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Dicke Luft im Luftkurort

Bei den Kommunalwahlen im Mai könnte die NPD in den Gemeinderat von Gohrisch einziehen. Bürgermeister Heiko Eggert würde das gern verhindern. Aber wie?

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© Norbert Millauer

Von Thomas Schade

Ist der Aufstieg vom Städtchen Königstein an der Elbe hinauf nach Gohrisch erst einmal geschafft, empfangen erstaunlich viele Gasthäuser, kleine Hotels und Ferienpensionen die Besucher auf dem Hochplateau im Elbsandsteingebirge. Urlauber und Tagestouristen starten von dort zu den nahe gelegenen Tafelbergen wie dem Gohrisch oder dem Papststein. Der Fremdenverkehr entwickelte sich gut in den vergangenen Jahren, er ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in dem kleinen Kurort mit seinen 800 Einwohnern.

Doch der parteilose Bürgermeister Heiko Eggert sieht Gefahr heraufziehen für das Idyll. Am 25. Mai sind Kommunalwahlen, danach könnte sich die politische Farbenlehre im zwölfköpfigen Gemeinderat ändern: Grün und Braun könnten dazukommen. Mit den Grünen habe er keine Probleme, sagt der rüstige 73-Jährige. „Aber dass dann auch die NPD mit am Tisch sitzen könnte, das behagt mir gar nicht.“ Am liebsten würde er in einem Brandbrief an die Wähler appellieren, dem Rechtsextremismus keine Chance zu geben. „Aber das darf ich in meinem Amt nicht ungestraft machen.“

Es ist seine Familiengeschichte, die Heiko Eggert so NPD-sensibel macht. Der gebürtige Gohrischer hat mütterlicherseits jüdische Vorfahren. Vater und Großvater waren Offiziere, die an der Infanterieschule des Heeres in der Dresdner Albertstadt lehrten. Von seiner Mutter erfuhr er, dass sein Vater im Zweiten Weltkrieg von der Schule nach Nordafrika an die Front versetzt wurde, weil er sich von seiner Frau jüdischer Herkunft nicht scheiden lassen wollte. „Er kam aus dem Krieg nicht zurück“, sagt Eggert.

Die meiste Zeit seiner Kindheit verbrachte er in Dresden. Heiko Eggert hat Erinnerungen aufgeschrieben, wie er als Sechsjähriger an Trümmern und Leichen vorbei zu seinen Chorproben gelaufen ist. Mit 13 sei er gegen seinen Willen umgesiedelt worden, habe in Heidelberg Dendrologie studiert, die Lehre von den Gehölzen, und viele Jahre als Florist in der Nähe von Bonn gearbeitet.

1994 begann er, die Villa des Großvaters in Gohrisch wieder auszubauen, 2001 kehrte er mit seiner Frau in die alte Heimat zurück. Er engagierte sich zunächst mit einem Mandat der Linken im Gemeinderat und setzte sich 2012 bei der Bürgermeisterwahl als Parteiloser gegen den CDU-Kandidaten durch.

Eine Neonazi-Hochburg sei Gohrisch in dieser Zeit nie gewesen, sagt Eggert. Auch wenn der Jugendklub im alten Kindergarten immer wieder mal als Anlaufpunkt für rechte Jugendliche im Gerede war. 2008 zog die Klubleitung sogar gegen die Gemeinde vor Gericht, weil die Verwaltung den Treff räumen wollte – wegen angeblicher rechter Umtriebe. Als Gemeinderat versuchte Heiko Eggert damals zu vermitteln, schlug einen neuen Standort vor.

Dann wechselte die Klubleitung, der Staatsschutz beobachtete das Objekt, und die Wogen glätteten sich wieder. Dennoch erwähnte der Verfassungsschutz den Gohrischer Jugendklub in seinem Lagebericht 2012 noch als „eines der Anlaufobjekte“ der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. So traf die Polizei im Sommer 2012 bei einer Kontrolle mehr als ein Dutzend betrunkene und teils vermummte Personen an. Aus dieser Gruppe flogen Steine und Flaschen, die Polizisten nahmen drei Tatverdächtige fest – ausgerechnet an dem Tag, an dem Heiko Eggert die Bürgermeisterwahl gewann.

