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Die Festung des Friedensrichters

Lothar Hoffmann war Polizist. Jetzt ist er Rentner und Friedensrichter im ostsächsischen Neustadt. Er ist vereidigt auf den Rechtsstaat – und ruft zum Widerstand auf.

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© xcitepress

Von Ulrich Wolf

Gemütlicher Großvater gesucht? Lothar Hoffmann käme infrage. Stämmige Figur, feste Stimme, makellose Glatze. Der 64-Jährige erfüllt zumindest äußerlich alle Bedingungen. Mit einem Märchenbuch in der Hand, im Schaukelstuhl sitzend, umgeben von lauschenden Kindern – das könnte passen.

Doch Lothar Hoffmann liest und redet in seinem Ruhestand lieber vor Tausenden Pegida-Anhängern in Dresden. Er sagt Sätze wie: „Wir leisten von hier aus Widerstand gegen das herrschende System, und wir werden siegen!“ Unter der schwarzen Wolljacke ein Pegida-T-Shirt tragend, mit weißem Vollbart, steht er Mitte April auf der Bühne.

Hinter ihm prangt ein großes Plakat mit der Aufforderung, die Islamisierung Europas zu stoppen. Pegida-Gründer Lutz Bachmann kündigt ihn als „unser Lothar“ an, „ein ehemaliger Beamter, der jetzt ein paar Worte sagen wird“. Dann klatschen sich die Männer ab, umarmen sich, Bachmann übergibt das Mikrofon.

Hoffmann redet ruhig, fast monoton. Inhaltlich aber zieht er vom Leder: Die Bundesregierung sei „unfähig und US-hörig“, ihre Mitglieder „geistige Brandstifter“. Die Patrioten müssten zusammenstehen, „um das Projekt Festung Europa voranzutreiben“. Nur so könne man der „Invasion von Wirtschaftsflüchtlingen vorbeugen“. Der Rentner spricht nicht das erste Mal bei Pegida. Bereits im Februar dieses Jahres war er aufgetreten, angekündigt als „einer von unseren Helfern“, der bis 1997 Chef der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen-Anhalt gewesen sei.

Das stimmt. Hoffmann trat nach internen Personalquerelen im Juni 1997 als Vorsitzender zurück, gemeinsam mit allen anderen Vorstandskollegen. Drei Jahre lang hatte er die Belange der Polizisten zwischen Salzwedel und Halle vertreten, seine Wahl beim Delegiertentag 1994 in Aschersleben stand unter dem Motto: „Demokratie braucht unseren Einsatz.“

Gut 22 Jahre später ist Hoffmann – nach seiner Auffassung – erneut für die Demokratie im Einsatz. Zu Beginn seiner Februar-Rede bei Pegida stellt der Ex-Beamte sich vor: „Ich gehöre zum Orgateam DASS.“ Die Abkürzung steht für Demokratischer Aufbruch Sächsische Schweiz. Diese Bewegung, sagt Hoffmann, helfe mit, „unser Volk vor Überflutung“ zu schützen. „Unsere Frauen und Kinder“ dürften nicht länger „Freiwild für hormongesteuerte Ausländer“ sein.

Lothar Hoffmann ist von Sachsen-Anhalt in das ostsächsische Neustadt gezogen. 13 000 Einwohner zählt die Kommune mit ihren acht Ortsteilen. Derzeit sind dort 101 Asylbewerber untergebracht. Das entspricht einer Quote von 0,8 Prozent.

Hervorgegangen aus dem Demokratischen Aufbruch Sebnitz und unterstützt von NPD-Lokalpolitikern, existiert der DASS seit Anfang 2015. Auf Facebook sind Bilder von Anti-Asyl-Protesten in Neustadt und im benachbarten Sebnitz zu sehen, von Pegida-Demonstrationen, furchteinflößende und hassverzerrte Gesichter von Arabern und Afrikanern, von Zeitungsartikeln über Asylbewerber, die aufeinander losgegangen sind. Ein Besucher der DASS-Seite kommentiert: „Es ist schlimm, dass Menschen sich gegenseitig umbringen. Aber in diesem Fall sind es zu wenig Tote.“

Sachsens Verfassungsschutz ordnet die Facebook-Seite des DASS in seinem jüngsten Bericht der rechtsextremistischen Szene zu. Weiter heißt es: „In der Region Sebnitz/Neustadt engagiert sich die NPD maßgeblich in der sogenannten Bürgerinitiative Demokratischer Aufbruch Sächsische Schweiz.“ Deren Parteimitglieder träten als Organisatoren und Redner bei Kundgebungen in Sebnitz und in Neustadt auf.

Dass sich Lothar Hoffmann als Asylkritiker engagiert. ist nichts Besonderes in Sachsen. Außergewöhnlich an ihm jedoch ist: Der Mann ist Friedensrichter in Neustadt. Einstimmig vom Stadtrat im Januar 2014 gewählt, vereidigt vom Amtsgericht Pirna. Die Kommune hatte das Ehrenamt im September 2013 ausgeschrieben, Hoffmann war der einzige Bewerber.

Ein Friedensrichter versucht, zu schlichten, wenn Nachbarn streiten, Vermieter und Mieter, Handwerker und Kunden. Man kann sich an ihn wenden, wenn es Ärger ums Erbe gibt, sich jemand in seiner Ehre verletzt fühlt. All das mit dem Ziel, zeitaufwendige und teure Verfahren vor den ordentlichen Gerichten zu vermeiden.

