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Die Lügenbaronin

Zwei Männer müssen sterben, weil eine junge Frau jahrelang Geschichten von einer nicht erhaltenen Erbschaft erfand.

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© picture alliance / dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Leipzig. Am Mittag des 3. Dezember 2015 fährt Hermann H. in seinem schwarzen Audi A8 auf den Reiterhof Knauthain nahe des Cospudener Sees. Der 1,90 Meter große, stattliche Mann aus Österreich steigt aus, klingelt und tötet sofort den Chef des Gestüts, Rocco J., mit drei Schüssen aus seiner Pistole. Danach wirft er seine Papiere und einen Abschiedsbrief in den Briefkasten der Staatsanwaltschaft und tötet sich am Ufer des Sees selbst.

Lange Zeit bleibt völlig unklar, was das Motiv des Täters gewesen sein könnte. Eine Beziehung zwischen beiden bestand nämlich nicht. Inzwischen ist allerdings klar: Die Tragödie mit zwei Toten basiert allein auf frei erfundenen Lügengeschichten über eine angebliche Erbschaft, die Hermann H.s Freundin Silvia M. jahrelang aufgetischt hatte. Dafür wurde sie gestern am Amtsgericht Leipzig zu zwei Jahren und drei Monaten Haft wegen Betrugs verurteilt – ohne Bewährung.

„Wir machen sie nicht dafür verantwortlich, dass zwei Menschen ihr Leben verloren haben“, sagt Richterin Ute Pisecky in der Urteilsbegründung. „Aber sie haben mit erheblicher krimineller Energie gelogen. Wo war ihr Gewissen?“

Silvia M., eine adrette 37-Jährige mit kurzen rötlichen Haaren und mintgrünem Oberteil, hört der Richterin weinend zu. Jahrelang aber hatte sie ihrem 14 Jahre älteren Freund ihre frei erfundene Geschichte erzählt. Nämlich, dass sie bald einen großen Reiterhof erben werde. Von 35 Millionen Euro faselte sie und dass sie Hermann H. ins Grundbuch habe eintragen lassen.

All das entbehrte jeglicher Grundlage. Die Hochstaplerin sah trotzdem widerspruchslos zu, wie ihr Lebensgefährte in Erwartung des Vermögens über Jahre Schulden bei Freunden machte, am Ende wurden es mehr als 350 000 Euro. Von dem Geld gönnte sich das Paar zeitweise ein Leben ohne Arbeit, mit Pferden und täglichen Restaurantbesuchen. Für diese Betrügereien wurde sie nun verurteilt.

Silvia M., 1979 geboren in Eilenburg, wächst in Leipzig auf, als Mädchen lernt sie auf dem Gestüt in Knauthain reiten. Das spätere Mordopfer ist damals ihr Reitlehrer. Und sie pflegt Pferde, ihre große Leidenschaft. 2004 zieht die gelernte Restaurantfachfrau zum Arbeiten nach Österreich. Dort lernt sie 2011 den Pferdehändler Hermann H. kennen, und die Geschichte nimmt ihren Lauf.

„Ich wollte wichtig sein, im Mittelpunkt stehen“, erklärt sie auf die Frage des Gerichts, wie das eigentlich alles begonnen habe. Sie zeigte ihrem Freund Fotos von dem Pferdehof im Internet und erfand immer neue Legenden und Erklärungen. Sie führte Telefonate und schrieb SMS-Nachrichten mit Menschen, die es gar nicht gab. Auch Hermann H. machte Pläne, er träumte von einer großen Landwirtschaft. Der Traum wurde sein Leben.

Weil das Geld aber ausblieb und Hermann H. immer nervöser wurde, verwickelte sich die junge Frau so tief in ihr Lügengeflecht, dass sie selbst nicht mehr herausfand. Sogar vor Gericht verstrickte sie sich erneut in Widersprüche. Sie habe riesige Angst davor gehabt, dass ihr Freund sie verlasse oder dass er sich und ihr etwas antue, wenn sie die Wahrheit sagt. „Er war ein lieber Mann, aber auch sehr aggressiv und launisch.“

Am Ende erzählte sie ihm, dass sie das Erbe nicht bekommen werde, weil es sich Anwälte in Westdeutschland unter den Nagel gerissen hätten. Das Paar reist sogar nach Leipzig und guckt sich die Pferdepension an. Am Tag danach fährt Hermann H. noch einmal hin und begeht den Mord an Rocco J., den er für den Schuldigen hält. Das Opfer stirbt mit 52 Jahren.

Es sei ein Albtraum, sagt Silvia M., dass sie mit ihren Lügen zwei Familien und ihr eigenes Leben zerstört habe. „Es tut mir so leid“, schluchzt sie, „ich wollte das nicht.“ Ihre Anwältin plädierte auf eine Bewährungsstrafe, die Staatsanwältin auf zweieinhalb Jahre Haft. Ob eine der beiden Seiten Berufung oder Revision einlegen wird, blieb noch offen.