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Der Lockvogel

Christiane Schleicher testet, wie treu Männer ihren Partnerinnen wirklich sind – und die Frauen danken es ihr mit barer Münze.

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© Norbert Millauer

Von Dominique Bielmeier

Eigentlich will der Mann nur für geschäftliche Termine ein paar Tage nach Bulgarien fliegen. Dazwischen ist noch Zeit, sich die Zähne in einer speziellen Klinik aufhellen lassen, er achtet schließlich auf sein Äußeres. Seine Frau wird zu Hause auf ihn warten, wie sie es bei all seinen Geschäftsterminen tut. Doch dieses Mal wird etwas anders sein, denn er wird IHR begegnen – vielleicht in einer Bar, vielleicht zufällig auf der Straße: groß, schlank, dunkle Haare, die ihr in leichten Wellen über die Schultern fallen, Wimpern so lang, dass sie Schatten auf ihre Wangen werfen. Und sie wird interessiert an ihm sein, oh so interessiert.

Vielleicht heißt sie dieses Mal Nadine, vielleicht Rebecca. Den Namen wird sie sich aber gut eingeprägt haben, solche Fehler passieren ihr nicht. Und sie wird eine Frage stellen, auf die sie die Antwort schon kennt, weil die meisten Männer ihr darauf so antworten: Ob er eine Freundin oder Frau habe? Und der Mann wird sagen: nein. Wenn er Glück hat, wird die Schöne dann unter einem Vorwand von ihm ablassen, denn ihr Auftrag ist zu Ende. Von Glück kann man jedoch selbst dann nicht sprechen, denn egal, was der Mann danach tun wird: Seine Ehefrau wird davon erfahren.

Lebt in Radebeul

Und zwar von ihr: Rebecca, Nadine, oder wie sie sich sonst noch nennen mag, heißt eigentlich Christiane Schleicher, ist 27, lebt in Radebeul, modelt, seit sie 16 war, und betreibt neben einer Modelagentur seit fünf Jahren auch eine Agentur, die auf Treuetests spezialisiert ist. „Final Faces“ heißt diese – letzte Gesichter, weil das für das Gesicht stehen soll, mit dem man für den Rest seines Lebens morgens in den Spiegel schauen möchte, erklärt Christiane Schleicher in ihrem Büro in der Leipziger Straße in Dresden. Dort hängt zwar kein Spiegel, dafür aber das eine oder andere Foto der Final-Faces-Chefin, sozusagen als wichtigstes Kapital der Firma.

Hier nimmt Christiane Schleicher die Aufträge der misstrauischen Frauen entgegen, sie nennt sie Klientinnen. Oft wollen diese kurz vor der Hochzeit und kurioserweise auch häufig vor dem Weihnachtsfest wissen, ob ihr Partner ihnen wirklich treu ist. Ihre Kunden kommen vor allem aus den alten Bundesländern, aus München, Köln oder Düsseldorf, und haben die Agentur über das Internet gefunden. Sie zahlen ab 200 Euro aufwärts, das schließt vier Stunden Treuetest ein. Der Einsatz von speziellem Equipment wie einer Uhr, die Video mit Ton aufzeichnet, kostet extra. Nicht immer findet der Test in Person statt, manchmal genügen auch Facebook oder ein paar SMS-Nachrichten. Auf rund acht bis zehn Aufträge kommt Christiane Schleicher, die sich selbst als Persönlichkeitscoach bezeichnet, so im Monat.

Kontakt mit Auftraggeberinnen

In Dresden und Umgebung könnte sie ihre Tests jedoch nicht machen, dafür ist sie nach mehreren Medienberichten zu bekannt. Das Echo auf diese Berichte überraschte sie. Gerade hätten wieder ein paar Fernsehsender angefragt, erzählt Christiane Schleicher. Das ist der Frau, die mühelos auf filigranen, schwarzen Stilettos durchs Leben geht, dann doch eine Nummer zu hoch. Zumal unter den Reaktionen auf diese Berichte auch immer wieder Beschimpfungen sind. „Viele Leute werfen mir vor, ich würde Beziehungen auseinanderbringen“, sagt Schleicher. „Aber ich handle nur im Interesse meiner Klientinnen.“

