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Die Landmarke, die dahindämmert

Taubenheim ist eine der ältesten Residenzen im Meißner Triebischtal, aber derzeit ohne Perspektive. Fleißig gewerkelt wird nur am historischen Torhaus.

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© Thomas Schade

Von Thomas Schade

Schwer zu sagen, was auf den ersten Blick mehr beeindruckt hinter dem kleinen Torhaus. Der große Hof, der mal ein Park war? Oder der stattliche Herrensitz – Schloss Taubenheim, gelegen auf einem Felssporn über dem kleinen Triebischtal. Vermutlich im 12. Jahrhundert als Rittersitz entstanden, zählt er zu den ältesten Residenzen zwischen Meißen und Wilsdruff.

Die Kassettendecke und der Ofen aus Teichert-Kacheln gehören zum Interieur des Schlosses.
Die Kassettendecke und der Ofen aus Teichert-Kacheln gehören zum Interieur des Schlosses. © Thomas Schade
Georg Heidig, sozial engagiert, aber als Schlossherr umstritten.
Georg Heidig, sozial engagiert, aber als Schlossherr umstritten. © Claudia Hübschmann
Das Torhaus am Schloss Taubenheim: Seit zehn Jahren wird es saniert.
Das Torhaus am Schloss Taubenheim: Seit zehn Jahren wird es saniert. © Thomas Schade
Andreas Hahn: Für ihn und seine Frau ist das Torhaus zur Lebensaufgabe geworden.
Andreas Hahn: Für ihn und seine Frau ist das Torhaus zur Lebensaufgabe geworden. © Thomas Schade

Die Ostfassade des Schlosses versteckt sich im Sommer hinter Buchen und Platanen. Von Weitem fallen das neugotische Portal und die Erker auf, die der Ostfassade das Gepräge geben. Eine kleine Patronatskirche, Terrassen eines Schlossparks und ein Gartenhaus gehören zum Areal. Zusammen mit der evangelischen Dorfkirche und dem alten Schulbau bildet das Schloss den kulturhistorischen Kern Taubenheims.

Das Waldhufendorf kann auf eine Urkunde aus dem Jahre 1186 verweisen, die bereits vom prallen Leben jener Zeit berichtet. Beschrieben wird der Rechtsstreit zwischen dem damaligen Lehnsherren „Adelbertus de Duvenheim“ und einem Bauern. Beide unterwerfen sich in der Urkunde einer markgräflichen Streitschlichtung. Genealogen zählen die „Duvenheimer“ zum Uradel der meißnischen Lande.

Der kleine drahtige Mann, der an diesem nasskalten Wintertag am Torhaus arbeitet und mit dem Boschhammer ein Türgewände ausstemmt, zählt nicht zum meißnischen Uradel. Er heißt Andreas Hahn und hat einen der vornehmsten Berufe. Er baut Orgeln in Dresden. Mit seiner Lebensgefährtin Hansi-Christiane Merkel lebt er seit fast 20 Jahren hier.

In der ersten Hälfte dieser Jahre seien sie um das Torhaus „geschlichen“ und hätten sich immer wieder gefragt: „Lassen wir es verfallen und leben irgendwann mit einer Ruine vor dem Fenster, oder kaufen wir es und bauen es aus“. Seine Frau war eher dagegen. Aber Andreas Hahn, kunsthistorisch bewandert und handwerklich versiert, setzte sich durch. Beide kauften das Torhaus vor zehn Jahren. Seither ist es Baustelle und frisst große Teile ihrer Freizeit, während das Schloss unbewohnt und ungenutzt vor sich hindämmert.

Zwei Wohnungen sollen im Torhaus entstehen. Konturen sind inzwischen deutlich zu erkennen. Das Gebäude hat eine neue Fassade. Über der Durchfahrt thront ein neuer Tor-Erker, aufgemauert im Einvernehmen mit dem Denkmalschutz. Hinter ihm verbirgt sich der schönste Raum des Hauses – ein kleiner Saal mit offenem Dachstuhl.

Für das Dach flößte das Paar zweimal Holzstämme aus der Sächsischen Schweiz die Elbe flussabwärts und karrte sie nach Taubenheim. Andreas Hahn deutet hinauf zur Decke. „Da sind sie.“ Aus den geflößten Fuhren entstanden die Balken für den neuen Dachstuhl. In einem anderen Zimmer reihen sich Fenster an Fenster. Zwei Wochen später sind sie eingebaut. Andreas Hahn hat sie nach historischem Vorbild selbst geschreinert.

