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Der ungebetene Gast

Er ist der Mann, den keiner einlädt und der trotzdem kommt. Notfalls darf Rolf Süßmann die Besuchten sogar verhaften.

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© K.-L. Oberthür

Von Jörg Stock

Rolf Süßmanns Büro wirkt fast schon penetrant gewöhnlich. Nur dass ein Baseballschläger neben dem Schreibtisch lehnt. Süßmann ergreift die Holzkeule, legt sie vor sich hin. So macht er es, wenn einer „übergriffig“ wird, ihn bepöbelt. „Kohle her, Arschloch!“, zum Beispiel. Doch was der Gerichtsvollzieher einmal hat, das gibt er nicht mehr raus. „Kommt er dann hier rum“, sagt Süßmann, deutet auf die Tischecke und dann auf den Schläger, „gibt’s das Ding zwischen den Scheitel.“

„So macht das Leben keinen Spaß mehr.“ Der Pesterwitzer Frank Reinecke (59) mit seinem Haftbefehl.
„So macht das Leben keinen Spaß mehr.“ Der Pesterwitzer Frank Reinecke (59) mit seinem Haftbefehl. © K.-L. Oberthür

Rolf Süßmann hat die Keule noch kein einziges Mal eingesetzt. In 16 Dienstjahren als Gerichtsvollzieher ist er so gut wie nie tätlich angegriffen worden. Herr Süßmann sagt, dass er auf den guten Willen setzt. Jemanden in den Dreck zu treten, sei nicht seine Sache. Er will die Balance finden zwischen der Lebenslage der Schuldner und den Interessen der Gläubiger, und das höflich. Meistens klappt das. „Wie es in den Wald rein ruft, so schallt es heraus.“

Heute hat Süßmann Außendienst. Es geht nach Pesterwitz, Freitals „Goldstaubviertel“. Ja, auch dort gibt es Menschen, die ihre Rechnungen nicht bezahlen, sagt Süßmann. Er blättert: Bußgelder, Strafbefehle, Hundesteuern, Bibliotheksgebühren, Beiträge für Krankenkassen und öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die GEZ, jetzt Beitragsservice, ist der wichtigste Gläubiger. Schnell noch zur Toilette. Bei Schuldnern geht der Gerichtsvollzieher nämlich nie aufs Klo, zwecks Distanzwahrung. Dann steigt er in seinen grafitgrauen Geländewagen und braust los.

Gerichtsvollzieher gibt es im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ein knappes Dutzend. Meist werden sie losgeschickt, um offene Geldforderungen einzutreiben. Rund 13 500 Mal waren sie 2015 mit der Abnahme der Vermögensauskunft, also des Offenbarungseids, beauftragt und haben an die 5 000 Pfändungen vorgenommen. Rolf Süßmann macht jährlich etwa 800 Hausbesuche. Dass er dabei fast nie willkommen ist, stört ihn wenig. Wenn die Gerichtsvollzieher nicht wären, sagt er, würde schließlich keiner mehr zahlen.

Auf der Landstraße. Rolf Süßmann erzählt. Er wollte Rechtsanwalt werden. Das ging aber nicht, weil sein Vater wegen „unerlaubter Kontaktaufnahme“ in Ungnade gefallen war. Der junge Süßmann lernte Koch im Interhotel Bastei, fing „ganz unten“ an mit dem Schrubben der Fetttöpfe. Dann kochte er an der sowjetischen Erdgastrasse, lebte in einer Wagenburg mitten in Sibirien. Dass er vor seiner Beamtenlaufbahn einen knochenharten Job gemacht hat, sieht er heute als Vorteil.

Pesterwitz. Eine adrette Eigenheimsiedlung aus den 1920ern. Hier ist der erste Termin. Bevor wir aussteigen, kommt Süßmann auf die Rundfunkgebühren zurück. Viele sind gegen die Zwangsabgabe, sagt er. Er nicht. Aber er ist für einen vernünftig finanzierten Staatsrundfunk. „Das weiß auch Frauke Petry.“ Petrys AfD will die Öffentlich-Rechtlichen samt Gebühren abschaffen. Süßmann ist Parteimitglied. Bei der AfD könne er seine Meinung sagen, auch wenn die anderen nicht passe, sagt er.

Frank Reinecke, 59, einst Schiffbauer, jetzt arbeitslos, wartet an der Haustür. Ohne Angst. Er hat nichts, sagt er, da kann ihm keiner was wegnehmen. Die Krankenkasse will gut 10 000 Euro von ihm. Dabei kriegt er nicht mal Hartz IV. Seine Lebenspartnerin Karin, bei der er hier wohnt, soll für ihn aufkommen, sagt das Amt. Kann sie aber nicht. Sie ist selber verschuldet und muss das Haus unterhalten. Weil Frank die Kassenbeiträge nicht bezahlen kann, hat er nun praktisch keine Krankenversicherung mehr, eigentlich ein illegaler Zustand.