Und die sind der Frau, die zwischen sie und den Liebsten gekommen ist, auch noch dankbar. Von vielen Auftraggeberinnen bekäme sie heute noch regelmäßig Postkarten, erzählt Christiane Schleicher. In manchen Fällen ist aus dem Treuetest auch eine Freundschaft entstanden. Und sehr oft ist die Arbeit mit dem Betrugsmoment noch nicht vorbei für die 27-Jährige: Ihren Klientinnen hilft sie dann auch bei der Trennung, organisiert den Umzug oder einen Anwalt, wenn Kinder oder ein gemeinsames Geschäft im Spiel sind.

Manches geht nah

Auch wenn die gelernte Einzelhandelskauffrau und Marketing-Managerin versucht, Berufliches und Privates strikt zu trennen: Manchmal geht ihr ein Auftrag besonders nah. Da war zum Beispiel der Fall eines Piloten mit Frau und Kindern, verheiratet seit vielen Jahren, der jeden Morgen vermeintlich zur Arbeit am Flughafen fuhr. In Wirklichkeit betrieb er ein Studio für Aktmalerei – zusammen mit seinem Lebensgefährten. Christiane Schleicher hatte sich als Aktmodell beworben und war dem Doppelleben so auf die Schliche gekommen.

Für einen anderen Auftrag musste sie einmal drei Tage lang die Kellnerin spielen, in einem weiteren Fall die Investment-Spezialistin mimen. Eine Woche lang hat sie sich dazu tief in die Fachliteratur eingelesen. Eines würde sie jedoch nie tun: Dem beobachteten Mann auch körperlich nahekommen.

„Viele Frauen denken, dass ich mit den Männern auch ins Bett steige“, sagt Schleicher. Dabei ist selbst ein Kuss für sie tabu. In solchen Momenten erzählt sie eben, sie wolle es besonders langsam angehen oder habe gerade eine traumatische Beziehung hinter sich. Ihr Auftragsziel hat sie dann ohnehin schon erreicht.

Kein Mann wehrt ab

Die Klientinnen würden sie vor dem Auftrag immer wieder nach ihrer „Erfolgsquote“ fragen, sagt Christiane Schleicher. Die Antwort darauf fällt ihr schwer. „Denn was ist die Erfolgsquote? Ist das, wenn er treu oder wenn er untreu ist?“ Eines kann sie den Frauen jedoch versprechen: „Kein Mann steht vor mir und sagt, lass mich in Ruhe, ich habe eine Frau.“ Das sei bisher noch kein einziges Mal vorgekommen. Wahrscheinlich, weil das Blut beim Mann eben schneller nach unten rutsche, wenn es doch weiter oben gebraucht werde, sagt Christiane Schleicher und tippt sich amüsiert mit einem Finger gegen die Schläfe.

„Ich habe das dann natürlich irgendwann auf meine eigene Beziehung projiziert, wenn man merkt, dass die Hälfte der Männer nicht treu ist“, gibt sie zu. Heute ist die 27-Jährige Single – und auch ganz zufrieden damit. Sollte wieder ein Mann in ihr Leben treten, wüsste sie, was sie anders machen würde, als manche ihrer Auftraggeberinnen. Zum Beispiel entspannter sein und nicht im Handy nach Nachrichten von fremden Frauen suchen.

Viel dringender als einen Partner sucht Christiane Schleicher im Moment sowieso gutes Personal, das in Dresden den Lockvogel spielt. Das sei gar nicht so leicht zu finden, sagt sie. Neben dem Aussehen zählten nämlich auch schauspielerisches Talent und dass man für den Moment der Verführung Kopf und Herz ausschalten könne.

Den Auftrag in Bulgarien übernimmt die Chefin aber persönlich. Vielleicht heißt sie dieses Mal Nadine, vielleicht Rebecca. Den Namen wird sie sich gut eingeprägt haben, solche Fehler passieren ihr nicht.