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Der Mörder zeigte bis zum Schluss keine Reue

Der RusslanddeutscheAlex W. hat die Ägypterin Marwa El-Sherbini mit Messerstichen getötet.Er muss lebenslang ins Gefängnis

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Von Karin Schlottmannund Alexander Schneider

Nach fast zwei Stunden Urteilsbegründung spricht Birgit Wiegand den Ehemann des Mordopfers persönlich an. „Herr Okaz, im Namen der Kammer möchte ich Ihnen unser Mitgefühl und unsere Hochachtung aussprechen“. Trotz des Todes seiner Frau sei er im Prozess sachlich und höflich aufgetreten – so wie es auch seine Frau getan hatte, als sie vor Gericht aussagen musste. „Das nötigt uns allen großen Respekt ab.“

Der 32-jährige Elwy Okaz , Doktorand am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, hat an dem Prozess um den Mord an Marwa El-Sherbini als Nebenkläger teilgenommen. Still und in sich gekehrt saß er an jedem Prozesstag neben seinem Bonner Anwalt Prof. Heiko Lesch. Das gestrige Urteil nahm er kommentarlos entgegen. Es ist sein Schwager, der das Urteil später als zu milde kritisiert.

Okaz schien weder gestern noch an den Tagen zuvor die Blitzlichter der Fotografen und die Aufregung um ihn herum wahrzunehmen, wenn er, leicht gestützt auf seine Krücken, mit schnellen Schritten durch das Foyer des Landgerichts ging. Die Beinverletzung ist eine Folge des mörderischen Angriffs von Alex W. auf Okaz und seine Frau. Ein Polizist, der am 1. Juli zufällig in der Nähe war, hatte aus Versehen auf ihn und nicht auf den Täter geschossen. Neben der Schussverletzung im Bein erlitt der Ehemann 16Messerstiche unter anderem am Hals, als er vergeblich versuchte, seine Frau zu beschützen. „Okaz hätte tot sein können“, sagte Richterin Wiegand. Ebenso wie seine schwangere Frau, die wenige Minuten nach den ersten Messerstichen verblutet war.

Großer öffentlicher Druck

Der Täter, der 28-jährige Russlanddeutsche Alex W., muss nun wegen Mordes und Mordversuchs lebenslänglich ins Gefängnis. Obwohl die Schwurgerichtskammer die besondere Schwere der Schuld festgestellt hat, bedeutet lebenslang aber nicht lebenslang im wörtlichen Sinne. Ein anderes Gericht wird seine Entlassung prüfen: nach 18, 19 oder 20 Jahren. „Diese Chance soll er haben“, betont Wiegand. Der Gedanke, dass Straftäter trotz einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe irgendwann entlassen werden, gehöre zu den Grundlagen des deutschen Strafrechts. „Es geht nicht nur um Rache und Vergeltung.“ Einige Zuhörer grummeln leise.

Der öffentliche Druck, insbesondere aus der arabischen Welt, den Täter so hart wie möglich zu bestrafen, war von Anfang an spürbar. Auch gestern saß der ägyptische Botschafter in der ersten Reihe ebenso wie Vertreter des Zentralrats der Muslime und ägyptische Journalisten. Etwa 150 Muslime demonstrieren vor dem Gericht. Vermutlich begründet Wiegand ihr Urteil auch deshalb so gründlich und vermeidet emotionale Äußerungen über Tat und Täter. „Die grenzenlose öffentliche Aufmerksamkeit hat den Ablauf des Prozesses beeinflusst, nicht aber das Urteil“, stellte sie klar. Die Schwurgerichtskammer habe nicht für „die Moslems“ oder „die ägyptischen Anwälte gesprochen“, erläutert sie in Anspielung auf das Plädoyer eines ägyptischen Anwaltes. „Wir haben nach deutschem Strafrecht entschieden.“ Wenn Alex W. an Schizophrenie leiden würde, hätte das Gericht ihn in die Psychiatrie eingewiesen, auch wenn das in anderen Staaten nicht als angemessene Reaktion empfunden worden wäre.

