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Die Chance seines Lebens

Der Afghane Mohsen Hosseini kam ohne Familie und Schulabschluss nach Deutschland. Jetzt beginnt er in Görlitz eine Lehre.

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Mohsen Hosseini lächelt schüchtern. „Beim Abschlussgespräch meines Praktikums hat der Bäckermeister gesagt, dass ich fleißig gearbeitet habe und deshalb eine Ausbildung beginnen kann“, erzählt der junge Afghane. Dann schaut er seine Betreuerin Elisa Liehmann an, so, als wolle er fragen, ob er sich verständlich ausgedrückt hat. Ja, hat er. Mohsen lächelt wieder. Als Kind, berichtet der heute 18-Jährige weiter, habe er in verschiedenen Jobs gearbeitet, auch als Bäcker. Und jetzt, im zweiwöchigen Praktikum in der Ober-Neundorfer Bäckerei Tschirch, habe ihm die Arbeit richtig Spaß gemacht: „Ich habe Kuchen gebacken, auch Brötchen und Kekse.“

Mohsen hat es nie einfach gehabt. Seine Eltern sind Afghanen, die einst in den Iran geflohen sind. Er wurde am 31. Mai 1999 im Iran geboren. Als Afghane durfte er aber keine iranische Schule besuchen. Nur zwei Jahre wurde er unterrichtet: an einer illegalen Schule im Iran, wo er zumindest Schreiben auf Persisch gelernt hat. „Weiterlernen konnte ich nicht, die Polizei hat mein Zeugnis verbrannt“, sagt er. Stattdessen musste er arbeiten. Seine Mutter wollte das nicht: „Sie hat immer gesagt, dass ich mehr lernen und Ingenieur werden soll.“ Als er 16 war, war Mutter und Sohn klar, dass das im Iran nichts wird für einen Afghanen ohne Dokumente. Also floh er ganz allein, kam Ende 2015 nach München, zwei Monate später nach Görlitz.

Hier lebt er seither in einer Wohngruppe für die sogenannten Umas, die unbegleiteten minderjährigen Ausländer. Und lernt eifrig deutsch, vor allem am Berufsschulzentrum (BSZ). Dass die Sprachkenntnisse das Wichtigste sind, ist ihm bewusst. Sogar in den Schulferien im Sommer hat er weiter deutsch gelernt – mithilfe von YouTube-Videos im Internet. Nebenbei versucht er, sich in Görlitz ein soziales Leben aufzubauen, hat an mehreren Workshops in der Rabryka an der Bautzener Straße teilgenommen, trainiert die Sportart Parcours in der BSZ-Turnhalle und in Weinhübel, hat vor der Eröffnung Tische für das Begegnungscafé HotSpot gebaut und dort geholfen, die Wände zu streichen. Und er hat deutsche und polnische Freunde gefunden, mit denen er sich auf Deutsch unterhält.

Mohsen findet es nicht gut, dass so viele Flüchtlinge den ganzen Tag auf dem Marienplatz verbringen: „Da denken die Deutschen doch, dass wir alle den ganzen Tag nur rumsitzen.“ Er selbst geht nur ab und an auf den Marienplatz, weil er dort kostenlos ins Internet kommt. Aber draußen zu sitzen sei als Flüchtling sowieso nicht allzu angenehm: „Ich werde ständig von der Polizei kontrolliert.“ Das sehe nicht schön aus: „Da denken die Leute vielleicht noch, dass ich ein Terrorist bin.“

