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Der Traum vom „Serbski Sejm“

Die Sorben und Wenden sind eine selbstbewusste Minderheit. Sie wollen auf Augenhöhe mit ihren deutschen Nachbarn verhandeln. Am besten geeignet scheint vielen von ihnen dafür ein eigenes Parlament.

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© dpa

Jörg Schurig

Bautzen. Wo die heimliche Hauptstadt der Sorben liegt, ist höchst umstritten. Wer sich dem Siedlungsgebiet der slawischen Minderheit von Norden her nähert, bekommt Cottbus als Antwort zu hören. In Sachsen gilt Bautzen als Kapitale. Ohnehin pflegen die brandenburgischen Niedersorben (Wenden) und die Obersorben in der sächsischen Oberlausitz eine gewisse Rivalität. Wenden wollen nicht als Sorben angesprochen werden. Doch in einem Punkt sind sich viele einig. Es muss eine möglichst starke und eigene Vertretung geben, um die Belange der Sorben und Wenden in der Lausitz zu vertreten. Aber wie soll sie aussehen?

„Seit der friedlichen Revolution von 1989 leben wir Sorben/Wenden in der Ober- und Niederlausitz in einem seltsamen Schwebezustand. Einerseits haben wir Freiheiten gewonnen, die wir lange Zeit entbehren mussten. Andererseits erkennen wir, dass unsere kulturelle Identität dramatisch im Schwinden begriffen ist: Unsere Muttersprache ist bedroht, wir haben kein Instrument für unsere politische Selbstbestimmung, und im Konzert der freien Völker Europas haben wir keine Stimme“, begründen die Initiatoren ihre Forderung nach einem „Serbski Sejm“, einem Sorbischen Parlament.

Vor gut sechs Jahren trat die Aktion erstmals an die Öffentlichkeit. Inzwischen verfügt sie nicht nur über einen professionellen Auftritt im Internet, sondern hat ein eigenes Logo: die Frucht der Linde, ein heiliger Baum der slawischen Mythologie. Sie symbolisiert nicht nur das Zentrum der Gemeinschaft, sondern steht auch für Freiheit und Glück. „Wir meinen: Die Zeit der Reife ist gekommen. Die sorbische/ wendische Kultur hat der Welt etwas zu geben, was gerade heute von essenzieller Bedeutung ist: Friedenswillen, Gemeinschaftlichkeit, Verbundenheit mit der Natur“, heißt es von Seiten der Initiative.

Bislang haben mehr als 800 Menschen eine Petition für den Sejm unterschrieben. Die Befürworter stammen nicht nur aus der Lausitz. Selbst in Australien, Kanada oder Haiti gibt es Rückhalt. Noch wird die Initiative vor allem von Intellektuellen getragen, noch ist sie keine Massenbewegung. Dennoch etablieren sich im Hintergrund schon Strukturen. Anfang März konstituierte sich in Schleife der Sorbische/ Wendische Ältestenrat (Rada Starostow). Das Gremium setzt sich aus 14 anerkannten Persönlichkeiten zusammen, versteht sich als Bürgerforum und soll den Weg zum Parlament begleiten.

„Die Wende in Ostdeutschland hat grundlegende Probleme der Wenden/ Sorben nicht gelöst. Im Mittelpunkt steht noch heute, dass wir als Sorben oder Wenden unsere Angelegenheiten nicht selbst regeln können“, sagt Hartmut Leipner, Sprecher des Ältestenrates. Er erinnert daran, dass im Siedlungsgebiet der Sorben fremde Konzerne Braunkohle abbaggern und neben den dörflichen Strukturen auch die jahrhundertealte Kultur der Sorben vernichten. Leipner zitiert Martin Luther mit den Worten „Wir sind alle Bettler, das ist wahr.“ Der Spruch treffe heute leider auch auf die Sorben und Wenden zu.

Die offizielle Politik hält sich mit Reaktionen auf die Rufe nach einem „Sorbischen Parlament“ bisher zurück. Leute wie der sächsische Linke-Politiker Heiko Kosel sind die Ausnahme. Er unterstützt die Sejm-Initiative, damit die Minderheit auf Augenhöhe mit Instanzen des Staates verhandeln kann. Der Domowina, dem Bund Lausitzer Sorben, verwehre das deutsche Vereinsrecht die notwendige Alleinvertretungsbefugnis. Bei der Interessenvertretung des sorbischen Volkes gebe es derzeit eine „Demokratielücke“: „Der einzige Weg um diese zu schließen, ist eine demokratisch legitimierte Vertretung - der Serbski sejm“, sagt Kosel.

Unlängst empfingen Fraktionen aus dem Brandenburger Landtag die Sejm- Initiative. Im Kulturministerium in Potsdam sieht man die Initiative eher skeptisch. Nach dem Sorben/Wenden-Gesetz des Landes Brandenburg sei die Domowina als Dachverband anerkannt und somit legitimiert, die Interessenvertretung wahrzunehmen, heißt es. Außerdem gebe es noch den ehrenamtlichen Rat für Angelegenheiten der Sorben/Wenden beim Landtag. Prinzipiell sei jedes demokratische, zivilgesellschaftliche Engagement begrüßenswert. In Brandenburg sehe man aber keine Defizite bei der Interessenvertretung der Sorben und Wenden.

Der Verweis auf die Domowina genügt den Sejm-Leuten nicht. Andreas Kluge, einer der führenden Sejm-Köpfe nimmt kein Blatt vor den Mund. Er sieht in der Domowina in erster Linie einen „Dachverband der Tanzgruppen“ und spricht ihren Vertretern eine demokratische Legitimation ab. Die Mitarbeiter der Domowina würden dafür bezahlt, dass sie als „Berufssorben“ Funktionen ausfüllen - „ohne dass sie sich rechtfertigen müssen, was dabei herauskommt“. „Der Rechnungshof hat das schon vor Jahren kritisch betrachtet, die Diskussion wurde aber unter den Teppich gekehrt“, sagt Kluge.

Die Domowina übt sich in Diplomatie. Die Sejm-Initiative habe Gelegenheit bekommen, ihre Gedanken dem Domowina-Bundesvorstand vorzutragen: „Dieser konnte sich jedoch, ebenso wie offenbar die Mehrheit der Öffentlichkeit und Politik, nicht für ihre Ideen begeistern“, sagt Domowina-Chef David Statnik und spricht von schwierigen Gesprächen: „Besonders, wenn die Position des Gegenübers von vornherein negiert und durch Vorurteile und Unterstellungen erschwert wird.“ Fast scheint es so, als müssten sich die Sorben/Wenden erst einmal untereinander grün sein. (dpa)