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„Die CDU empfindet mich als Zumutung“

Chef der Grünen bleibt Jürgen Kasek, knapp über der Mindestmarke. Mehr Zustimmung erhält die Ko-Vorsitzende. Der Parteitag verläuft insgesamt turbulent.

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© dpa

Von Thilo Alexe

Jürgen Kasek wirkt still und in sich gekehrt, anders als Wahlsieger sonst. Ein Blick auf das Ergebnis macht rasch klar, warum. Sachsens Grüne haben ihn auf ihren Landesparteitag in Glauchau zwar als Landeschef bestätigt, allerdings mit magerem Ergebnis.

Der Leipziger Anwalt erhält 59 Prozent der Stimmen. 72 Delegierte wählen ihn, damit lag er gerade zehn Stimmen über der notwendigen Mindestmarke – und das ohne Gegenkandidat. Verwundert hat Kasek das nicht, getroffen schon. „Wir haben doch etwas vor“, sagt er und meint damit nicht nur die Bundestagswahl.

Sachsens Grüne haben sich in eine eigentümliche Lage gebracht. Der Mann, der wegen seines Engagements gegen Neonazis ihr bekanntester Politiker ist, hat einen Denkzettel erhalten. Andererseits betont die Partei ihren klaren Kurs gegen Rechtspopulisten. Was ist passiert?

Es ist nicht sein Einsatz auf Demonstrationen, den ein Teil der Partei Kasek vorwirft. Es geht darum, dass der Landeschef die Grünen quasi nur mit einem Thema führt. Der Vorsitzende versucht zwar, in seiner Bewerbungsrede gegenzusteuern: „Ich komme nicht aus der Antifa, sondern aus der Umweltbewegung.“

In der anschließenden Fragerunde äußert ein Delegierter Zweifel. Das sei ihm doch erst gestern eingefallen, geht er Kasek verbal an. Die Görlitzer Landtagsabgeordnete Franziska Schubert wirft sogar die Frage auf, wie der umstrittene Chef an „Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit und Ernsthaftigkeit arbeiten“ will. Kasek räumt Fehler ein, spricht davon, dass er impulsiv sei. Er will sich ins neue Team einordnen, die Bissigkeit aber nicht verlieren: „Die CDU empfindet mich als Zumutung.“ Für einen sächsischen Grünen sei das ein Kompliment.

Kaseks Ergebnis wirft ein Schlaglicht auf eine Partei, die in Umfragen im Aufwind, in Personalfragen aber uneins ist. So wagt es trotz der Unzufriedenheit keiner von Kaseks Kontrahenten, gegen ihn zu kandidieren. Noch krasser verläuft die Wahl zur stellvertretenden Parteichefin. Diana-Victoria Menzel, die Kasek ebenfalls kritisiert, erreicht in zwei Durchgängen nicht die erforderliche Mehrheit. Das Amt bleibt unbesetzt.

In den personellen Konflikten spiegeln sich auch politische. Unstrittig ist, dass die Grünen auf Kernthemen wie Nachhaltigkeit, Stärkung des ländlichen Raumes, Landwirtschaft ohne Massentierhaltung und Weltoffenheit setzen. Debattiert wird aber die Form der Ansprache. Ist in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus die strikte Abgrenzung zu sogenannten besorgten Bürgern richtig oder zumindest ein Gesprächsversuch nötig? Eine beklatschte Antwort liefert Christin Melcher. Die 33-Jährige, die als gleichberechtigte Ko-Chefin neben Kasek kandidiert, weiß: „In den letzten Jahren haben wir all zu oft die Türen geschlossen und grüne Selbstgespräche geführt.“ Selbstverständlich seien die Grünen der Gegenpol zur AfD. Aber: „Um Wähler an die Wahlurnen zu bringen, reicht es nicht, nur ein Gegenpol zu sein.“

Die Mutter eines Sohnes, die in der Erwachsenenbildung arbeitet, erhält ein starkes Ergebnis. Mit 89,4 Prozent wählen sie die mehr als 120 Delegierten zur Vorsitzenden. „Wir müssen mit unseren Grünenangeboten raus ins Leben“, ruft sie den Parteimitgliedern unter langem Applaus zu.

Die Leipzigerin, die von der Insel Usedom stammt, veranschaulicht, was Grüne im Osten antreibt. Sie sei, sagt Melcher, aufgewachsen in einer Gegend, in der mittlerweile AfD und NPD Mehrheiten erzielten. In Leipzig habe sie für bessere Kinderbetreuung und erfolgreich für ein Solardach auf dem Universitätsgebäude gekämpft. Veränderungen seien möglich. „Das treibt mich an.“

Und offenbar auch die Partei. Abgesehen von den Personalstreitereien sieht es für den Landesverband gar nicht so schlecht aus. In einer aktuellen Umfrage erzielen die sächsischen Grünen einen leichten Zuwachs auf sieben Prozent der Stimmen – 1,3 Prozent mehr als bei der Wahl 2014. Das mag nach wenig klingen, ist aber für eine Partei, die regelmäßig um den Wiedereinzug in den Landtag bangt, ein stabilisierender Effekt.

Die Grünen sind damit die einzige Parlamentskraft außer der AfD, die gewinnt. Womöglich hat das mit ihrer Verankerung unter Studenten und in wachsenden Großstädten zu tun. Jedenfalls muss der Verband nicht wie CDU und auch Linke befürchten, Wähler an die AfD zu verlieren.

Freiheit für Hühner

Ohne Änderung verabschiedet der Parteitag denn auch ein Strategiepapier, in dem es heißt: „Die derzeitige Polarisierung bietet uns eine Chance, wenn wir als Grüne unsere Haltung bewahren und damit eine Option für enttäuschte Wähler anderer Parteien bilden.“ Die Rede ist auch davon, „Möglichkeiten einer Koalition mit SPD und Linken in den Blick“ zu nehmen.

Was Regierungsbeteiligung bringt, zeigt Niedersachsens grüner Agrarminister Christian Meyer. Elegant plaudert er davon, dass in dem Bundesland, in dem die Kritik an Massentierhaltung ein stärkeres Thema ist, Hühnern nicht mehr die Schnäbel gestutzt werden – und in dem Minister gegen Pegida-Ableger demonstrieren.

Auch Landtagsfraktionschef Volkmar Zschocke hält eine fulminante Rede. Aufhorchen lässt der Rückgriff, den Zschocke auf die Wendezeit macht. Das damals geforderte demokratische, offene Land sei nun gefährdet durch rechtspopulistische Strömungen. Die Grünen stünden für das Gegenteil. „Es kommt jetzt auf uns an.“