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„Die CDU hat eine Arroganz der Macht entwickelt“

Parteienforscher Hendrik Träger analysiert das Abschneiden der sächsischen Union. Und er sagt, was wichtiger als Neuwahlen ist.

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© Ronald Bonß

Herr Träger, ist die sächsische CDU nach der Wahlschlappe und dem angekündigten Rücktritt ihres Vorsitzenden Stanislaw Tillich auf der Suche nach sich selbst?

Hendrik Träger ist promovierter Politologe. Der 1981 geborene Wissenschaftler forscht zu Parteien und lehrt an der Uni Leipzig.
Hendrik Träger ist promovierter Politologe. Der 1981 geborene Wissenschaftler forscht zu Parteien und lehrt an der Uni Leipzig. © dpa

Die CDU in Sachsen hat sich, das ist auch durchaus positiv besetzt, für etwas Besonderes gehalten. Sie hat unter Kurt Biedenkopf bei Landtagswahlen Ergebnisse von fast 60 Prozent erzielt. In den letzten Jahren lag die Partei bei 40 Prozent. Das sind immer noch respektable Ergebnisse, über die sich andere Landesverbände, egal ob von SPD oder CDU, freuen würden. Bei Bundestagswahlen schnitt die sächsische Union fast immer wesentlich schlechter als bei Landtagswahlen ab. Dieses Jahr rutschte die Partei auf unter 30 Prozent und wurde erstmals als stärkste Kraft abgelöst – ausgerechnet von der AfD. Das ist ein Schlag ins Kontor und ein Alarmsignal.

Und was folgt daraus?

Die sächsische Union muss sich die Frage gefallen lassen, was sie falsch gemacht hat. Und sie muss sich fragen, ob sie über Jahre hinweg nur ein Scheinriese war, dessen gute Ergebnisse nicht hausgemacht, sondern der eklatanten Schwäche der anderen Parteien geschuldet waren.

Was ist Ihre Antwort: Fehler oder Scheinriese?

Es ist eine Mischung. Die Ergebnisse unter Biedenkopf wurden als Maßstab genommen, ohne die Wirkung des Landesvaters zu berücksichtigen. Sachsens SPD ist extrem schwach. Die Linke ist verhältnismäßig stark in Sachsen, aber kein Gegner, der der CDU Platz eins streitig machen konnte.

Das heißt, dass sich die CDU stärker fühlte, als sie es tatsächlich war?

Die Partei hat sich in Sicherheit gefühlt und dabei eine Arroganz der Macht entwickelt nach dem Motto: Bei solchen Ergebnissen muss unsere Politik ja richtig und gut sein, sonst würden uns die Leute nicht wählen. Wir sind die unangefochtenen Platzhirsche. Es war eine Mischung aus einem Scheinriesen unter zwergenhaften Gegnern und falschen Rückschlüssen, dass die Politik richtig war.

Aber war sie denn falsch? Sachsen steht doch vergleichsweise gut da.

Stanislaw Tillich hat keine großen sachlichen Fehler gemacht. Dennoch muss er sich vorwerfen lassen, dass er seine Politik nicht erklärt hat. Das gehört aber zum Regieren ebenso dazu wie administratives Handeln. Politiker müssen den Bürgern sagen, wieso, weshalb, warum sie eine politische Entscheidung treffen.

Hat Tillich das nicht gemacht?

In der Politikwissenschaft gibt es den schönen Begriff des politischen Narrativs, was Erzähl- oder Erklärkunst bedeutet. Das ist ganz wichtig, besonders bei Problemen. Und das beherrscht Herr Tillich nicht, die Bundeskanzlerin im Übrigen auch nicht. Von Stanislaw Tillich hat man auch in Krisensituationen nie so richtig etwas wahrgenommen. Das ist etwas, was sein potenzieller Nachfolger Michael Kretschmer anders machen muss.

Ist der Status einer Volkspartei für die sächsische CDU gefährdet?

Volkspartei an sich heißt ja nur, dass eine Partei in ihrer Wählerschaft und Anhängerschaft verschiedene Schichten der Bevölkerung abdeckt. Das Gegenteil dazu sind Klientelparteien, die weder in ihrer Mitglieder- noch in ihrer Wählerstruktur eine Volkspartei sind. Ein klassisches Beispiel ist die FDP. Die sächsische Union ist auch noch mit ihren derzeit 26,9 Prozent eine Partei, die unterschiedliche Bevölkerungsgruppen wie etwa Arbeiter, Angestellte, Arbeitslose, Rentner und Selbstständige abdeckt. Das passiert zwar nicht mehr in dem Maß wie früher, dennoch kann man von einer Volkspartei reden – von einer dezimierten Volkspartei.