Für ihn ist das auch eine Sache der Finanzen. „Solche Sonderanfertigungen sind nur für viel Geld zu haben“, sagt er. Und Geld ist existenziell für den Fortgang der Sanierungsarbeiten. Keine Bank habe den Ausbau des Torhauses finanzieren wollen, sagt Hahn. „Die haben uns das wohl nicht zugetraut.“ Fördergelder gab es nur für die Arbeiten, mit denen der Verfall des Gebäudes verhindert wurde.

So bleibt dem Paar nur die Sanierung mit privaten Darlehen und in kleinen Schritten. Beim Dachdecken und bei größeren Vorhaben helfen Freunde, Bekannte und die Familie. „Da sind schon mal 17 Leutchen zugange“, sagt Hahn.

Zudem organisiert das Paar, das in Dresden gut vernetzt ist, kleine Benefizkonzerte. Dafür räumten sie den Pferdestall frei. So griff die Harfenistin Christina Buchsbaum vergangenes Jahr in die Saiten ihres Instrumentes – zugunsten der Fenster in den Dachgauben des Torhauses. In diesem Sommer musizierte das Dresdner Salonquartett zugunsten einer „Saaltür“ für den ehemaligen Pferdestall. Auf die Frage, wann denn Einzug gefeiert wird, hebt er unwissend die Schultern. „Wir ziehen sowieso nicht ein, wir brauchen die Mieteinnahmen für die Tilgung der Schulden.“

Bis in die 1940er-Jahre hinein sollen auch im Schloss Taubenheim hochkarätig besetzte Konzerte stattgefunden haben. Damals gehörte das Anwesen dem Großenhainer Ziegeleibesitzer Eduard Julius Kämpfe, der es zu Beginn des 20. Jahrhunderts gekauft hatte. Kämpfe, Sohn des Großenhainer Ehrenbürgers Franz Karl Eduard Kämpfe, war Mitglied des königlich-sächsischen Landtages und Ratsherr in Großenhain. An Schloss Taubenheim hatte er wenig Freude, denn er starb wenige Jahre nach dem Erwerb.

So war es dessen Witwe Henriette Marie, die das Schloss zu einem kleinen kulturellen Zentrum im Triebischtal machte und nicht Nein sagte, als die Kunstschutzverantwortlichen des NSDAP-Gauleiters Martin Mutschmann 1943 darum baten, im Schloss Bestände der Landesbibliothek und des Hauptstaatsarchives aufzunehmen. Kistenweise kamen Archivalien, auch wertvolle Musikhandschriften aus der Kurfürstenbibliothek nach Taubenheim.

Bleibende Spuren in der früheren Geschichte hat die Familie von Miltiz in Taubenheim hinterlassen. Sie herrschte ab 1457 mehr als 150 Jahre und gestaltete den alten Rittersitz um 1600 zum Schloss um. Wiederum einhundert Jahre später modernisierten es neue Besitzer im Stile des Barock. Sein heutiges Aussehen erlangte das Schloss durch die Bautätigkeit im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Neogotische und Jugendstilelemente kamen hinzu, darunter die Erker und das Portal.

Nach 1945 diente das Schloss zunächst als Landschulheim, später als TBC-Kurheim. Seit 1974 war es Heimstatt für bis zu 60 pflegebedürftige Rentner. In dieser Zeit wurde im Schloss umfangreich saniert, Teile des Daches und Fassaden erneuert. Innen war die Modernisierung schwierig. Eine Kassettendecke aus dem späten Mittelalter musste geschützt werden. 2001 zogen die pflegebedürftigen Alten um in ein modernes Heim, das die Arbeiterwohlfahrt einen Steinwurf entfernt unterhalb des Schlosses gebaut hat. Mit den Senioren verschwand auch das Leben aus dem Schloss. Dennoch befand es sich laut Denkmalschutz 2014 noch in einem „weitestgehend gesicherten baulichen Zustand“.

Fränkische Bauern, so sagen Heimatforscher, waren vor mehr als 850 Jahren vermutlich die ersten Siedler in Taubenheim. Heute ist es wieder ein Franke, der im Tal und im Ort einiges zu sagen hat. Georg Heidig, ein Hüne, Mitte 50, mit weißen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren. Ihm gehört Schloss Taubenheim und vielleicht ein Dutzend historischer Immobilien in den Dörfern der Gegend. Heidig ist nicht nur im Triebischtal bekannt. Der Bundesinnenminister und die Sächsische Sozialministerin ließen sich schon mit ihm ablichten – insbesondere wegen seines sozialen Engagements. Der Franke, der, eigenen Angaben zufolge, selbst eine schwere Suchtkarriere hinter sich hat, gibt Alkohol- und Drogenabhängigen eine Chance zur Rückkehr in ein geregeltes Leben.

