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Der scheue Rückkehrer

Die Zahl der Wolfsrudel ist deutlich gestiegen. In Sachsen gibt es mindestens 15 Rudel. Das freut nicht jeden.

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© dpa

Von Nina Schirmer

Deutschland ist wieder Wolfsland. 150 Jahre nachdem die Tiere hierzulande ausgerottet wurden, erobern sie ihre alte Heimat zurück. In der gesamten Bundesrepublik gibt es heute wieder schätzungsweise 120 bis 130 erwachsene Wölfe. Diese Zahl hat das Bundesamt für Naturschutz (BfN) am Freitag veröffentlicht.

Die meisten Tiere leben in Sachsen und Brandenburg. Nach Sachsen war im Jahr 2000 erstmals nach der Ausrottung ein Wolfspaar aus Polen zugewandert. Inzwischen gibt es im Freistaat mindestens 15 Rudel, drei Wolfspaare und einen Einzelgänger, der regelmäßig die deutsch-tschechische Grenze passiert. Einem Rudel gehören durchschnittlich zwischen drei und elf Tiere an – die beiden Eltern und der Nachwuchs der letzten zwei Jahre.

Offenbar fühlen sich die Tiere vielerorts wohl und vermehren sich. So ist die Zahl der Rudel in Deutschland innerhalb eines Jahres von 31 auf 46 gestiegen. Die Anzahl der Wolfspaare ist von 19 auf 15 gesunken. Was sich leicht damit erklären lässt, dass die Paare inzwischen Junge bekommen haben und zum Rudel gewachsen sind. Zum Verbreitungsgebiet der Wölfe gehören auch Sachsen-Anhalt, Thüringen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Einzelne Tiere wurden von Bayern bis zu den Küsten gesichtet.

„Die positive Entwicklung der Wolfspopulation in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes, seitdem der Wolf unter strengem Artenschutz in der Europäischen Union steht“, sagt BfN-Präsidentin Beate Jessel. Trotz der gestiegenen Zahl weise die Art aber insgesamt noch eine ungünstige Erhaltungssituation auf. Der Wolf steht auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere. „Wir dürfen auch die Augen nicht davor verschließen, dass der Mensch nach wie vor der größte Feind des Wolfes ist“, so Jessel.

Vor allem der Straßenverkehr, aber auch illegale Abschüsse gefährden den Wolf. Von den seit dem Jahr 2000 tot aufgefundenen Tieren wurden 19 Exemplare nachweislich illegal getötet und 103 von Autos überfahren. Nur 14 Tiere sind an natürlichen Ursachen verstorben.

Während sich Naturfreunde und Umweltschützer über die Rückkehr der Wölfe freuen, blicken Landwirte oft mit großer Sorge auf die wachsende Population. Wölfe unterscheiden bei der Jagd nicht zwischen wilden und domestizierten Tieren. Vor allem Schafe und Ziegen können den Raubtieren zum Opfer fallen. Die Länder unterstützen Bauern und Viehzüchter beim Schutz ihrer Tiere.

In Sachsen können Landwirte und Hobbytierhalter eine Förderung von 80 Prozent für Elektrozäune und Hütehunde beantragen. Geld gibt es allerdings nur für die Anschaffung der Zäune und Hunde, nicht aber für die Instandhaltung beziehungsweise Pflege. Wurde ein Nutztier von einem Wolf gerissen, können Bauern eine Ausgleichszahlung für den erlittenen Verlust erhalten. In ganz Deutschland wurden 2015 rund 107 000 Euro Entschädigung gezahlt. Trotzdem sind sich die meisten Nutztierhalter einig, dass der Wolf nicht nach Deutschland gehöre. Die heutige dicht besiedelte Landschaft gebe ein Nebeneinander von Mensch und Wolf nicht mehr her, so ein häufig vorgebrachtes Argument.

Dem widerspricht Beate Jessel ausdrücklich. Der Wolf spiele eine wichtige Rolle im Ökosystem, weil er vor allem kranke und schwache Wildtiere jage. Das Bild vom Wolf, der unberührte Wildnis und menschenleere Gebiete braucht, entspreche nicht der Realität. Es gehöre zum normalen Verhalten der Wildtiere, dass sie sich auch in Sichtweite zu bewohnten Gebieten aufhalten. Für den Menschen stellt der Wolf in aller Regel keine Gefahr dar. Begegnungen mit einem Wolf sind selten, aber wie bei anderen Wildtieren, etwa Rehen oder Wildschweinen, nicht auszuschließen. Wenn sie Menschen wahrnehmen, ziehen sich die Tiere meist zügig zurück. Auf keinen Fall aber dürften Wölfe gefüttert werden, weil sie sonst ihre Scheu vor dem Menschen verlieren können.