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Die etwas andere Schulstunde

Das Gymnasium Coswig geht neue Wege. Die Fünftklässler können für eine Stunde täglich entscheiden, was sie wie lernen.

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© Arvid Müller

Von Ines Scholze-Luft

Coswig. Ich wünsche mir: Von mir, dass ich öfter lerne. Das hat tatsächlich jemand auf seinen bunten Papierfuß geschrieben. Wie alle Fünftklässler notierte auch die Klasse 5.2 des Gymnasiums Coswig ihre Wünsche auf einem farbigen Zettel.

Lernen spielt da keine kleine Rolle. Wie es sich spannender, alltagsnäher, intensiver gestalten lässt – für Schulleiterin Britt Göldner und ihr Kollegium schon länger ein Thema, nicht erst seit der Fußaktion. Wobei die direkt mit der neuen Unterrichtsform – dem sogenannten selbstregulierten Lernen – zusammenhängt, ihren Start markiert.

Denn was wünscht sich der Lehrer mehr als motivierte, neugierige, aufmerksame Schüler. Erlebt aber zu oft junge Leute, die den klassischen Frontalunterricht absitzen, weil sie ihm nicht folgen wollen oder können. Die sich bei Aufgaben zwar helfen lassen von Eltern und Freunden, aber selbst nicht nachvollziehen, wie die Lösung zustande kommt.

Mehr Selbstständigkeit ist gefragt, auch bei den jüngeren Schülern. Arbeitswelt und Alltag verändern sich. Wie gelingt es, die Schüler darauf vorzubereiten?, hat Britt Göldner sich gefragt. Wie lässt sich Lernen so anbieten, dass Freude, Motivation, Wissensdurst erhalten bleiben? Das Interesse der Schüler freut Mathelehrerin Göldner nicht zuletzt, wenn die Kinder schon vorm Unterricht an sie herantreten und fragen: Was lernen wir denn heute?

Jetzt soll das selbstregulierte Lernen helfen, Wissen einprägsamer zu vermitteln. In dem die Schüler selbst entscheiden können, was sie wie lernen. Das soll Eigenständigkeit und gezieltes Vorbereiten fördern. Und das Fehlerbewusstsein. Kinder dürfen Fehler machen. Sie sollen erkennen, warum sie passiert sind – eine gute Voraussetzung fürs Denkenlernen, sagt die Schulleiterin.

Was genau hinter der Neuerung steckt, kann Johanna Nicolaus, Schülerin der 5.2, erklären. Eine Unterrichtsstunde selbstreguliertes Lernen pro Tag gibt es für die 108 Mädchen und Jungen in den vier fünften Klassen. Pflicht- und Wahlaufgaben in Deutsch, Mathe und Englisch. Alles auf einem Arbeitsbogen festgehalten, dazu Zeitvorgaben und die Varianten Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit. Sterne kennzeichnen die Schwierigkeit. Mit einer der drei Ampelfarben bewerten die Schüler, wie ihnen die Aufgabe gelungen ist. Johanna ist etwas ungeduldig. Den scharfen Start fürs selbstregulierte Lernen (SRL) hätte sie gern schon eher gehabt.

Doch die Vorbereitung war nötig, auch, um die Raumsituation zu klären. Für die SRL-Stunde stehen im Erweiterungsbau auf der Westseite des Schulgrundstücks – Domizil der fünften und sechsten Klassen – acht Klassenzimmer bereit. Die Sechsten sollen inzwischen auswandern, zum Sport, in Fachkabinette nebenan. Die Fünften haben dann je zwei Räume für jedes Fach zur Auswahl, plus Spielzimmer – falls mal Lego-Bauen, ein Knobelspiel oder Schach gewünscht sind – und einen Raum der Stille. Auch das Abschalten nach großer Konzentration will gelernt sein.

Fünf Lehrerinnen und Lehrer von insgesamt 15 des SRL-Teams stehen pro Tag zur Verfügung. Mit dem Vorteil, dass ein Schüler auch mal zu einem anderen als seinem regulären Fachlehrer gehen kann. Und vielleicht einen günstigeren Zugang zum Thema findet, weil’s einfach besser passt.

Teamlehrer Silvio Gornig, Englisch und Geschichte, nennt die neue Methode einen Vorteil für alle. Die Lehrer, sonst eher Einzelkämpfer, können sich Aufgaben teilen, kooperieren, untereinander intensiver austauschen. Die Schüler lernen, Kontrolle und Verantwortung für sich zu übernehmen. Der Lehrer ist vor allem für den Fall da, dass die Schüler mal nicht klarkommen.

Natürlich muss es klare Regeln geben wie im normalen Unterricht, der ja auch weiter den Großteil des Schultages ausmacht, sagt Silvio Gornig. Doch Schule soll nicht wirken wie ein künstliches Biotop und die Schüler erst nach der 12. Klasse im richtigen Leben ankommen lassen. Deshalb die neue, andere Schulstunde.

Ein Lernprozess und eine große Chance, sagt Britt Göldner. Ob die Methode später auf andere Klassen ausgedehnt wird – am Gymnasium Coswig lernen 860 Kinder und Jugendliche bei 80 Lehrern – wird sich zeigen. Auf jeden Fall starten die Coswiger sie gemeinsam mit dem gerade eröffneten Gymnasium Dresden-Tolkewitz, wo Göldners vorherige Stellvertreterin Dr. Ulrike Böhm Schulleiterin ist und wie die Coswiger ganz gespannt auf die Erfahrungen an beiden Schulen.

Spannend dürfte es auch für ein Team der TU Dresden werden, das das Coswiger Gymnasium bei seinem Projekt begleitet, wie Schulleiterin Britt Göldner jetzt erfahren hat.