Alex W. reagiert äußerlich nicht auf seine Strafe. Wie an jedem Prozesstag zieht er die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht. Die Hände hat er vor sich gefaltet, den Blick nach unten gerichtet. Wiegand begründet, warum sie den Angeklagten nicht gezwungen hat, die Vermummung abzunehmen. „Hätte das den Gang des Verfahrens gefördert? Ich bezweifle das.“ Die Kapuze werte sie als Zeichen der Angst des Angeklagten vor Racheakten und des Eingeschüchtertseins angesichts der großen Zahl an Nebenklägern auf der gegenüberliegenden Seite. „Ich will ihm nicht die Verzweiflung absprechen über das, was er getan hat.“

Massive Hasstiraden

Verzweifelt ja, aber von aufrichtiger Reue des Angeklagten könne keine Rede sein, sagt die Richterin. Er habe eine ganze Familie ausgelöscht und noch nach der Tat das Opfer als „Schlampe“ bezeichnet. Besonders schwerwiegend sei auch die Tatsache, dass Alex W. Marwa El-Sherbini vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes Mustafa getötet habe. Er stach sogar auf sie ein, als die Frau schon am Boden lag. Argloser könne ein Opfer kaum sein als die Ägypterin es war. Sie hatte als Zeugin in einer Berufungsverhandlung gegen Alex W. ausgesagt, wo er sich wegen Beleidigung El-Sherbinis verantworten musste.

Alex W. hatte sie beim Streit um eine Schaukel auf einem Dresdner Spielplatz mit massiven Hasstiraden überzogen. Abgrundtiefer Hass auf Muslime, der sich wie ein roter Faden durch sein Leben gezogen habe, sei eines der Motive für den Mord, sagt Wiegand. Der zweite Grund: Rache für die Anzeige nach den Beschimpfungen als „Terroristin“ und „Islamistin“ auf dem Spielplatz. Dass eine Muslimin es wagte, ihn, der gern ein „perfekter Deutscher“ geworden wäre, vor Gericht zu bringen, konnte er nicht akzeptieren. Er fühlte sich als Verlierer, obwohl er sich doch zu einer überlegenen Rasse zählte. Es waren die Ausländer, die Alex W. für sein „Scheiß-Leben“ verantwortlich machte. Sie nähmen ihm die guten Jobs weg, sprächen russische Frauen an und würden von den deutschen Behörden bevorzugt. Das Gericht wertete diesen Ausländerhass als „niedrigen Beweggrund“ und die Messerstiche auf die völlig arglose Frau in einem öffentlichen Gericht als „Heimtücke“.

Ägyptische Anwälte und Journalisten hatten immer wieder kritisiert, dass es im Landgericht Dresden zum Zeitpunkt der Tat keine Einlasskontrollen gegeben hatte. Der Angeklagte konnte deshalb sein Kampfmesser mit einer 18Zentimeter langen Klinge ungehindert in den Gerichtssaal mitbringen. Die Anwälte der Familie fordern aus diesem Grund Schadensersatz von der sächsischen Landesregierung. Der ägyptische Anwalt Khaled Otman hatte zudem kritisiert, dass der Richter die Sicherheitsmaßnahmen in dem Berufungsprozess, in dem der Mord geschah, nicht verstärkt hatte. Beispielsweise hätte er für die Anwesenheit eines Justizwachtmeisters sorgen können.

Wiegand wies diese Vorwürfe gestern kategorisch zurück. Auch in anderen Bundesländern gebe es keine speziellen Sicherheitskontrollen an den Eingängen von Gerichten. Es habe zudem – abgesehen von den Beleidigungen – keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Angeklagte gewalttätig werden könnte. „Ich muss zugeben, ich hätte mich genauso entschieden.“ Es sei absolut üblich, dass sich Nachbarn oder Eheleute vor einem Prozess massiv beleidigten und später lammfromm täten.

Großes Polizeiaufgebot

Die bisherige Offenheit der Justiz dürfte aber auch in Sachsen künftig der Vergangenheit angehören. Gestern hatte die Polizei zusätzlich zu den seit Prozessbeginn üblichen drastischen Sicherheitsvorkehrungen ihr Personal verstärkt. Anlass dafür war auch die kleine Demonstration vor dem Gericht, die ein muslimischer Verein aus Braunschweig organisiert hatte. Die Teilnehmer forderten von der Bundesregierung, gegen alle Internetseiten und Vereine vorzugehen, die zum Hass gegen den Islam und seine Anhänger aufrufen. Es war die erste Kundgebung anlässlich des Prozesses. Die Polizei hatte schon zum Prozessbeginn mit Demonstrationen dieser Art gerechnet.

Der Jurist und Islamwissenschaftler Professor Mathias Rohe von der Uni Nürnberg-Erlangen ist gestern im Auftrag des Auswärtigen Amtes nach Kairo geflogen. Er soll dort das Urteil erläutern. Eine der häufigsten Fragen sei, warum es keine Todesstrafe in Deutschland gebe, sagte er der SZ. Ein Reporter des arabischen Fernsehsenders Al Jazeera empfindet das Urteil als beruhigend. „Nun ist die Angst vor Unruhen in der Gesellschaft weg. Viele Menschen in der arabischen Welt hatten die Sorge davor, Muslime könnten vor einem deutschen Gericht keine Gerechtigkeit bekommen“, sagt Aktham Suliman.