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Die Ministerin und die Ex-Junkies

Im Triebischtal will Barbara Klepsch sehen, wie Geld ihres Ministeriums genutzt wird. Sie erlebt eine Überraschung.

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© Claudia Hübschmann

Dominique Bielmeier

Meißen. Am Ende des Rundgangs, bei Kaffee und Kuchen im Gasthof Alma Kasper, bringt es Reiner Henze vom Kommunalen Sozialverband Sachsen (KSV) auf den Punkt: „Es ist eben ein bisschen anders als anderswo.“ Und vor allem: „Auch Herr Heidig ist ein bisschen anders.“

Georg Heidig ist der (querdenkende) Kopf der GSE.
Georg Heidig ist der (querdenkende) Kopf der GSE. © Claudia Hübschmann
Auch im ehemaligen Kinderheim in Obermunzig leben heute Suchtkranke.
Auch im ehemaligen Kinderheim in Obermunzig leben heute Suchtkranke. © Claudia Hübschmann

Der 56-Jährige ist nämlich ein echtes Unikat und der Grund für den Besuch von KSV, Medienvertretern, kommunalen Politikern und Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) am Donnerstagnachmittag in Obermunzig. Dort, am Ende einer langen, steilen Bergstraße, ist der Sitz von Heidigs Lebensaufgabe: Hier betreibt seine Gesellschaft für soziale Einrichtungen mbH (GSE) seit 2001 eine sozialtherapeutische Wohnstätte, Außenwohngruppen und ambulant Betreutes Wohnen für Suchtkranke.

„Da ihr wieder Kohle rüber g’schickt habt, dachten mer, zeigen wir auch gleich, was mer mit der Kohle g’macht ham“, sagt Heidig in seiner unnachahmlichen Art, nachdem auch die Ministerin eingetroffen ist, und sorgt so für den ersten Lacher des Tages. Er gibt sich keine Mühe, seine fränkische Herkunft zu verbergen („Man muss Gott für alles danken, sogar für einen Oberfranken!“) und ist mit Barbara Klepsch sofort per Du. Als diese ihn beim Rundgang über das Gelände in Obermunzig fragt, wie er überhaupt zu dem Ganzen gekommen sei, da erzählt er freimütig und im Schnelldurchlauf seine eigene Suchtgeschichte: erste Alkoholvergiftung mit zwei Jahren, viereinhalb Jahre Junkie-Dasein am Berliner Bahnhof Zoo. Seit einer Entgiftung plus Therapie ist er trocken. „Gott sei Dank, dass ich das auch durchmachen durfte!“

Später machte er eine Fortbildung zum Heilerziehungspfleger und eröffnete seine eigene Anlage im Gutshaus in Obermunzig, dem alten Kinderheim. „Ich wollte mein eigenes Konzept verwirklichen“, sagt er. „Die meisten wollen ja nur abzocken und nichts für die Bewohner tun.“

Heute leben 140 Menschen in Heidigs Anlage, darunter 26 Frauen. Die Älteste ist 83, der Jüngste 19. Viele seien von Anfang an dabei. Wie lange noch? „Für immer“, sagt Heidig. „Sie werden hier heimisch, sie gehören dann zur Gemeinde.“

Für die Gemeinde erledigen sie dann auch verschiedene Aufgaben, Grünschnitt oder Winterdienst. Auch in den drei Wohnstätten – neben Obermunzig gibt es auch Anlagen in Rothschönberg und Burkhardswalde – wird besonders großer Wert auf Beschäftigung gelegt. Die Bewohner töpfern, kümmern sich um Rinder und Schweine, machen eigenes Eis, Käse und Honig, und sind vor allem auch in den Ausbau der neuen Wohneinheiten mit einbezogen. „Sie können sich hocharbeiten in Betreutes Wohnen mit Küche, in Wohngemeinschaften“, erklärt Heidig. „Die können sie sich dann selbst aussuchen und wir bauen das mit denen um.“

Vielleicht der Grund dafür, warum die Ordnung und Sauberkeit in den Wohnungen, welche die Ministerin beim Rundgang besucht, so auffällig ist. Besonders angetan ist sie von den schönen, alten Möbeln, die sich überall finden. Heidig sucht sie selbst aus, zu jedem Stück kann er eine Geschichte erzählen: hier die Sammlung von Modezeichnungen von einem Markt in Frankreich, dort die Puppe einer berühmten Eiskunstläuferin aus Holland.

Heidig zeigt seinen Besuchern auch die anderen Anlagen in Rothschönberg und Burkhardswalde, schickt die Ministerin quer durch den Schweinestall, dann unzählige Stufen hinauf und hinunter, und ist sichtlich stolz auf alles, was er verwirklicht hat. Wie viel „Kohle“ gab es denn nun vom Ministerium? „Zu wenig“, sagt er und schaut die Politiker an. Er hat noch viel vor.

Rund 1,1 Millionen Euro für 18 Plätze für Crystalabhängige in Rothschönberg, löst Abteilungsleiter Alf-Rüdiger König später auf. Der Bescheid ging im Dezember raus, kurz danach überraschte Heidig mit einem Antrag für 44 weitere Plätze.

Mit seiner etwas ruppigen Art kommt Heidig nicht bei jedem gut an. Manch einer hält auch nichts von seinem Integrationsprojekt im Gasthof Alma Kasper. Trockene Alkoholiker und Ausschank passt für sie nicht zusammen. Am Ende gibt ihm aber die Rückfallquote seiner Bewohner recht: Die liegt bei gerade mal 1,5 Prozent.

Die Suchtberatungs- und -behandlungsstelle der Diakonie Meißen lädt am Dienstag, 16. Mai, von 10 bis 16 Uhr zum Tag der offenen Tür in die Johannesstraße 9, Meißen.