Seit Dienstag hat sich für ihn ohnehin alles geändert: Er ist jetzt Azubi. Das ist vielleicht die Chance seines Lebens. Auf die Lehrstelle ist er durch seine Betreuerin Elisa Liehmann aufmerksam geworden. Die 28-Jährige ist für den ASB tätig, hat als Teamleiterin die Verantwortung für eine der zwei Uma-Gruppen. „Wir bekommen die Brötchen von der Bäckerei Tschirch, und als der Chef mal bei uns war, habe ich ihn nach Praktikumsmöglichkeiten gefragt.“ Michael Tschirch bestätigt, dass er beim Probearbeiten sehr zufrieden mit Mohsen war. Doch er bestätigt auch noch etwas anderes: „Der Arbeitsmarkt wird immer schlechter, wir finden einfach keine Bäcker mehr.“ Das betreffe Azubis genauso wie Gesellen. Ein Kollege sei voriges Jahr in Rente gegangen. Für ihn habe er bis heute keinen Ersatz gefunden. Und vor zwei Jahren habe er auch keinen Azubi gefunden. In dieser Situation freue er sich natürlich über jeden Bewerber, der beim Probearbeiten einen guten Eindruck macht: „Ich habe gegen keine Nation etwas.“ Auch einen Polen habe er schon ausgebildet und nach der Lehre übernommen. Eine polnische Konditorin gehört seit Jahren zu seinen etwa 40 Angestellten, darunter zehn Bäckern.

Das Problem bei den Ausländern sei oft die Sprache: „Auch bei Mohsen war für mich ausschlaggebend, dass er relativ gut deutsch kann.“ Die Berufsschule werde er schon hinbekommen, glaubt Tschirch. Aber für die Kollegen in der Backstube sei es natürlich schwieriger, weil oft mehr Erklärversuche nötig sind, bis ein Azubi, der nicht Muttersprachler ist, alles versteht.

Elisa Liehmann wünscht sich, dass mehr Firmen „ihren“ Umas eine Chance geben, und sei es über Praktika. Und mehr Flexibilität im deutschen Ausbildungssystem. Beim Arbeiten seien viele Umas voll bei der Sache, bei der Schule weniger. Das liege an ihrem Hintergrund. Viele mussten schon als Kinder arbeiten, sind es also gewohnt. Schule hingegen sind sie nicht gewohnt, sind dort nie oder nur kurz gewesen, haben keine Abschlüsse. Und beispielsweise viel geringere Mathe-Kenntnisse als ein deutscher Jugendlicher, der zehn Jahre hier zur Schule gegangen ist. „Arbeiten fällt ihnen viel leichter als Schule“, sagt Elisa Liehmann. Mohsen sei der Erste von ihren Jungs, der jetzt eine Lehre beginnt. Sie hofft, dass er nicht der Einzige bleibt.

Julia Schlüter vom Café HotSpot am Obermarkt, das sehr viel mit Flüchtlingen arbeitet, kennt die Situation. Doch sie ist optimistisch: „Von fünf Jungs weiß ich jetzt konkret persönlich, dass sie einen festen Ausbildungsplatz haben.“ Darunter seien zwei Bäcker, ein Altenpflegehelfer, ein Metallbauer und ein Koch. „Engagierte Betreuer in den Trägereinrichtungen oder auch Berufsschullehrer geben sich viel Mühe, die Jungs unterzubringen“, sagt Julia Schlüter. Manche Flüchtlinge machen jetzt auch ein Berufsvorbereitungsjahr oder Ähnliches. Andererseits sei es oft schwer, für die Jungs etwas zu bekommen, da sie keine Abschlüsse haben und teilweise die Vorbehalte der Firmen riesig sind. „Aber Mohsen ist definitiv kein Einzelfall“, sagt sie.

Er ist am Montag aus seiner Wohngruppe ausgezogen, weil er nun volljährig ist und ihm die Bäckerei Tschirch ein Zimmer im Lebenshof Ludwigsdorf angeboten hat. So ist Elisa Liehmann jetzt nicht mehr seine Bezugsbetreuerin, will ihn aber ambulant nachbetreuen. Und Mohsen selbst? „Ich will auf jeden Fall weiter deutsch lernen“, sagt er. Und natürlich die am Dienstag begonnene Ausbildung möglichst gut schaffen. Vor allem auf das Kuchenbacken freut er sich. Wird schon alles gut gehen. Mohsen lächelt. Diesmal zuversichtlich.