Dafür sanierte er in der Nähe das Rittergut Obermunzig und in Burkhardswalde den historischen Gasthof „Alma Kasper“. Es gibt suchttherapeutisch betreutes Wohnen und selbstständige Außenwohngruppen. Viele bleiben hier, betreiben unter Anleitung von Therapeuten und Handwerkern Landwirtschaft oder arbeiten in dem historischen Gasthaus. Diese nachhaltige Arbeit und die denkbar geringe Rückfallquote von weniger als 3 Prozent machten sein Projekt mit fast 150 Patienten und mehr als 50 Mitarbeitern zu etwas Besonderem, sagt er. Erst im Sommer brachte Sozialministerin Kleppsch 1,1 Millionen Euro nach Taubenheim. Mit dem Geld sollen 18 Plätze für Crystal-Abhängige eingerichtet werden.

Für das Taubenheimer Schloss und andere seiner historischen Immobilien stehen die Dinge weniger günstig. Allein in Taubenheim verfallen das Kneipsche Gut und das alte Schulgebäude. Das Schloss erwarb Heidig 2004 für etwa 68 000 Euro vom Landkreis Meißen, der es drei Jahre zuvor noch für knapp eine Million öffentlich angeboten hatte. Für mehr als 900 000 Euro bot ein Maklerbüro die Immobilie 2008 zum Weiterverkauf an. Das brachte Heidig den Vorwurf ein, das Schloss sei für ihn nur ein Spekulationsobjekt. Er bestreitet nicht, dass er es eine Zeit lang wieder loswerden wollte. Aber keiner wollte es. Nun wolle er es behalten.

Gemeindebürgermeister Gerold Mann sieht in der gegenwärtigen Lage wenig Anlass zur Freude. Das „ortsbildprägende Schloss“ sei zwar noch „gut in Schuss“, aber die Situation sei „ärgerlich“. Mann und auch andere Taubenheimer glauben, dass sich der Franke mit dem Schloss verkalkuliert und übernommen hat. Denn mittlerweile leidet insbesondere der Westflügel unter dem Wetter. Der Wind hat Löcher ins Dach gerissen. Bieberschwänze liegen im Schneefang und im Gras auf dem Boden. Die Parkterrassen sind verwildert. Eingestürzte Stützmauern müssten wieder aufgebaut werden. Sandsteinskulpturen sind verschwunden.

Georg Heidig versteht die Aufregung nicht. „Wir arbeiten mit der Gemeinde an einem Gesamtkonzept für Taubenheim. Alle historischen Gebäude sollen einbezogen werden“, sagt er. Aber es gebe Differenzen wegen eines alten Gasthofes. „Die Gemeinde will ihn schleifen, wir wollen ihn erhalten.“ Gegenwärtig würden Pläne erarbeitet. Kommendes Frühjahr wolle er die alte Schule sanieren, 14 Plätze für betreutes Wohnen sollen da rein und eine Werkstatt, in der alte Möbel aufgearbeitet würden. Aus dem Kneipschen Gut solle ein Eiscafé werden. Am Schloss könne es vielleicht Mitte 2019 losgehen. Betreutes Wohnen, Wohnungen und die Firmenverwaltung möchte Heidig dort unterbringen.

Solche Ankündigungen gebe es seit Jahren, erzählen Anwohner. Kneips Gut fällt mittlerweile in sich zusammen. Heidig weiß, dass sein Tun argwöhnisch beobachtet wird. Er könne nur Schritt für Schritt vorankommen. Das kaputte Schlossdach werde repariert oder neu gedeckt, sagt er im gemütlichen Plauderton und fügt hinzu: „Was lange währt, wird gut“. Doch danach sieht es derzeit nicht aus.

Unzufrieden mit der Situation ist auch Andreas Hahn. Er kann nicht verstehen, dass der Freistaat und der Landkreis einen solchen Umgang mit denkmalgeschützten Gebäuden zulassen. Auf Anfrage eines Grünen-Abgeordneten im Landtag bestätigte Sachsens Innenminister noch 2015, dass Schloss Taubenheim „ein bedeutendes Zeugnis der sächsischen Schlossbaukunst vom 16. bis 19. Jahrhundert“ sei, eine „beeindruckende Landmarke“. Als Denkmalschützer ein halbes Jahr zuvor das Areal besichtigten, bescheinigten sie dem Schloss einen „weitestgehend gesicherten baulichen Zustand“. Andreas Hahn sagt dazu nur: „Die Herrschaften sollten wieder einmal vorbeikommen.“

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