Merken

Die Gebühren-Millionen verzockt

Das Landgericht Erfurt verurteilte den früheren Kika-Herstellungsleiter Marco Kirchhof zu fünf Jahren und drei Monaten Haft. Möglich gemacht hatten den Betrug viele.

Teilen
Folgen

Von Thomas Schade

Am Ende bedauerte Mister Kika „zutiefst“, was er getan hat. Die späte Einsicht nützte Marco Kirchhof nichts: Der 44-jährige Ex-Herstellungsleiter des ARD/ZDF-Kinderkanals muss wegen Betrugs und Bestechlichkeit für fünf Jahre und drei Monate hinter Gitter. Die 7. Große Strafkammer des Erfurter Landgerichts sieht es als erwiesen an, dass er von 2005 bis 2010 in 48 Fällen Scheinrechnungen in Höhe von 4,6 Millionen Euro zur Zahlung angewiesen hat, ohne dass der Sender eine Gegenleistung erhielt. Die Kika-Affäre gilt als größter Betrugsfall in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Die Richter blieben im Urteil unter dem Antrag der Anklage. Die hatte sechs Jahre und acht Monate Haft gefordert. Doch das Geständnis und die Spielsucht des Angeklagten hätten strafmildernd gewirkt, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Schneider in der Begründung. Dennoch habe der Angeklagte sich die Taten „ausgedacht und über Jahre geschickt eingefädelt“. Richter Schneider appellierte an Kirchhof, schnellstens eine Therapie zu beginnen.

Mit der Kika-Weihnachtsfigur „Beutolomäus“ hatte alles angefangen. Marco K. schlug dem Produzenten der Figur, Fabian B., eines Tages vor, die Leistung ein zweites Mal abzurechnen. 40 Prozent des Geldes seien bei ihm geblieben, sagte der kaufmännische Geschäftsführer der Berliner Produktionsfirma als Zeuge vor Gericht, 60 Prozent habe er dem Angeklagten gegeben. Während Fabian B. seine Firma damit retten wollte, verzockte Kirchhof die Millionen der Gebührenzahler. Zwei- bis dreimal wöchentlich habe er bis zu 5000 Euro eingesetzt, sagten Mitarbeiter des Erfurter Casinos in der Beweisaufnahme. Ein „ausdauernder Spieler“ sei er gewesen, mit Vorliebe für Automat 16, die „Lucky Lady“. Der Berliner Gerichtspsychiater Werner Platz bezeichnete den Angeklagten als „pathologischen Spieler“, sein Gesamtverhalten sei auf Geldbeschaffung und das Spiel ausgerichtet gewesen. Im Sender gab es immer wieder Hinweise auf Kirchhofs Leidenschaft, so ein Kika-Mitarbeiter als Zeuge. Er habe mehrere Hinweise gegeben, aber alle hatten Angst, weil der Angeklagte eine große Machtfülle hatte.

Viele verschlossen die Augen

Ein Prüfer des ZDF erhob deshalb vor Gericht schwere Vorwürfe gegen den langjährigen Kika-Chef Frank Beckmann. Der heutige NDR-Fernsehdirektor erklärte in der Beweisaufnahme, er habe sich auf Kirchhof verlassen und keinen Anlass gehabt, an den Rechnungen zu zweifeln. Er wisse heute, dass Kontrollen nicht funktionierten.

In ihren Plädoyers gaben Kirchhofs Verteidiger dem MDR eine erhebliche Mitschuld an den Taten und hielten dreieinhalb Jahre Haft für ihren Mandanten für angemessen. Der MDR ist federführend für den Kika. Es habe faktisch kein Kontrollsystem gegeben, sagte Anwältin Doris Dierbach. Auch das Erfurter Casino hätte Kirchhof sperren müssen. „Es gab viele Stellen, die die Augen fest verschlossen hatten“, so die Verteidigerin.

Der MDR arbeitet die Kika-Affäre seit Oktober 2010 auf. Ein Revisionsbericht nannte im März 8,2 Millionen Euro, die seit 2002 veruntreut wurden; ein Teil der Betrügereien ist verjährt. Über 6,7 Millionen Euro hat Kirchhof ein notarielles Schuldanerkenntnis abgelegt. Sein Spiel habe seine wirtschaftliche Existenz ruiniert, erklärte der 44-Jährige gestern in seinem letzten Wort. Kirchhof war Mitbegründer des Kika und bis zu seiner Festnahme am 7. Dezember 2010 quasi die Nummer zwei im Sender.

Man werde nach dem Urteil nicht zur Tagesordnung übergehen, sagte gestern MDR-Sprecher Dirk Thärichen. „Wir beschäftigen uns weiterhin mit den Lehren aus diesem Betrugsfall.“ Abgeschlossen ist die Affäre noch lange nicht. Gegen ein Dutzend Beschuldigte werde weiter ermittelt, war kürzlich von der Staatsanwaltschaft zu hören. Marco Kirchhof könnte dabei nun zum Kronzeugen der Anklage werden.