Im sächsischen Schiedsstellengesetz heißt es: „Der zu wählende Friedensrichter muss nach seiner Persönlichkeit (...) für das Amt geeignet sein.“ Zwingend ausgeschlossen von einer Kandidatur sind nur Rechtsanwälte, Notare, Polizisten, Justizbedienstete und ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Zudem sollte, einem Leitfaden des Justizministeriums zufolge, „zum Friedensrichter nicht ernannt werden, wer gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat“.

Bei seiner Wahl vor zweieinhalb Jahren hat Hoffmann all diese Bedingungen erfüllt. „Ausschlussgründe (...) liegen nicht vor“, stellen die Neustädter Stadträte fest. Neun Monate später sollte die Pegida-Bewegung erstmals über Dresdens Straßen ziehen – und den Friedensrichter nach und nach in ihren Bann. Er wurde dort Dauergast, organisierte Proteste in seiner neuen Heimatregion, stieg Schritt für Schritt zu einem Macher auf.

Vor zwei Wochen, zu Pfingstmontag, eröffnete und moderierte Hoffmann den Aufruf der Initiative „Festung Europa“. Gut 3 000 Menschen jubelten ihm zu, als er im weißen Hemd, mit Sonnenbrille und nun ohne Bart den Massen zurief: „Jawohl, Widerstand ist unser Wort.“ Es erfülle ihn mit Stolz, sagt Hoffmann, „die Fahnen und Symbole der Identitären Bewegung“ zu sehen.

Diese überwiegend aus jungen Menschen bestehende Organisation bewertet der Berliner Verfassungsschutz schon seit 2014 als „diskursorientierten Rechtsextremismus“. Sie führe „unpolitisierte Personen an die rechtsextreme Szene“ heran. In Hessen sind die Identitären im Dezember 2015 als rechtsextrem eingestuft worden, in Bremen tauchten sie bereits 2012 unter der Rubrik „Neonazistische Szene“ auf. In Sachsen besetzten einige ihrer Anhänger im Januar 2015 kurzzeitig das Foyer des sächsischen Landtags. Ihre gelben Banner mit einem schwarzen Haken wehen vor allem bei der Festung-Europa-Bewegung.

Treibende Kraft dahinter ist die ehemalige Pegida-Frontfrau und Dresdner Oberbürgermeisterkandidatin Tatjana Festerling. Die frühere AfD-Politikerin hat schon seit Wochen nicht mehr bei Pegida geredet; Bachmann wiederum lässt sich bei der „Festung“ Europa nicht blicken. Festerling arbeitet nunmehr mit Hoffmanns DASS zusammen. Bereits dreimal redete sie in Sebnitz und Umgebung, zuletzt Ende April. „In den letzten zwei Wochen sind Sandro und ich Tausende von Kilometern durch Europa gerammelt“, sagt sie da.

Sandro M., ebenfalls in der Sächsischen Schweiz lebend, ist inzwischen so etwas wie ihre rechte Hand. Seinem Facebook-Profil zufolge unterstützt er den DASS, steht der Hooliganszene nahe und buhte Bundespräsident Joachim Gauck bei dessen Besuch unlängstin Bautzen aus. Der 40-Jährige informiert zudem über einige Stationen der Europareise: Prag, Paris, Breslau, Den Haag und Moskau.

Trotz der teilweise radikalen Ansichten beim DASS sieht Friedensrichter Hoffmann keinen Konflikt mit seinem Ehrenamt. „Wir krempeln das Orgateam gerade um“, sagt er. Er wolle keine NPD-Mitglieder mehr. „Wenn ich mich damit nicht durchsetze, werde ich das Orgateam verlassen.“ Er rufe zwar zum Widerstand auf, aber nur gegen das Asylsystem. „Ich will doch nicht die Demokratie abschaffen.“

Der Rentner betont, die Identitäre Bewegung werde in Sachsen vom Verfassungsschutz nicht beobachtet. „Dass junge Leute sich so engagieren, finde ich toll.“ Er, Hoffmann, verstehe sich nicht nur in seinem Amt als Friedensrichter, sondern auch in seinem politischen Engagement als Moderator. „Das Zwischenmenschliche ist ganz wichtig.“

Zuständig für die Dienstaufsicht der Friedensrichter außerhalb ihrer Schiedsverfahren sind die Kommunen. Neustadt kann Hoffmann seines Amtes entheben, sollte er etwa gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben.

Der parteilose Bürgermeister Peter Mühle will aber „von einer persönlichen Würdigung zum jetzigen Zeitpunkt Abstand nehmen“. Bereits Ende 2015 habe er die Rechtsaufsichtsbehörde angehört; doch die habe bis dahin in Hoffmanns Auftritten keine Beschädigung des Amtes gesehen. Nun will der Bürgermeister erneut die Rechtsaufsicht informieren.

Auch Sachsens Justizministerium will den Casus Hoffmann dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Dresden vorlegen, „damit der dafür zuständige Direktor des Amtsgerichts Pirna die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens prüfen kann“.

Mitarbeit: Katarina Gust, Dirk Schulze