschen Frauen, die immer berufstätig waren und deshalb selbstbestimmt“, sagt Gisela Schwetzler. Sie erzählt von ihrer Patenschaft für eine syrische Flüchtlingsfamilie. „Wir grenzen andere nicht aus, sondern kümmern uns um die Ausgegrenzten.“

Eine junge Frau aus Syrien hält auch eines der Referate, die es zwischen Spargelsuppe, belegten Ciabattabroten und roter Beerengrütze mit Vanillesoße gibt. 15 Euro kostet der Abend. Von 200 Plätzen sind nur sechs leer geblieben. Am Ende formuliert jeder Tisch eine These. „Verantwortung teilen“, heißt das bei Gisela Schwetzler: In der Gesellschaft wie in der Kirche sollten die Belange von Frauen auch von Frauen mitbestimmt werden.

Ein Damenchor zitiert Max Raabe mit dem Lied: „Für Frauen ist das kein Problem.“ Sie sind, sagt Martin Luther, viel edler und kostbarer als eine Perle. Die Katholikin Gisela Schwetzler würde ihm da nicht widersprechen.