Merken

Der Mathe-Fuchs

Johann Beurich ist ein Held für Hunderttausende von Schülern. Weil er in drei Minuten schafft, wofür ihre Lehrer Stunden brauchen.

Teilen
Folgen
© Sven Ellger

Von Dominique Bielmeier

Seit einer Weile schon passiert in Mathematik-Klausuren etwas Seltsames: Ein Schüler, manchmal auch mehrere, fängt plötzlich an, leise eine Melodie zu summen. Die anderen lächeln wissend oder stimmen mit ein, und sogar der Lehrer kann sich ein Schmunzeln oft nicht verkneifen – obwohl er weiß, dass seine Schüler gerade eine Art Spickzettel verwenden. Einen Spickzettel, den er selbst ihnen vielleicht erst gezeigt hat.

Ausschnitte aus den Videos von Johann Beurich: Wenn er über seinen IQ spricht, erklärt er auch die Normalverteilung, beim Jonglieren zählt er die Nachkommastellen von Pi auf, bei „Kaum zu glauben“ mussten Kandidaten sein Geheimnis erraten, und das Video ü
Ausschnitte aus den Videos von Johann Beurich: Wenn er über seinen IQ spricht, erklärt er auch die Normalverteilung, beim Jonglieren zählt er die Nachkommastellen von Pi auf, bei „Kaum zu glauben“ mussten Kandidaten sein Geheimnis erraten, und das Video ü © Screenshots/Youtube „DorFuchs“, „TheFunnyBrain“

Der Fuchs geht um im Klassenzimmer. Oder besser gesagt: Dor Fuchs. Denn das Tierchen ist Sachse, Radebeuler, um genau zu sein. Er, mit bürgerlichem Namen Johann Beurich, hat die Melodie geschrieben, die durch die Köpfe der Schüler geistert, eine Melodie, die man, einmal gehört, nur schwer wieder loswird. „Klammer auf a plus b, Klammer zu ins Quadrat, ist gleich A-Quadrat plus zwei a-b plus beehee-Quadrat.“ Die erste Binomische Formel, scheinbar mühelos verpackt in ein eingängiges Pop-Lied mit gerapptem Mittelteil, zu finden auf dem Videoportal Youtube.

Hier, wo sonst Katzenvideos, Schminkanleitungen und Filmtrailer um die Gunst – und die Klicks – der Internetnutzer buhlen, ist der Radebeuler Beurich ein kleiner Star. Sein Mathe-Lied über die Binomischen Formeln wurde schon über zwei Millionen mal angesehen, die p-q-Formel schafft es auf 1,3 Millionen Aufrufe, die anderen Videos liegen bei mehreren Zehntausend oder sogar Hunderttausend.

Rund 30 Videos hat er inzwischen gedreht, über 117 000 Menschen schauen sie regelmäßig an. Auf Youtube war er längst berühmt, als ihn die etablierten Medien entdeckten: Stefan Raab lud ihn in seine Sendung ein, der NDR ließ die Prominenten in „Kaum zu glauben“ raten, was der 23-Jährige macht, und auch Galileo stellte ihn schon vor.

Der Rummel um seine Person ist Johann Beurich, anders als man erwarten könnte, kein bisschen zu Kopf gestiegen. „Das war keine allzu außergewöhnliche Idee, wenn man eh schon Mathe gern macht und auch Lieder schreiben will“, sagt er bei einem Treffen im Café „&Rausch“ in Dresden-Pieschen. Erst vor rund einem halben Jahr ist er von Radebeul nach Dresden gezogen, wo er mittlerweile Mathematik im Master studiert. Er kommt zu Fuß zum Treffen, seine Fünfer-WG ist gleich um die Ecke. Schwarzes T-Shirt mit mathematisch aussehendem Wellenmuster auf der Brust, das man schon aus seinen Videos kennt, große Cola mit Eis vor sich auf dem Holztisch. Erster Eindruck: bodenständiger Typ, fast ein wenig schüchtern.