Rolf Süßmann präsentiert einen roten Zettel: „Haftbefehl“ steht darauf. Würde Herr Reinecke den Offenbarungseid verweigern, könnte Süßmann ihn einsperren lassen. Herr Reinecke bleibt ungerührt. Seine Wirbelsäule ist kaputt, alle Ärzte hat er durch. Und jetzt dieser Haftbefehl. „Da macht das Leben keinen Spaß mehr.“ Zu pfänden gibt es nichts. Herr Süßmann füllt die Papiere aus. Der Haftbefehl hat sich erledigt. „Den können Sie sich einrahmen“, sagt er zu Reinecke. Der lacht gequält. „Hab’ kein Geld für den Rahmen.“

Nächster Halt: ein abgeschabtes Haus ohne Klingel an der Ausfallstraße Richtung Dresden. Hier soll Frau L. wohnen. Frau L. schuldet Steuern, Gerichtskosten und Telefongebühren. Rolf Süßmann klopft an alle Türen, lauscht. Stille. „Bei der ist nichts zu holen“, mischt ein Nachbar sich ein. Süßmann kennt ihn schon aus anderen Verfahren. Der Nachbar will wissen, dass Frau L. umgezogen ist und auch, wohin. Süßmann freut sich über den Tipp. „Wenn man ordentlich mit den Leuten umgeht, dann kriegt man auch mal was erzählt.“

Wie eine stolze Fregatte lenkt Rolf Süßmann sein bulliges Auto durch die kleinen Straßen. Am Innenspiegel hängt ein Kruzifix. Ein Bergbauer hat es ihm in Österreich geschenkt. Was wäre, wenn im Wagen vor uns ein islamischer Halbmond baumelte? Das würde ihm nicht gefallen, sagt Süßmann. Er bezeichnet sich als „ausgesprochen wertkonservativ“. Ausländer, sagt er, sollen sich zu hundert Prozent integrieren. Religion bitte nur zu Hause. „Würde hier“ – er deutet unbestimmt zum Straßenrand – „eine Moschee gebaut, ich würde dagegen demonstrieren.“

Ein gelecktes Würfelhaus mit knuffigem Ruprecht-Sack am Treppenfuß. Süßmann betätigt die Rufanlage. „Guten Tag, Süßmann, Gerichtsvollzieher!“ Schweigen. Gerade will er wieder gehen, da öffnet Frau K., eine adrette Person um die 40, und führt uns in ihre Mietwohnung. Süßmann gibt sich jovial. 400 Euro Bußgeld wegen Geschwindigkeitsübertretung? „Also, wie schnell waren Sie denn da?“ „Es war …“, beginnt Frau K. Aber sie bricht ab. Es würde eh nach Ausrede klingen, sagt sie. Egal wie und was, sagt Süßmann. „Wenn Sie nicht zahlen, bringt die Stadt Freital Sie in den Knast!“ Zwei, drei Wochen Haft im Frauengefängnis Chemnitz stellt er in Aussicht. Also lieber schnell mit der Stadt telefonieren, rät Süßmann, irgendwie eine Lösung finden, Ratenzahlung zum Beispiel.

Frau K. hat noch mehr Schulden. Süßmanns Blick schweift umher, bleibt am Flachbildfernseher hängen. „Sechs, sieben Jahre alt, schätze ich?“ „Und zerkratzt“, sagt Frau K. Pfändung sinnlos. Ähnlich ist es mit dem Computer. Er gilt als nötig fürs tägliche Leben. Außerdem müsste vor der Verwertung alle Software fachgerecht entfernt werden. Kosten, die den Erlös definitiv übersteigen würden. Nach einer Viertelstunde stehen wir wieder auf der Straße.

Wie bei der Mafia

Und nun zur Überraschungsvisite bei einem Bauhandwerker. Die Handwerkskammer kriegt noch knapp 500 Euro von ihm. Süßmann war schon viermal umsonst da mit einem Haftbefehl. Auch diesmal hat er kein Glück. Nur der Vater des Mannes zeigt sich. Er ist auch Handwerker. 500 Euro? „Manche haben Millionenschulden, da macht ihr nicht so ein’ Ruß“, grollt er. Das Handwerk hat es schwer. „Diese verschissene Handwerkskammer!“, entfährt es ihm. „Was macht die denn für uns?“ Er hält demonstrativ die leere Hand auf.

Doch schon hat er sich wieder im Griff. Ja, er wird dem Sohn Bescheid geben. Das wäre gut, sagt Süßmann. Er hat einen neuen Gerichtsbeschluss. Er kann jetzt auch nachts und am Sonntag wiederkommen. Beim Verhaften ist er nicht zimperlich. Er hat auch schon Leute im Aldi festgesetzt. Die sind dann zur Bank gerannt und haben ihm das Geld noch auf dem Parkplatz überreicht. Süßmann feixt. „Wie bei der Mafia.“ Aber egal. „Der Erfolg zählt.“