Heute bereite der Jugendklub der Gemeinde keine Probleme mehr, sagt Eggert. Er könne derzeit auch keine rechte Jugendszene in Gohrisch erkennen. Damals seien auch viele junge Leute aus anderen Orten in den Klub gekommen. „Hier sind alle froh, dass die Zeit vorbei ist, in der etwa die Gruppe ,Skinheads Sächsische Schweiz‘ bundesweit Schlagzeilen machte.“ Die ganze Region sei dadurch zur rechten Hochburg abgestempelt worden. Seither seien insbesondere die Leute im Tourismus sehr hellhörig. Der Bürgermeister fürchtet weniger die Auseinandersetzung mit der NPD – „die Debatte mit denen ist nicht das Problem“ – als vielmehr das braune Stigma, das man nach den Wahlen im Mai seinem Ort anhängen könnte.

Unter diesem schlechten Image hatte die Sächsische Schweiz bereits nach den Kommunalwahlen 2009 zu leiden. Damals war die NPD in 14 Orten mit 35 Kandidaten angetreten – der Partei gelang in jeder dieser Kommunen der Einzug in den Gemeinderat. Seither sind die Rechtsextremen laut Verfassungsschutz in diesem Landkreis in den Kommunalparlamenten mit den meisten Mandaten vertreten. Die kommunalpolitische Präsenz der NPD sei in der Sächsischen Schweiz besonders ausgeprägt, urteilen die Verfassungsschützer. „Das treibt mich um“, sagt Eggert.

Ursache für die Achtungserfolge der Rechtsextremen war damals der NPD-Kreisverband, der bereits seit 1990 existiert und unter Führung von Uwe Leichsenring zu einem der stärksten Kommunalverbände der Rechtsaußenpartei in Sachsen wurde. Nach dem tödlichen Unfall des Königsteiner Fahrlehrers 2006 beobachtete der Verfassungsschutz ein Nachlassen der NPD-Aktivitäten.

Das könnte sich nun wieder ändern, denn der Kreisverband hat einen neuen Treffpunkt in Pirna-Copitz bezogen. Im „Haus Montag“ stellte die NPD Anfang März auch ihre Kandidaten für die Kommunalwahlen auf. Eigenen Angaben zufolge will die Partei zur Kreistagswahl in allen Wahlkreisen mit mindestens zwei Kandidaten antreten, für die Stadt- und Gemeinderatswahlen seien insgesamt 32 Bewerber in 14 Kommunen aufgestellt worden.

In Gohrisch will Martin Hering für die NPD in den Gemeinderat einziehen. Der 28-Jährige macht sich Hoffnung, weil zur Bundestagswahl im September 2013 fast zwölf Prozent der Gohrischer ihre Erststimme der NPD gegeben hätten. Damals kandidierte freilich nicht Hering. „Aber ich bin einer von hier, ich kann das auch schaffen“, sagt er. Er habe im Ort „viel Unzufriedenheit“ entdeckt. Vor allem wegen der Abwasserkosten, da wolle er der Verwaltung auf die Finger schauen und für Transparenz sorgen. Hering verdient sein Geld mit Devotionalien der rechtsextremistischen Szene, betreibt dazu ein Ladengeschäft sowie die Internetshops „Nationales Versandhaus“ und „Streetfightversand“. In der aktuellen Sommerkollektion finden sich T-Shirts, die Aufschriften tragen wie „Auch ohne Sonne braun“ oder „Sonnenstudio 88“ – die Acht steht in der Szene für den achten Buchstaben im Alphabet und bedeutet „Heil Hitler“. Im Angebot sind auch Teleskopschlagstöcke.

Die NPD-Wahlplakate sind in Gohrisch bereits montiert. Bürgermeister Heiko Eggert wirft einen sorgenvollen Blick darauf. Gern würde er den Einzug Herings in den neuen Gemeinderat verhindern, „aber das kann ich nicht, das kann nur der Wähler“, sagt er. Eggert, der sich selbst als Pragmatiker bezeichnet, rede lieber so viel wie möglich vor der Wahl darüber. „Da haben die Leute noch Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, ob die Farbe Braun unserer Region guttut.“ Das sei immer noch besser, als hinterher zu fragen, wie das alles nur passieren konnte.