Erst wenn es um Mathe geht, um Formeln, Gleichungen, Ableitungen, kommt er ins Erzählen, erklärt dann fast wie in seinen Videos, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, leuchtenden Augen und ausladenden Gesten. Wenn man Mathe mag, gewöhne man sich schnell daran, nicht in der Norm zu liegen, sagt Beurich. „Dann kann man das entweder still und heimlich machen – oder es zelebrieren.“

Dor Fuchs hat sich für Letzteres entschieden. Zum Glück für Hunderttausende Schüler. „Dieser Song hat mein Leben gerettet“, schreiben sie unter seine Videos, oder: „Mit diesem Song habe ich das endlich gecheckt. Dor Fuchs braucht zum Erklären zwei Minuten, ein ausgebildeter Mathelehrer zwei Stunden. Komisch.“

Die Lehrer nehmen dem Mathe-Ass das keineswegs übel, im Gegenteil. Oft sind sie diejenigen, die ihre Schüler erst mit dem Fuchs bekannt machen. „Siebenmal im Unterricht gehört“, schreibt ein Schüler bei Youtube. „Danach den restlichen Tag gesungen.“ Das Schulportal Thüringen nutzt seine Mathe-Lieder sogar als Lernvideos auf seiner Internetseite.

Auf den Fuchs können sich alle einigen. Dabei könnte ganz leicht das Gegenteil der Fall sein. Denn Johann Beurich ist in vielen Kategorien eher ein Außenseiter: Mathe-Freak, der zum Spaß schon mal die ersten 200 Stellen der Kreiszahl Pi auswendig lernt oder mit geschlossenen Augen einen Zauberwürfel löst. IQ von 137, was ihn als hochbegabt auszeichnet. Und dann noch bekennender Christ, der in der freien evangelischen Gemeinde sogar eine Band leitet. „Gott will, dass jeder gerettet wird“, heißt eines seiner Lieder, hochgeladen im März 2013, da war Dor Fuchs gerade 20.

Johann Beurich könnte genauso gut derjenige sein, auf dem rumgehackt wird, weil er nicht ins Muster passt, weil er zu klug ist und zu nett. In den Kommentaren unter seinen Videos bricht sich das manchmal Bahn. Dann wird Beurich „Nerd“ genannt oder Nutzer fragen ironisch, wer den „armen Jungen“ zu solchen Videos gezwungen habe.

Doch die Nörgler haben es schwer. Meist werden sie von den Fuchs-Fans schnell in Grund und Boden geschrieben. Eine überwältigende Mehrheit ist dankbar für die Videos des Radebeulers. Vielleicht auch, weil er so viel Freude an der Mathematik ausstrahlt – und sich so viel Mühe mit seinen Videos macht. Um die 100 Stunden Zeit investiert er in jedes Mathe-Lied. Zeit, die sich auch finanziell auszahlt. Weil Youtube Werbung vor seine Videos schaltet, verdient er an den Einnahmen mit. Noch könne er davon nicht leben, erzählt er. Aber vielleicht schon bald.

Wenn er im September mit dem Mathestudium fertig ist, könnte er nämlich in Vollzeit als Mathefuchs arbeiten. In Equipment wie eine Musiksoftware hat er bereits investiert. Auch T-Shirts mit seinem Logo oder der Formel „Mathe + Musik = Dor Fuchs“ gibt es schon zu kaufen. Ein Manager koordiniert mittlerweile seine Fernsehauftritte.

Das Thema seines nächsten Videos steht auch schon fest: Beurich wird den silbernen Play-Button, den er von Youtube als Anerkennung für über 100 000 Abonnenten bekommen hat, vor der Kamera auspacken. Also ausnahmsweise mal nichts mit Mathe.

Sonst aber kann Johann Beurich sich den Zahlen nicht entziehen. In seiner Freizeit spielt er gerne Volleyball. Fast mehr als die Frage, wie der Ball am besten und am schnellsten über das Netz kommt, interessiert ihn etwas anderes dabei: „Wenn man Spieler hat – wie oft muss man Teams bilden, damit jeder einmal mit jedem spielen konnte?“ Und dann beginnt der Fuchs zu rechnen.