Merken

Der Tod am Geländer

Eine 22-Jährige musste sterben, weil eine Treppe des Altenpflegeheimes „Herbstsonne“ in Kamenz unter Strom stand. Eine unglückliche Verkettung?

Teilen
Folgen
NEU!

Von Frank Oehl

Nichts deutete an diesem Tag auf ein tragisches Ende hin. Es war der Abend des 1. Juli als Grit J., Altenpflegerin in Kamenz, von einer Rauchpause nicht mehr zurückkehrte. Kollegen des Pflegeheims „Herbstsonne“ fanden die junge Frau auf der Treppe des zweiten Rettungswegs in leblosem Zustand. Sie hatte offenbar einen Stromschlag erlitten, alle Rettungsversuche blieben erfolglos.

Erst in der zurückliegende Woche wurde der Fall öffentlich. Grit J., die einen ausfüllenden Job und viele private Pläne mit ihrem Freund Dirk hatte, war da bereits auf dem Friedhof ihres Heimatdorfes bei Kamenz beerdigt worden.

Nun fragen sich nicht nur ihre Freunde und Familienmitglieder, was an jenem Abend eigentlich passiert ist. Aus dem mysteriösen Unfall ist ein Dauerthema geworden. Es geht dabei auch um Baupfusch.

Wie sich bei der Untersuchung der Todesumstände herausstellte, stand nämlich der Handlauf der Rettungstreppe immer dann unter Strom, wenn die Außentreppenbeleuchtung angeschaltet war. Warum der Fehler erst sieben Jahre nach Fertigstellung des Heimes – noch dazu nach der tödlichen Konsequenz – bemerkt wurde, gehört zum Ermittlungsauftrag. Staatsanwaltschaft-Sprecher Christopher Gerhardi sagt, „offensichtlich wurde bei der Montage der Treppe ein stromführendes Kabel getroffen.“ So ein Fehler könne schon mal vorkommen, sagt der Kamenzer Elektromeister Matthias Frömmelt. Er hat den schlimmen Vorfall im Kollegenkreis diskutiert, warnt aber vor allzu schnellen Schuldzuweisungen. „Hier liegt offenbar eine Verkettung unglücklichster Umstände vor.“

Strom direkt durch den Körper

Wie jetzt bekannt ist, wurde ein stählerner Handlauf an die Wand montiert, ohne dass auffiel, dass dabei das senkrecht unter Putz verlaufende Lampenkabel getroffen wurde. „Normalerweise fliegt die Sicherung raus“, sagt Frömmelt.

Offenbar aber muss die Schraube genau die Phase getroffen haben, was äußerst ungewöhnlich sei. Da der mittlerweile abgebaute Handlauf keine Verbindung zur Stahltreppe hatte, habe „hohes Nullpotenzial“ bestanden. Wer sich nach der Rauchsitzpause am unter Strom stehenden Geländer hochzieht, sorgt für eine „perfekte Erdung“. Der Strom fließt direkt durch den Körper zur Treppe ab, je dünner bekleidet man ist, umso besser. An jenem Abend war es sehr warm. Die junge Frau verkrampfte offenbar, bis das Herz stillstand.

Dass der Vorfall Konsequenzen haben wird, steht außer Frage. Nur welche? Ralf Schindler vom DRK-Kreisverband Freital, der das Heim betreibt, hat die Mitwirkung bei der Aufklärung zugesagt. Das sei nicht einfach, weil das Heim erst Monate nach der Übergabe übernommen worden sei. „Bauplanunterlagen liegen uns noch keine vor.“

Die Ermittlungen zu fahrlässiger Tötung sind angelaufen, auch im Interesse der noch immer geschockten Heimbewohner. „Wir wollen, dass der Fall lückenlos aufgeklärt wird“, sagt Geschäftsführerin Silvia Holling. Mit einem Fehlstromschutzschalter (FI) wäre das Unglück nicht passiert, glaubt Elektromeister Frömmelt. Seit 2009 sind bei Neubauten FI-Schalter immer dort gesetzlich vorgeschrieben, wo eine „Nutzung durch Laien“ angezeigt ist. Etwa bei Föhn-Steckdosen im Bad. Bei Körperberührungen wird der Stromfluss sofort unterbrochen. „Die FI-Pflicht gilt allerdings nicht bei Beleuchtungsanlagen“, sagt Frömmelt. Er fragt nun: Warum eigentlich nicht?