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Die Lebensretter-Datei

Mehr als 130 000 Sachsen sind bereits als Stammzellspender bei der DKMS registriert. Doch es gibt noch Nachholbedarf.

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© Norbert Millauer

Von Henry Berndt

Noch nie hat der SV Pesterwitz so viel Werbung gemacht. Es sollen viele kommen, möglichst Hunderte. Die 1. Mannschaft steht momentan auf Platz 7 in der Kreisoberliga. Doch am 14. November geht es nicht um Punkte und Tore. Es geht um das Leben von Kenny und Ricky. Die beiden eineiigen Zwillinge sind sieben Jahre alt und wollten so gern Fußballprofis werden. Doch sie leiden an der lebensbedrohlichen Stoffwechselkrankheit ALD, die das Nervensystem angreift und zerstört. Bei Ricky ist die Krankheit schon fortgeschritten, nun ist auch Kenny bedroht. Im Anfangsstadium kann eine Transplantation menschlicher Stammzellen das Fortschreiten der Krankheit aufhalten oder zumindest verzögern. Dafür muss jedoch ein gesunder genetischer Zwilling gefunden werden, das heißt ein Spender mit weitgehend identischen Gewebemerkmalen.

Eigentlich wollten die beiden Zwillinge Fußballprofis werden – doch das lässt ihre Krankheit nicht zu.
Eigentlich wollten die beiden Zwillinge Fußballprofis werden – doch das lässt ihre Krankheit nicht zu. © DKMS

Gemeinsam rufen der SV Pesterwitz und die Deutsche Knochenmarkspenderdatei DKMS daher zu einer öffentlichen Registrierungsaktion am 14. November auf dem Sportplatz in Freital auf. Jeder gesunde Erwachsene zwischen 17 und 55 Jahren kann kommen und womöglich Lebensretter werden. Wenn nicht für Kenny und Ricky, dann vielleicht für irgendeinen anderen Patienten auf der Welt.

„Über öffentliche Aktionen wie diese können wir manchmal auf einen Schlag Tausende neue Spender gewinnen“, sagt DKMS-Sprecherin Annika Schirmacher. „Das Schicksal einzelner Patienten löst Emotionen bei den Menschen aus, was formale Aufrufe einfach nicht schaffen.“

Wer einmal registriert ist, bleibt dauerhaft in der Datenbank. Nur etwa fünf von 100 Registrierten werden innerhalb von zehn Jahren tatsächlich für eine Stammzellspende ausgewählt. Dabei sei durch regional unterschiedliche Gewebemerkmale die Chance durchaus etwas größer, den perfekten Spender bei den Typisierungen vor Ort zu finden, heißt es.

Insgesamt sind in Sachsen derzeit rund 133 000 potenzielle Spender in der DKMS-Datei registriert, das entspricht 3,3 Prozent der Bevölkerung. Im Osten liegt der Freistaat damit an der Spitze. Im Vergleich zum Westen gibt es aber immer noch großen Nachholbedarf, wie Annika Schirmacher betont. In Baden-Württemberg und Bayern etwa sei der Anteil etwa doppelt so hoch.

Dennoch: Die Zahl der Registrierten steigt in Sachsen seit fünf Jahren immer schneller – parallel zur wachsenden Bekanntheit der DKMS hierzulande. Waren es 2012 noch knapp 10 000 Neuregistrierungen im Freistaat, sind es dieses Jahr schon jetzt mehr als doppelt so viele, wie die Statistiken zeigen.

Die DKMS ist nicht allein beim Sammeln von Stammzelldaten in Deutschland. Sie ist allerdings die mit Abstand größte von 27 Spenderdateien bundesweit. Sinnvollerweise arbeiten all diese Organisationen nicht nebeneinander her. Im 1992 gegründeten Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland (ZKRD) mit Sitz in Tübingen werden alle Daten zusammengefasst. Insgesamt sind das derzeit mehr als sechs Millionen potenzielle Spender. Damit ist das ZKRD das größte derartige Register in Europa. Für den einzelnen Hilfswilligen bedeutet diese Vernetzung, dass er sich nur einmal im Leben und auch nur in einer der 27 Dateien registrieren lassen muss.

Die einzige eigenständige Sammelstelle in Sachsen ist der Verein für Knochenmark- und Stammzellspenden (VKS) mit Sitz in Dresden. Er wurde 1997 von Transfusionsmedizinern des Universitätsklinikums Leipzig und Aktivisten des DRK-Blutspendedienstes ins Leben gerufen. Bis vor Kurzem stand das Kürzel VKS noch für Verein für Knochenmarkspenden Sachsen. Dann erkannten die Macher, dass bei diesem Thema Regionalität kein Vorteil ist, und sie suchten sich mit dem Blutspendedienst Haema einen bundesweit aktiven Partner.

Nicht zuletzt deswegen wächst auch die Datenbank der VKS rasant. Dieses Jahr seien bereits 12 000 neue potenzielle Spender gefunden worden, sagt Sprecherin Mareen Friedrich. Vor zwei Jahren seien zum Vergleich nur 3 200 dazugekommen. Insgesamt umfasst die VKS-Datei derzeit mehr als 52 000 Einträge.

Besonders die im vergangenen Jahr gestartete Aktion „Lynn will leben!“ war ein großer Erfolg für die sächsische Organisation. Für die neunjährige an Blutkrebs erkrankte Lynn aus Großrückerswalde wurde ein passender Spender gesucht – und tatsächlich auch gefunden.

Nun hoffen die Eltern von Ricky und Kenny aus Freital, dass auch das Schicksal ihrer Zwillinge durch massenhafte Hilfe eine positive Wendung nehmen kann.