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Die Lust am Baggern

Maria Blaschke aus Hoyerswerda fühlt sich in einer Männerdomäne wohl: Sie steuert einen 1 400 Tonnen schweren Tagebauriesen.

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© Rainer Könen

Von Rainer Könen

Das Monstrum wird von manikürten Händen in Bewegung gesetzt. Ein Rütteln erschüttert die kleine Kabine. Rotlackierte Fingernägel umgreifen den Joystick. Sanft. Das Rütteln geht nun in ein Schwanken über. So, als sei man auf See. Aber seekrank ist die junge Frau hier oben, in elf Metern Höhe, noch nie geworden. „Alles Gewöhnungssache“, meint sie. Schaut nach vorne, durchs Fenster, wo sich einige Meter von ihrer Kanzel entfernt das riesige Schaufelrad in Bewegung setzt.

Draußen wird es wieder staubig. In ihrer Kanzel bekommt Maria Blaschke davon nichts mit. Die ist voll klimatisiert. Bequem sitzt die in ihr blaues Arbeitszeug gekleidete Frau in dem gepolsterten Stuhl, flankiert von zwei Joysticks, mit denen sie diesen Tagebauriesen zum Leben bringt. Die Hoyerswerdaerin hat einen Job, der nicht gerade alltäglich ist. Sie sitzt am Steuer eines Kohlebaggers und gehört zu den wenigen Frauen, die in den Vattenfall-Tagebauen Nochten und Reichwalde ein solches Ungetüm bedienen können.

Sie fühlt sich wohl mit dieser Arbeit. Das raue Klima im Tagebau, besonders auf großen Maschinen wie den Schaufelradbaggern oder dem Absetzer, hat sie noch nie gestört. Klar, natürlich habe sie sich durchsetzen müssen in dieser Bergmannswelt. Fühlte sie sich anfangs diesen ungestellten Fragen ausgesetzt, ob eine junge Frau auf einem anderen Arbeitsplatz, in einem Büro, nicht besser aufgehoben sei?

Sie muss lachen. Ach, diese Klischees, die sich schnell auflösen, wenn sie der rauen Tagebau-Männerwelt Paroli bietet. Und da muss sie nicht erst zum Schweißgerät greifen. Sie arbeitet lieber mit Männern als mit Frauen. Männer seien besser zu händeln, findet sie. Sie wirft einen Blick auf den Monitor, eine Kamera zeigt den Bereich unter ihrem Bagger. Alles frei. Wieder beginnt das Rütteln.

Ihre Maschine, auf der sie arbeitet, als Kohlebagger zu bezeichnen, wäre vielleicht ein wenig zu schlicht. Kombiniertes Halden-, Schütt- und Rückgewinnungsgerät nennt man dieses rund 30 Meter hohe und knapp 130 Meter lange Gerät, das rund 1 400 Tonnen schwer ist, mit einem Schaufelrad von elf Metern Durchmesser versehen ist, und sich auf einem der Kohlehaldenplätze unweit des Boxberger Kraftwerkes auf Gleisen langsam voranbewegt. Zwanzig Meter pro Minute.

Die in Schwarze Pumpe aufgewachsene Frau begann 2007 bei Vattenfall, arbeitete als Maschinistin und Aufbereitungsmechanikerin. Sie gehört im Nochtener Tagebau zu den Springern. Wenn sie nicht den Kohlebagger steuert, wird sie in der Nochtener Leitstelle eingesetzt. Eine Arbeit in der Region, dort, wo sie aufgewachsen ist, dies hatte sie immer angestrebt. Denn: „Hier lebt meine Familie, habe ich Freunde und Bekannte.“ Ihre Heimat will sie nach Möglichkeit nicht verlassen. Auch, weil sie ihr Hobby ausleben kann, als Mitglied des Pumpschen Carneval Clubs.

Die Arbeit auf dem Kohlebagger gefällt ihr. Für sie sei das, ja, das könne man schon sagen, „ein Traumjob“. Die Kohlehalden draußen und auf dem Monitor schrumpfen zu sehen, den Gedanken nachzuhängen, in die Zukunft zu schauen.

Ein erneuter Blick nach draußen. Aus einer Höhe von elf Metern wirken die benachbarten Kohlehalden nicht so monströs, eher wie Partner, denen frau nun zeigt, wie man sie kleinmacht. Ein routinierter Griff. Die zehn Schaufeln greifen mit Kraft in den braunen Berg, die Schaufeln entladen das, was sie da holen, auf die unter dem Bagger verlaufenden Förderbänder. 20 000 Tonnen Kohle landen so pro Schicht auf den Bändern.

Marias Hand liegt auf dem überschaubaren Armaturenbrett. Ein kurzer Ruck, die Kabine bewegt sich nicht, auch das Schaufelrad ist nun zum Stillstand gekommen. Alle zwei Wochen werde ein Reparaturtag eingelegt, so die 25-jährige Hoyerswerdaerin. An einem Mittwoch. Sie zeigt auf die am Rad befestigten silbernen Platten. „Müssen gelegentlich ersetzt werden.“ Der Verschleiß. Ein prüfender Blick. Muss das Schaufelrad neu ausgerichtet werden? Nach rechts oder links korrigiert werden? Die Geschwindigkeit gedrosselt werden?

Bevor sie ihre Schicht beginnt, gibt es erst eine Besprechung mit dem Vorarbeiter. Die letzten Anweisungen kommen von der Betriebsüberwachung. In der Branche ist Maria Blaschkes Tätigkeit unter der Bezeichnung Großgeräteführer gebräuchlich. Sie ist für alle Funktionen der Maschine verantwortlich, die vom Führerhaus steuerbar sind. Ob Änderung der Fahrtrichtung, Geschwindigkeit oder Ausrichtung des Auslegearms – alles muss abgestimmt werden. Auch wenn „der KSS“, wie sie ihren Arbeitsplatz nennt, im Schneckentempo unterwegs ist: Die Arbeit erfordert Fingerspitzengefühl und Konzentration.

Als sie die Gelegenheit hatte, die Berechtigung zum Führen eines solchen Kohlebaggers zu erwerben, griff sie zu. In der Ausbildung war auch Geologie ein Thema. Welche Sorten Sand und Kies gibt es? Wie ist die Bodenbeschaffenheit in den Tagebaugruben? Aber das sind Dinge, die haben auf dem Haldenplatz nur eine untergeordnete Bedeutung.

Blaschkes Maschine läuft 24 Stunden am Tag. Im Dreischichtsystem, Arbeiten an Wochenenden und Feiertagen gehört dazu. Was die junge Frau auch so reizvoll findet, ist, dass so wenig nötig ist, um so eine Tagebaumaschine in Gang zu setzen.“

Aus dem Sprechfunkgerät kommt die nächste Anweisung. Wieder umfassen rotlackierte Finger den Joystick. Rütteln, schwanken, arbeiten. Weiter geht’s.