In der CDU gibt es zum Verfahren der Tillich-Nachfolge zwei Meinungen. Der Ministerpräsident verdient Respekt und hat die Nachfolge gut organisiert. Andere sagen, es gab kaum Chancen, Alternativen zu Kretschmer zu prüfen.

Der Ministerpräsident hat offenbar im stillen Kämmerlein entschieden, er müsse jetzt zurücktreten und die Gremien erst sehr kurzfristig informiert. Dass er zurücktreten wird, war aber dennoch absehbar. Es gab nicht nur Gegenwind von den Landräten und der Parteibasis, sondern auch schon fast erniedrigende Kritik von Kurt Biedenkopf, der ja für viele Sachsen König Kurt ist. Die kommenden beiden Jahre bis zur Landtagswahl wären für Tillich ein Spießrutenlauf geworden. Und würde dann im Sommer 2019 die Union auf 30 oder 35 Prozent absacken, wäre Tillich dafür verantwortlich gemacht worden. Insofern war der Rücktritt richtig.

Wie bewerten Sie das Verfahren?

Die Nachfolge hätte anders geregelt werden müssen. Man hätte das zumindest hinter den Kulissen längerfristig diskutieren sollen. Michael Kretschmer hat gegen einen politischen Nobody der AfD, wenn auch sehr knapp, seinen Wahlkreis verloren. Das könnte auf manche so wirken, als suchte die CDU dringend einen neuen Job für den Michael.

Hat Kretschmer Fehler gemacht? Andere CDU-Kandidaten haben es auch nicht geschafft oder lagen nur knapp vor der AfD-Konkurrenz.

Das ist nicht nur ein Problem von Michael Kretschmer. Er hat im Wahlkampf keine großen Fehler gemacht. Dass er den Wahlkreis in Görlitz verloren hat, ist dem allgemeinen Trend geschuldet. Dennoch sieht es ein bisschen wie Postenhuberei aus. Kretschmer hat 15 Jahre dem Bundestag angehört. Aber er war nie in administrativer oder exekutiver Verantwortung, nie Staatssekretär oder Minister. Es wird jemand ohne Regierungsverantwortung zum Regierungschef gemacht. Das ist sehr ungewöhnlich. Kretschmer muss sich erst in die Situation reinarbeiten. Er bekommt jetzt einen großen Vertrauensvorschuss.

Aber es spricht doch auch einiges für Michael Kretschmer.

Das ist richtig. Er ist Generalsekretär der CDU Sachsen. Damit ist er zwar mitverantwortlich für das Wahlergebnis. Aber er kennt sich mit der Landespolitik aus und ist nicht jemand, der sozusagen nur in Berlin war. Aus meiner Sicht ist er rhetorisch versiert. Ich verbinde mit ihm die Hoffnung, dass er den Dialog zwischen Politik und Bürgern anders führen kann als Tillich. Tillich kann ja nach neun Jahren im Amt nur schwer sagen, jetzt lege ich den Schalter um und mache alles anders. Insofern hat Kretschmer einen Vorteil.

Wären Neuwahlen besser? Etliche Sachsen haben den Wunsch danach.

Ich kann ihn durchaus verstehen. Aber stellen Sie sich vor, es gäbe jetzt Neuwahlen und das Ergebnis wäre ähnlich wie bei der Bundestagswahl. Selbst wenn wir es ein bisschen dem Trend bisheriger Landtagswahlen anpassen, stellt sich mir die Frage nach der Regierungsbildung: Wie soll es möglich sein, selbst wenn die CDU auf Platz eins wäre, eine Regierung zu bilden? Eventuell wäre nur ein Bündnis aus CDU, SPD und FDP, was in Baden-Württemberg 2016 wegen der Parteifarben als Deutschland-Koalition bezeichnet wurde, die einzige Kombination mit einer Mehrheit. Insofern wären Neuwahlen für die politische Stabilität des Freistaates ungünstig.

Die Verfassung sieht die Neuwahl bei einem Rücktritt nicht vor. Der Ministerpräsident wird vom Landtag gewählt.

Sowohl Tillich als auch sein Vorgänger Georg Milbradt sind durch Rücktritte ins Amt gekommen, ohne dass es Neuwahlen gegeben hätte. Die Landesverfassung räumt zwar dem Landtag das Recht ein, sich jederzeit aufzulösen. Aber bei Neuwahlen müssten alle im Landtag vertretenen Parteien mit Ausnahme der AfD wahrscheinlich Federn lassen. Wichtiger als Neuwahlen ist, dass die Parteien sagen: Wir haben Fehler gemacht und lernen daraus. Wir gehen stärker als bisher auf die Menschen zu und hören uns ihre Sorgen an.

Das Gespräch führte Thilo Alexe.