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Der Zopf ist ab

Eine Erstklässlerin aus Oderwitz spendet ihre Haare. Vielleicht, so wünscht sie sich, hilft sie damit einem krebskranken Kind.

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© Matthias Weber

Von Elke Schmidt

Der erste Blick in den Spiegel ist doch etwas gewöhnungsbedürftig. Gerade hat sich Emma Grunewald ihre Haare abschneiden lassen, und jetzt muss sie sich erst noch an ihr verändertes Aussehen gewöhnen. Doch traurig ist sie nicht, denn sie weiß, dass ihr schöner dicker Zopf nicht weggeworfen wird. Er wird aufgehoben, um daraus eine Perücke zu machen.

Der Anstoß für die Spende kam von Daniel Drescher. Er arbeitet im Friseursalon Kopfsache in Oderwitz und Emmas Oma ist dort Kundin. Die brachte das Mädchen eines Tages mit, und dem Friseur fielen sofort ihre schönen dicken Haare auf. Aus Spaß sagte er, die wären perfekt zum Spenden geeignet, vergaß die Sache aber nach dem Besuch wieder. Die Sechsjährige jedoch nahm seinen Vorschlag ernst und erzählte zu Hause, sie wolle ihre Haare spenden. Die Familie fand die Idee toll. „Wir sind wahnsinnig stolz auf Emma“, sagt ihre Mutter, die sofort einen Termin beim Friseur ausmachte.

Nun ist der Zopf ab und von Daniel Drescher bereits ins Westmünsterland geschickt worden. Er hatte gehört, dass dort Yvonne Honerbom, Obermeisterin der Friseur-Innung Borken, Zopfspenden sammelt und übers Internet Kontakt aufgenommen. Sie habe sich sofort bei ihm gemeldet, sagt er.

Yvonne Honerbom rief die Aktion vor vier Jahren ins Leben, weil sie es schade fand, wenn gerade besonders lange Haare einfach im Müll landeten. Das wollte sie ändern und suchte einen Partner, der die Haare weiterverwenden könnte. Den fand sie in der münsterländischen ZweithaarManufaktur Rieswick. Das Familienunternehmen hat sich auf das Anfertigen von Perücken für Menschen spezialisiert, die aus den verschiedensten Gründen ihre Haare verlieren. Am schlimmsten für die Betroffenen ist dabei wohl der totale Haarausfall, der nach einer Chemotherapie aufgrund einer Krebserkrankung auftritt.

Für sie alle verbessert eine Echthaarperücke spürbar ihre Lebensqualität. Max Rieswick von der Geschäftsleitung erklärt, dass die Perücken von Hand hergestellt werden. Pro Stück brauche man im Schnitt vier bis sechs Zöpfe dafür. Jedes Haar werde einzeln auf den Perückenboden geknüpft, und das dauere zwischen 200 und 250 Stunden. Die meisten sind spezielle Einzelanfertigungen nach den Wünschen der Kunden. Für ein perfektes Ergebnis verwendet die Manufaktur Echthaare. Damit sie die Haare verwenden können, müssen sie mindestens 25 Zentimeter lang sein. Für jeden gespendeten Zopf spendet das Unternehmen außerdem einen Betrag an eine Organisation, die man sich selbst aussuchen kann. Für Emmas Haare übernimmt das Yvonne Honerbom. Sie wähle sorgfältig, wer unterstützt wird, sagt sie. Im letzten Jahr haben die Betriebe der Innung Borken zum Beispiel 284 Zöpfe gesammelt, sagt sie. Dafür erhielten sie 2 000 Euro. In diesem Jahr wollen sie ein Hospiz aus der Region unterstützen. Wenn Emma aber für jemand anderen spenden wolle, sei das selbstverständlich auch möglich.

Emma Grunewald wird in den nächsten Tagen in der Schule sicher noch öfter erklären müssen, warum sie plötzlich kurze Haare hat. Dorthin geht sie noch nicht lange. Sie wurde erst am Wochenende eingeschult und ist jetzt in der ersten Klasse.

Infos zum Spenden von Haaren für kranke Menschen